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Israel - Druckversion +- Forum-Sicherheitspolitik (https://www.forum-sicherheitspolitik.org) +-- Forum: Blickpunkt Welt (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=90) +--- Forum: Sicherheitspolitik und Wirtschaft (https://www.forum-sicherheitspolitik.org/forumdisplay.php?fid=96) +--- Thema: Israel (/showthread.php?tid=3983) Seiten:
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RE: Israel - Nightwatch - 28.03.2023 Zitat: Allerdings habe ich etwas Schwierigkeiten damit, wenn man die Protestierenden etwas generalisierend unter Verdacht stellt, sie seien nur ein rasender Mob. Den gibt es auch, zweifelsfrei, aber wenn man sich Videos zu den Protesten anschaut, so sehe ich meistens hier keinen tobenden Mob, sondern Menschen aus allen Schichten, von alten Menschen bis zu jungen Familien, die ihre Besorgnis zum Ausdruck bringen, dass das Land in eine Art intolerante Halbtheokratie abkippen könnte.Ich schrieb auch nichts von ‚rasend‘ oder ‚tobend‘. ![]() Alle Macht geht vom Volke aus – ja. Aber wie schon in unserem Grundgesetz festgehalten ist und für alle republikanisch verfassten Demokratien gilt – ausgeübt wird sie unmittelbar in Wahlen und Abstimmungen und mittelbar durch die dazu repräsentativ ermächtigten Verfassungsorgane. Es ist mit der mittelbaren Demokratie nicht vereinbar, dass das Volk die Staatsgewalt an sich reißt und direkt ausüben will. Das ist keine Demokratie, das ist dann Anarchie und Revolution. Sprich, Protestierende, die versuchen den Regierenden ihren Willen durch ausufernde Protestaktionen mit möglichst maximalem Schaden aufzuzwingen verlassen den Boden der Demokratie. In meinen Augen waren daher etwa die Aufrufe zum Politischen Generalstreik wie es sie Sonntag Nacht gegeben ein klarer Bruch mit den demokratischen Spielregeln und zumindest nach deutschem Verständnis auch klar rechtswidrig. Protestierende dürfen ihren Unmut kundtun, auch lautstark und mit Vehemenz. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber wenn der Protest die Funktionsfähigkeit des Staates als solches oder seiner legitimen Repräsentanten angreift, verliert er seine Demokratische Legitimation und wird zum Mob. In Israel hat die Straße die Legislative gezwungen eine Gesetzesreform abzubrechen – nicht, weil die fraglichen Politiker mit politischem Argument oder sei es auch nur aus Angst vor dem Verlust des eigenen Mandats überzeugt wurden, sondern weil der Mob sich anschickte die Wirtschaft lahmzulegen und den Sicherheitsinstitutionen durch kollektive Befehlsverweigerung schweren Schaden zuzufügen. Das geht nicht. Oder wie es Macron die Tage im Bezug auf die Proteste in Frankreich völlig korrekt formuliert hat: „La foule n'a pas de légitimité face au peuple qui s'exprime à travers ses élus.” „Die Masse hat keine Legitimität gegenüber dem Volk, das sich durch seine gewählten Vertreter ausdrückt.“ Zitat: Und wenn die aktuellen Meldungen stimmen, so könnte es sein, dass - wenn jetzt Wahlen wären - die aktuelle Regierung keine Mehrheit mehr hätte.Ein im politischen Diskurs mäßig interessantes Factoid aber ohne Relevanz. Es gehört zum Wesen einer repräsentativen Demokratie, dass Wahlen Macht auf Zeit verleihen und sich die Regierenden nicht mit jeder Maßnahme der Rückendeckung des Wahlvolkes versichern müssen. Genausowenig ändert der Verdacht, dass es die andere Seite des politischen Spektrums nicht besser machen würde, wenn die Rollen vertauscht wären nichts an der nötigen Kritik an den