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Die USA müssen sich beschränken - Obama hat in den Anfängen seiner Regierungszeit angekündigt, den Schwerpunkt der USA auf den "Fernen Osten" (und die Eindämmung von China) zu fokussieren. Den Rückzug aus Europa hat der Konflikt um die Ukraine durchkreuzt.
Also bleibt nur ein Rückzug aus dem Vorderen Orient - der Region zwischen Mittelmeer und dem Indischen Ozean.
Der angekündigte Rückzug aus der Energiegewinnung aus Öl und Gas und die eigenen Schiefervorkommen machen die Region für die US-Wirtschaft entbehrlich. Und die Einigung um das Iranische Atomprogramm hilft zu einem "gesichtswahrenden Abzug".
Was aber kommt dann? Wer füllt die Lücke?
In der Region haben nur noch (in alphabetischer Reihenfolge) der Iran, Saudi-Arabien (die Hüter von Mekka und Medina) sowie die Türkei das entsprechende Potential.
Die Auseinandersetzungen im Irak, in Syrien und im Jemen sind so gesehen jetzt schon "Stellvertreterkriege" um die Vormachtstellung, wobei sich die einzelnen Akteure auch auf religiöser und ethischer Basis unterscheiden und diese instrumentalisieren:
- der Iran steht für die schiitische Glaubensrichtung im indo-arischen Sprachraum,
- die Türkei sieht sich als Sachwalter des sunnitischen Sultanats, unterstützt die Muslimbrüder und macht ihren Einflussbereich im turanischen Sprachraum in Zentralasien geltend,
- Saudi Arabien steht für den wahabitischen Fundamentalismus und übernimmt zunehmend eine Führungsrolle im Bereich der arabischen Liga (arabische Eingreiftruppe).
Wer könnte sich auf die Dauer durchsetzen?
Ich möchte nicht verhehlen, dass
- ich Saudi Arabien zunehmend vor der Zerreißprobe sehe. Die Jugend etwa in der Hafenstadt Jeddah wird zunehmend in Konflikt mit der stark konservativen Ausrichtung der Regierung und der Bevölkerung von Mekka oder Riyadh,
- und dass die Türkei mit dem autoritären Erdogan einerseits und den Partnern aus den autokratischen Regimen aus Zentralasien andererseits nicht unbedingt für die Zukunft gerüstet scheint.
Aber das kann man dann auch durchaus anders sehen und diskutieren.
Wir haben ja nur infolge der Kriege gegen den Irak eine verschärfte Präsenz der USA erlebt. Ging ja vorher auch irgendwie, allerdings brannte da noch nicht der ganze Laden an allen Ecken.
Was Europa angeht, teile ich Deine Auffassung absolut nicht: Zitat: Den Rückzug aus Europa hat der Konflikt um die Ukraine durchkreuzt.
dieser Konflikt ist voll im Sinne der USA und ich glaube nicht, dass sie ihn nicht mit eingeleitet haben.
Eine Schwerpunktsetzung im Pazifik (60:40, wenn ich mich recht entsinne) heißt ja nicht, dass diese Einteilung für alle Waffengattungen gilt und für Europa nix übrig bleibt. Trägerflotten in den Pazifik und Panzer nach Europa, so kommt keiner zu kurz. Die Raketenstellungen in Polen standen ja auch nie zur Disposition.
Nachtrag: Das Fracking bedeutet alles andere als einen Ausstieg aus dem Ölgeschäft. Niemand, der es sich erlauben kann, gibt Einfluss auf ein Förderland wie SA auf wenn er nicht muss. Langfristig kennt der Ölpreis nur eine Richtung: Nach oben. Ganz egal wie dolle man auf der ganzen Welt fracken mag, dieses Öl ist wohl immer teurer als konventionelles.
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Erich schrieb:
Zitat:Was aber kommt dann? Wer füllt die Lücke?
In der Region haben nur noch (in alphabetischer Reihenfolge) der Iran, Saudi-Arabien (die Hüter von Mekka und Medina) sowie die Türkei das entsprechende Potential.
