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(18.01.2022, 15:30)aramiso schrieb: Man führe sich nur diesen Zeit-Artikel vor Augen. Als Pirat festgenommen und nun als Asylant in Deutschland.
Das wurde hier im Verlauf doch schon gemacht, diese Geschichte wird behandelt eine Monstranz, weil man sie leicht als Alibi verwenden kann. Sie hat aber keine Relevanz über den anekdotischen Charakter hinaus. Piraten gehören bekämpft, im Notfall auch getötet, aber wenn wenn wir zulassen, dass gezielt Jagd auf Menschen gemacht wird, selbst wenn diese sich ergeben, oder kampfunfähig sind, oder ihnen das Boot kaputt schießen und sie dann ertrinken lassen, dann haben wir als Gesellschaft versagt. Und das haben wir auch, wenn wir keinen anderen Weg als den niederste Gewalt finden, um das Problem zu lösen.
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Damit habe ich in keiner Weise dazu aufrufen wollen, sich ergebende oder hilflos im Wasser schwimmende Piraten zu ermorden (nichts anderes wäre es).
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Wenn du die Boote versenkst, dann hast du aber genau diese Situation. Nicht selten können diese Menschen nicht schwimmen, und selbst wenn doch, die Angriffe finden teilweise so weit von der Küste entfernt statt, dass es keinen Unterschied machen würde. Also muss man sie letztlich doch an Bord nehmen, und dann sind wir genau bei dem im Artikel beschriebenen Problem: niemand will sie, also was tun? Hier vor ein Gericht stellen ist keine Lösung, ich denke, da werden wir uns einig sein. Einfach erschießen, gut dass wir uns da auch einig sind, dass auch das keine Option ist.
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Ich verstehe nicht so ganz, welche Art von Versenkung Du im Sinn hast.
Diese Boote sind relativ klein und ungeschützt. Schwere MGs oder Maschinenkanonen sollten sich hier verheerend auf die Besatzungen auswirken. Überlebende sind natürlich zu bergen. Wenn sie nicht schwimmen können, ist das tragisch, aber meiner Meinung nach kein Grund von einem Angriff abzusehen.
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Das primäre Problem ist hier die Identifizierung und ob man einen Grund für einen Angriff auf ein solches Boot ausmachen kann. Man kommt ja praktisch real de facto nie dazu wenn die Piraten gerade eben angreifen / entern. Bei der Präsenz eines westlichen Kriegsschiffes verhalten sich die Piraten ruhig und möglcihst unauffällig. Wenn man dann ihr Schiff (meist das Mutterschiff von dem die kleineren Boote aus agieren) anhält und durchsucht und stellt dann fest, dass es sich um Piraten handelt, ergeben sich die meisten von denen. Da sie dabei gar nicht erst zu ihren irgendwo im Schiff versteckten Waffen greifen, fehlt der Grund.
Deshalb ja meine Aussage, dass westliche Kriegsschiffe vor Ort das Problem schlechter lösen und es besser wäre, man würde auf den zivilen Schiffen in gefährdeten Gewässern einfach bewaffnete Kräfte mitfahren lassen.
Piraterie wird im weiteren so lange existieren wie man entweder 1. sie mit "niederster" Gewalt auslöscht (und genau so und nicht anders ist die Piraterie im 19 Jahrhundert von den Weltmeeren weitestgehend entfernt worden) oder 2. indem man sie un-ökonomisch macht.
Wie bei jedem solchen assymetrischen Konflikt stellt sich bei Option 2 die Frage der Kosten auf lange Zeiträume hin. Wenn die Piraten wesentlich kostengünstiger agieren als wir, scheitern wir entweder oder wir haben irreale hohe Kosten im Verhältnis. Beides ist nicht erstrebenswert und führt erneut zu der Lösung einfach bewaffnete Infanterie-Gruppen mitfahren zu lassen (weil am effektivsten und zugleich am effizientesten).