jetzt stattfindenden Protesten. RE: Israel - lime - 28.03.2023 (28.03.2023, 16:45)Nightwatch schrieb: In Israel hat die Straße die Legislative gezwungen eine Gesetzesreform abzubrechen – nicht, weil die fraglichen Politiker mit politischem Argument oder sei es auch nur aus Angst vor dem Verlust des eigenen Mandats überzeugt wurden, sondern weil der Mob sich anschickte die Wirtschaft lahmzulegen und den Sicherheitsinstitutionen durch kollektive Befehlsverweigerung schweren Schaden zuzufügen. Das geht nicht. Die Frage ist aber ob Parteien ihre Wähler vielleicht über ihre Absichten getäuscht haben. Nicht umsonst ist das Demonstrationsrecht ein verbrieftes Recht in jeder ernstzunehmenden Demokratie. Auf die isr. Regierungsparteien bezogen kann ich mir da kein Urteil erlauben, aber in Frankreich ist es schon mehrfach zur Wählertäuschung durch Macron bzw. seine Partei gekommen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist er von seinen Wählern nicht wissentlich zu dieser aktuellen Rentenreform ermächtigt worden. Meines Erachtens gehört er inzwischen auch zu den Politikern die die Bodenhaftung völlig verloren haben. RE: Israel - Nightwatch - 28.03.2023 (28.03.2023, 19:25)lime schrieb: Die Frage ist aber ob Parteien ihre Wähler vielleicht über ihre Absichten getäuscht haben.Die Notwendigkeit einer Justizreform wurde in Israel seit vielen Jahren diskutiert und vor diesem Versuch jetzt gab es einen breiten Konsenz bis in die Mitte hinein, dass etwas gemacht werden muss und auch wird. Überraschend ist insofern nicht der Reformversuch der Rechtsgerichten Parteien jetzt sondern der maximale Wiederstand der Opposition. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass wenigstens Yesh Atid und National Unity auf die Regierungsvorschläge eingehen und auf Änderungen drängen. Gideon Sa'ar, der zweite Mann bei National Unity ist eigentlich ein Likudnik, galt mal als designierter Nachfolger Netanyahus und war lange Zeit eigentlich die treibende Kraft hinter den Plänen für eine Justizreform schlechthin. Offen gestanden erschließt sich mir nicht vollständig, wie der legislative Prozess derart eskalieren konnte, selbst wenn man animmt, dass man hier vor ganz weit Rechts Maximalpositionen durchdrücken wollte, koste es was es wolle. Man sollte eigentlich meinen, das man da wenigstens informell aufeinander zugeht bevor alles maximal hochkocht. Womöglich ist mit den fünf Wahlen seit 2019 zuviel zu Bruch gegangen, womöglich spielte das Verbot das Netanyahu sich am Prozess beteiligt eine größere Rolle, womöglich haben die legislativ unerfahrenen Partei von ganz Rechts gemeint es ginge mit der Brechstange, womöglich wurde aus dem politischen Ausland massiv auf die Opposition eingewirkt, womöglich eine Kombination aus allem... mir fehlt der Blick hinter die Kulissen für ein entgültiges Urteil. RE: Israel - Schneemann - 29.03.2023 @Nightwatch Zitat:Ich schrieb auch nichts von ‚rasend‘ oder ‚tobend‘.Stimmt, habe eben nochmals nachgeschaut. Das muss mir im Flow reingerutscht sein. Abgesehen davon: Netanjahu hat das ganze Vorhaben erst einmal auf Eis gelegt bzw. pausiert. Sicherlich mag er dies auch gemacht haben, da der Gegenwind erheblich war, aber - und das rechne ich ihm durchaus an - vermutlich hat er diesen Schritt auch unternommen, um es zu vermeiden, dass das Land noch weiter auseinanderfasert und um gesellschaftliche Flurschäden einzugrenzen. Und er hat es auch unter eigenem Risiko gemacht, da ihm seine Koalition um die Ohren fliegen könnte. Ich muss dazu sagen, dass ich wieder einmal von ihm positiv überrascht wurde... Zitat:Verfassungskrise, verschobenhttps://www.zeit.de/politik/ausland/2023-03/israel-justizreform-benjamin-netanjahu?