In diese Rechnung könnte man zumindest vllt. auch noch Ägypten aufnehmen. Sicherlich, dass Land stand und steht auch teils noch vor einer gesellschaftlichen und politischen Zerreißprobe (aber welches Land tut dies nicht?), hat aber durchaus auch Potenzial. Wenn sich der Staat und al-Sisi weiter stabilisiert - und ich rede nun nicht von Menschenrechten - so sollte man bedenken, dass Ägypten mehr Einwohner (87 Mio.) hat als die Türkei und auch Iran, zudem steigt das BIP seit Jahren erstmals wieder an (und ist halb so groß wie das des Iran, obgleich Ägypten quasi keine Rohstoffe hat). Zudem sind auch die internationalen Spannungen und Verwicklungen, die eine Entwicklung hemmen können, so in Ägypten nicht vorhanden. Insofern würde ich dem Land durchaus gute Chancen anrechnen, in den "3er-Club" aufgenommen zu werden...
Schneemann.
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"wenn sich Ägypten stabilisiert" - das mag künftig sogar sein, aber heute möchte ich Ägypten noch nicht zutrauen, in den 3er Club aufgenommen zu werden :wink:
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Es kommt darauf an, inwieweit Russland und China in der Region an Einfluss gewinnen können.
Ansonsten werden wir im Nahen Osten eine unermessliche Katastrophe sehen.
Die schiitisch-sunnitische Fehde wird sich ebenso intensivieren wie interne Probleme, der islamistische Terrorismus wird zunehmen. Die arabischen Gesellschaften werden sich selbst zerfleischen. Um zu sehen was dem Nahen Osten dann blühen würde: Seht euch Syrien an, und hier das Wüten des "Islamischen Staates".
Der islamistische Terrorismus erhöht nur die Gefahr einer erneuten, gewaltsameren Intervention fremder Mächte, birgt sogar das Versprechen das Saudi-Arabien zum Ziel werden könnte. Einfach schon deshalb, um der Förderung der wahhabitischen Geistlichkeit ein Ende zu setzen.
Letztlich wird sich für sie ein neuer Hülagü finden.
Die einzigen Gewinner werden die Kurden und Israel sein - schon weil sie sich nur behaupten wollen.
Ansonsten wird der Nahe Osten in Trümmern liegen, seine kulturelle Identität zerstört daliegen, die Skelette der Flüchtlinge die von Europa eben nicht aufgenommen wurden in der Wüste und an den Küsten in der Sonne bleichen...
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Lesenswerter Artikel den ich aber in der absoluten Aussage so nicht teile (Türkei seh ich deutlich besser und dem Fortschritt nicht abgeneigt). Trotzdem lesen lohnt sich ...
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.welt.de/debatte/kommentare/article144278938/Der-unaufhaltsame-Niedergang-des-Islam.html">http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... Islam.html</a><!-- m -->
Der Artikel beschreibt das aus meiner Sicht schon angesprochene Problem, des immer die Fehler bei anderen suchen, sehr gut. Solang man sich aus dieser Rolle nicht befreien kann, gibt es keine positive Entwicklung. (hatten wir schon mal drum gestritten)
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Es ist ein recht leises Thema, und auch wenn die Iraner immer mal wieder jammern über den bösen "US-Imperialismus" und trotz Anti-IS-Einsatz und Irak-Durcheinander, so ist es eine Tendenz, die sich seit Jahren bereits abzeichnet. Die allmähliche Verschiebung der strategischen US-Interessen hin nach Asien wurde schon vor über 20 Jahren immer mal wieder thematisiert - aber gerne ja auch in Europa nicht so arg ernst genommen oder auch ignoriert -, aber noch nie wurde es so deutlich wie in den letzten Jahren bzgl. dahingehend, was die Dislozierungen und Stärke der Flottenkräfte der Navy u. a. im Persischen Golf angeht: Die Zahl der dort eingesetzten Schiff geht langsam, aber beständig zurück...