Desweiteren könnte man die Hintermänner so weit wie möglich mit Drohnen etc an Land angreifen und ihre Vermögenswerte zerstören. Und insofern sie sich in Europa selbst aufhalten (und auch das ist der Fall, dass die wahren Hintermänner in London leben während ihre unter Drogen stehenden Piraten vor der Küste Afrikas irgendwelche Schiffe aufbringen) die Vermögenswerte dieser Hintermänner zu beschlagnahmen und zwar auf den bloßen Verdacht schon hin, wobei dann die Beweislast für die Rechtmässigkeit des Vermögens von den Betroffenen selbst erbracht werden muss. So könnte man ganzheitlich und effizient die Piraterie angehen.
PS: Es erstaunt mich immer, wie man zwischen illegitimer und legitimer Gewalt so fein unterscheidet. Es ist legitim von einer Drohne aus nach Belieben irgendwelche Zivilisten in einem Land mit dem man nicht im Krieg ist zu ermorden und dabei nebenbei auch noch ein paar Frauen und Kinder zu zerfetzen und ihnen Gliedmaßen durch die Explosion abreißen zu lassen - aber es ist natürlich völlig illegitim Teilmantelmunition zu verwenden oder einen islamistischen Terroristen der sich ergeben will einfach sofort zu exekutieren, denn das wäre ja ein Kriegsverbrechen. Die Linien welche da in diesem Kontext gezogen werden sind ziemlich willkürlich und entbehren teilweise jeder Logik. Sie werden auch ständig verschoben.
Daher sollte man sich eher fragen, was praktisch funktioniert. Piraten gefangen zu nehmen macht rein praktisch beispielsweise eventuell Sinn, wenn man von ihnen Informationen erhält. Gefangene sind vor allem als Informationsquelle interessant, dass ist in diesem Bereich ihr eigentlicher Wert. Nur müsste man zum einen diese Informationen auch tatsächlich heraus holen (auf welche Weise auch immer) und dann müsste man sie nutzen, was ebenfalls nicht geschieht - selbst wenn man welche erhält. Wie man es dreht und wendet, an dem folgenden führt hier kein Weg vorbei:
Zitat:Man muss halt nur bereit sein, sich die Hände schmutzig zu machen
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(18.01.2022, 20:17)aramiso schrieb: Überlebende sind natürlich zu bergen. Wenn sie nicht schwimmen können, ist das tragisch, aber meiner Meinung nach kein Grund von einem Angriff abzusehen.
Du meintest, dass man die Boote nicht boarden, sondern einfach versenken sollte. Sofern man dabei Rücksicht auf Leib und Leben nimmt spielt der Unterschied halt praktisch keine Rolle. Entweder wehren sich die Menschen darauf (wie im Artikel beschriebenen Fall), dann werden sie auch mit Waffengewalt aufgehalten (und gegebenenfalls eben auch das Boot versenkt), oder sie ergeben sich direkt, dann muss man sie von Bord schaffen. Das Boot wird dann in der Regel auch jetzt schon versenkt.
Das eigentliche Problem beginnt aber so oder so erst danach. Denn was passiert mit den Menschen, nachdem man sie an Bord geholt und auf das eigene Schiff gebracht hat? Die Nationalität ist in der Regel nicht feststellbar, die Anrainernationen wollen sie nicht, vor ein eigenes Gericht stellen wollen wir nicht. Ergo muss man sie loswerden, und dann kommt es zu der absurden Situation, dass man sie eben, wie im Artikel beschrieben, wieder in ein Boot setzt.
(19.01.2022, 01:56)Quintus Fabius schrieb: Deshalb ja meine Aussage, dass westliche Kriegsschiffe vor Ort das Problem schlechter lösen und es besser wäre, man würde auf den zivilen Schiffen in gefährdeten Gewässern einfach bewaffnete Kräfte mitfahren lassen.
Wie ich hier schon mal sagte, das eine schließt das andere ja nicht aus, und der kombinierte Ansatz hat vor Somalia durchaus funktioniert. Die Ausgangslage dort war aber in vielerlei Hinsicht eine andere, und das macht die Sache im Golf von Guinea eben so problematisch. Letztlich reicht es auch nicht, die Piraterie an sich abzustellen, weil diese Teil von kriminellen Netzwerken sind, die viel weiter reichen (wie du ja selbst auch erwähnt hast).