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F Schneemann RE: Israel - Nightwatch - 29.03.2023 Es war zumindest nicht sein dümmster Schachzug in der ganzen Affäre. Aber gecancelt ist erst mal nichts, wenn aus den Verhandlungen nichts wird geht es in ab dem 30. April da weiter wo man zuletzt aufgehört hat. RE: Israel - lime - 29.03.2023 (29.03.2023, 13:12)Nightwatch schrieb: Es war zumindest nicht sein dümmster Schachzug in der ganzen Affäre. Aber gecancelt ist erst mal nichts, wenn aus den Verhandlungen nichts wird geht es in ab dem 30. April da weiter wo man zuletzt aufgehört hat. Aus Sicht der Befürworter des Gesetzespakets ein klarer Fehler, denn es dürfte klar sein dass die Gegner nun zusätzlich angespornt sind, da sie ja schon einen Etappensieg vermelden konnten. RE: Israel - Nightwatch - 31.03.2023 "mir fehlt der Blick hinter die Kulissen für ein endgültiges Urteil" Dazu: Zitat: Histadrut coordinated nationwide strike with PM's office - coalition member https://www.jpost.com/israel-news/article-735974 RE: Israel - Schneemann - 03.04.2023 Da könnte der nächste Streit ins Haus stehen... Zitat:Umstrittenes Projekthttps://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-nationalgarde-101.html Aber ich frage mich schon, wieso man eine Nationalgarde benötigen sollte? Man besitzt eine der besten Armee der Welt, es gibt eine ausgedehnte Wehrpflicht, die Gesellschaft ist militärisch stark durchdrungen (gezwungenermaßen, wenn einem ständig irgendwer an die Gurgel will), man hat eine flinke, sehr aufmerksame Polizei und vermutlich mit die besten Geheimdienste der Welt. Und nun zusätzlich eine Nationalgarde? Im schlimmsten Falle, da der Wunsch von den Rechtsauslegern kommt, könnte es sein, dass man eine Nationalgarde gerne haben würde, um eine Art von "innenpolitischem Degen" zu haben, wenn die Streitkräfte oder ein erheblicher Teil von deren Führung sich gegen einen Umbau des Staates in Richtung zu einem theokratischen System stellen würden, quasi eine Privatarmee der Ultrareligiösen... Schneemann RE: Israel - Nightwatch - 03.04.2023 Zitat: Aber ich frage mich schon, wieso man eine Nationalgarde benötigen sollte? Amid deadly terror wave, Bennett calls for creation of civil national guard (2022) https://www.timesofisrael.com/amid-deadly-terror-wave-bennett-calls-for-creation-of-civil-national-guard/ Dieses Projekt wurde bereits von der Vorgängerregierung angestoßen. Es ging da nicht darum, eine Nationalgarde etwa nach US-Amerikanischen Vorbild zu schaffen, das Reservewesen neu zu ordnen oder eine wie auch immer geartete Bürger-Miliz auf die Beine zu stellen. Vielmehr war beabsichtigt, eine Auxiliary Police aufzustellen. Hintergrund waren die gewaltsamen Ausschreitungen in Arabischen Städten und Dörfern im Israelischen Kernland die letzten Jahre. Man will dort wohl aus naheliegenden Gründen keine regulären Armeeeinheiten einsetzen und reguläre Polizeit sowie Grenzschutz haben wohl auch so genug zu tun, als das sie nicht zusätzliche Unterstützung gebrauchen könnten. Ich vermute (!), dass es im Kern darum ging das im Mashaz (das ist die freiwillige israelische Bürgerwehr) gebundene Potential abzuschöpfen. RE: Israel - lime - 03.04.2023 (03.04.2023, 12:35)Nightwatch schrieb: Amid deadly terror wave, Bennett calls for creation of civil national guard (2022) Israel