Zitat:Essex Amphibious Ready Group Leaves 5th Fleet; No U.S. Capital Ship in Middle East
The three-ship Essex Amphibious Ready Group and the 11th Marine Expeditionary Unit left the Middle East last week after operating in the region since late September, according to USNI News’s Fleet and Marine Tracker. USS Essex (LHD-2), USS Portland (LPD-27), and amphibious dock landing ship USS Pearl Harbor (LSD-52) are now operating in the Indian Ocean after four months in U.S Central Command. [...] With the Harry S. Truman Carrier Strike Group operating in the Mediterranean Sea, it’s the first time the U.S. has not had a carrier strike group or ARG in U.S. 5th Fleet since late November 2020, according to the Fleet Tracker. [...] Japan-based USS Ronald Reagan (CVN-76) was the last U.S. carrier in 5th Fleet, departing in mid-September. Essex relieved the Iwo Jima ARG and the 24th MEU, which left the region after supporting the withdrawal of U.S. ground forces in Afghanistan.
https://news.usni.org/2022/01/10/essex-a...iddle-east
Sicherlich ist es nur eine Momentaufnahme, und sechs Wochen sind auch keine sehr lange Zeit, dennoch ist es symptomatisch wenn man bedenkt, dass es über Jahrzehnte hinweg beinahe selbstverständlich war, dass eine CSG oder zumindest ARG im Mittleren Osten bereit stand.
Schneemann
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kommt DT zurück?
Trump will Suez- ... kanal: Gehören diese Wasserstraßen wirklich den USA?
Wenn man unterstellt, dass der Rückzug der USA aus der Region dem abnehmenden Interesse an den fossilen Brennstoffen gefolgt ist, dann führt Donalds "drill drill drill" natürlich zur gegenteiligen Bewegung.
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Erstens kommt der Rückzug nicht alleine deswegen zustande, weil man unabhängiger vom Öl am Golf werden will, die USA sind bekanntlich heute schon der weltgrößte Ölproduzent und das Drill, baby drill!-Gehabe von Trump bezog sich v. a. auf die USA selbst, und zweitens frage ich mich, was für einen Sinn es ergibt, die gleiche aufgebauschte Meldung aus einer Quelle, die selbst auch nur kurzgefasst Meldungen aufbereitet, in verschiedenen Strängen zu streuen?
Schneemann
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Die militärische und politische Dominanz des mittleren Ostens bietet den USA die Möglichkeit, wirtschaftlich von der Förderung und Veredelung also der Produktionskette der fossilen Rohstoffe "end-to-end" mitzuverdienen, gleichzeitig die politisch-wirtschaftliche Verwendung des in die Region zugeflossenen Kapitals in ihrem Sinn zu steuern. Beispielsweise in Richtung Kauf amerikanischer Waffensysteme und PKW. Bei einem so hohen pro Kopf Bedarf und mit dem starken eigenen Angebot am globalen Markt, will/muss/*kann* die USA die Hand auf Angebot und Nachfrage haben und wer wem etwas verkauft, zu welchem Kurs und warum und ob. Auch sollte sich eine Ölkrise von 1973 bspw. nicht mehr wiederholen usw.
Hinzu kommen ja auch eigene Bedarfe von US Streitkräften und Verbündeten die durch das militärische Engagement dort entstanden sind, welche auch eine Art staatliche Subvention sind. Natürlich haben die Kriege im Irak und Afghanistan unglaublich hohe Kosten verursacht, aber diese Kosten sind für den Staat angefallen und der US Industrie primär als frisches Kapital zugeflossen.
Und der nächste Punkt: Es ist für die USA sehr wichtig, dass der internationale Handel fossiler Energieträger in Dollar abgewickelt wird, weil es die Währung und damit den eigenen Haushalt trägt und das Inflationsrisiko im Handel für sie reduziert. Ein Ausscheren des Welthandels und insbesondere der Rohstoffmärkte aus diesem Gefüge ist mit allen Mitteln auszuschließen.
Der Nahe Osten ist daher einer der zentralen Orte für die US Außenpolitik, den man auf diese oben dargestellte Weise im Prinzip bespielt. Ganz bestimmt wird sich daran auch prinzipiell nichts ändern, weil sich an der intrinsischen Motivation dazu nichts ändern wird und kann, das Geschehen dort entsprechend "aktiv im eigenen Sinne zu begleiten". Sicherlich ist die Bedrohung aus dem Pazifik aber ein Problem, welches in der Prio-Liste kurz-mittelfristig nach oben schießen und den Fokus bestimmen wird.
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