hat scheinbar keine klassische Bereitschaftspolizei um Demonstrationen ähnlich zu flankieren wie dies zum Beispiel in Deutschland üblich ist. Wenn ich mich richtig in die Materie eingelesen habe, dann soll die geplante Nationalgarde genau in diese Lücke wirken. RE: Israel - Schneemann - 14.04.2023 Hinsichtlich der ganzen Spannungen derzeit habe ich aktuell ein altes Buch bei mir wieder ausgegraben und lese es nochmals - Scholl-Latours Lügen im heiligen Land von 1997. Ich hatte dieses Buch um die Jahrtausendwende mal angeschafft und gelesen gehabt, aber inhaltlich auch manches wieder vergessen. Es geht um Irak (damals noch unter Saddam) und eben auch um Israel. Damals bemerkte Scholl-Latour, als er, wie er es gerne tat, quer vom Golan und Herzliya bis nach Jerusalem durch das Land tourte, dass ein wachsender Einfluss der Haredim sich abzeichnen würde und dass dies ein Zerreißprobe für das Land werden könnte. Und er beschreibt auch, vor mehr als einem Vierteljahrhundert, wie seinerzeit schon Ultraorthodoxe und Säkulare in Jerusalem sich angifteten auf den Straßen. Er warnte davor, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen könnte, wo die ultrareligiös-nationalistischen Kreise das (zumeist sozialistisch-genossenschaftlich bzw. säkular geprägte) Erbe der frühen zionistischen Pioniere, die das Land urbar machten und aufgebaut hatten, in Gefahr bringen könnten. Und er berichtete auch davon, dass laut einer Umfrage von Jediot Acharonot (also im Jahr 1997) 47 Prozent der Israelis eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung zwischen den ultrareligiösen und den säkularen Kreisen für möglich hielten. Er bemerkte seinerzeit, dass dies wohl übertrieben sei (bzw. so sagten es seine israelischen Gesprächspartner)... Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es ein Vierteiljahrhundert später nicht doch soweit sein könnte. Interessant, dass der alte Fuchs aber mal wieder richtig lag - aber ich bin noch nicht wieder ganz durch das Buch durchgekommen. Schneemann RE: Israel - lime - 14.04.2023 (14.04.2023, 09:36)Schneemann schrieb: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es ein Vierteiljahrhundert später nicht doch soweit sein könnte. Interessant, dass der alte Fuchs aber mal wieder richtig lag - aber ich bin noch nicht wieder ganz durch das Buch durchgekommen. Das war wenn man die unterschiedlichen Geburtenraten der beiden Gruppen betrachtet doch nicht schwer zu erraten. Ist auch meines Erachtens nichts israelspezifisches. Diese Problematiken gibt es doch in immer mehr Staaten in denen sich Säkuläre und Fundamentale gegenüber stehen. RE: Israel - Nightwatch - 24.07.2023 Begleitet vom dem üblichen Getöße und Demonstrationen bei denen sich Befürworter und Gegner zuletzt in Wage hielten: Zitat: Reasonableness bill passes 64-0 after compromise falls at last minutehttps://www.jpost.com/breaking-news/article-752225 Stabile Mehrheit in der Koalition, die Opposition konnte sich bis zuletzt nicht dazu durchringen jenseits von Verzögerungstaktiken einen Kompromissvorschlag zu bringen. Nächster/letzter Halt dann vor dem Obersten Gericht selbst. RE: Israel - lime - 24.07.2023 (24.07.2023, 16:23)Nightwatch schrieb: Begleitet vom dem üblichen Getöße und Demonstrationen bei denen sich Befürworter und Gegner zuletzt in Wage hielten: Das Gericht wird das Gesetz ja mit ziemlicher Sicherheit verwerfen, nur was passiert dann? RE: Israel - Nightwatch - 24.07.2023 Ich glaube nicht, dass das Gericht diesen Teil der Reform kippen wird. |