Zitat:Piraterie wird im weiteren so lange existieren wie man entweder 1. sie mit "niederster" Gewalt auslöscht (und genau so und nicht anders ist die Piraterie im 19 Jahrhundert von den Weltmeeren weitestgehend entfernt worden) oder 2. indem man sie un-ökonomisch macht.
Die niederste Gewalt darg keine Option sein, und das "un-ökonomisch machen" ist halt nicht so einfach. Zumindest nicht, wenn man unsere eigenen Kosten in Relation dazu stellt. Insofern muss man die im Verhältnis irreal hohen Kosten in Kauf nehmen, das ist der gesellschaftliche Preis, den wir zu zahlen haben. Das gilt ja für die Kriminalität als ganzes, deren Kostenstrukturen in der Regel immer günstiger sind, egal ob es um Piraten vor Afrika oder irgendwelche Banden hier gilt.
Zitat:Und insofern sie sich in Europa selbst aufhalten (und auch das ist der Fall, dass die wahren Hintermänner in London leben während ihre unter Drogen stehenden Piraten vor der Küste Afrikas irgendwelche Schiffe aufbringen) die Vermögenswerte dieser Hintermänner zu beschlagnahmen und zwar auf den bloßen Verdacht schon hin, wobei dann die Beweislast für die Rechtmässigkeit des Vermögens von den Betroffenen selbst erbracht werden muss.
Da will ich den Gesetzestext sehen, der das ermöglicht, ohne willkürlich zu sein.
Zitat:Es erstaunt mich immer, wie man zwischen illegitimer und legitimer Gewalt so fein unterscheidet. Es ist legitim von einer Drohne aus nach Belieben irgendwelche Zivilisten in einem Land mit dem man nicht im Krieg ist zu ermorden und dabei nebenbei auch noch ein paar Frauen und Kinder zu zerfetzen und ihnen Gliedmaßen durch die Explosion abreißen zu lassen - aber es ist natürlich völlig illegitim Teilmantelmunition zu verwenden oder einen islamistischen Terroristen der sich ergeben will einfach sofort zu exekutieren, denn das wäre ja ein Kriegsverbrechen.
Also ich glaube nicht, dass du viele Menschen finden wirst, die ersteres als legitim und letzteres als illegitim bewerten. Ich sehe jedenfalls zwischen beiden Szenarien keinen Unterschied, weder ersteres noch letzteres ist meines Erachtens gesellschaftlich tragbar.
Zitat:Daher sollte man sich eher fragen, was praktisch funktioniert.
Die Geschichte ist voll von Dingen, die praktisch funktioniert haben, aber sicherlich nichts sind, was ich mir für eine moderne Gesellschaft wünsche. Mir ist klar, dass man diese Probleme auf zwei verschiedenen Ebenen betrachten kann, entweder als reinen Überlebenskampf, oder als Kampf von Wertesystemen. Für mich geht es definitiv noch um letzteres, und meiner Ansicht nach sollten wir innerhalb dieses Rahmens alle legitimen Register ziehen um dafür zu sorgen, dass er nicht zu ersterem eskaliert.
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§§ 73 bis 76b StGB
Insbesondere § 73a Abs. 1 StGB und hier noch zutreffender: § 76a Abs. 4 StGB
Zitat:Durch diese Regelung können Vermögensgegenstände auch unabhängig von einer nachgewiesenen rechtswidrigen Tat selbstständig eingezogen werden, wenn ein Gericht der Überzeugung ist, dass die Vermögensgegenstände illegaler Herkunft sind.
Die Überzeugung von der illegalen Herkunft von Vermögensgegenständen kann das Gericht durch den neu eingefügten § 437 Strafprozessordnung (StPO) insbesondere auf ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen stützen. Darüber hinaus kann es bei seiner Entscheidung insbesondere auch das Ergebnis der Ermittlungen zu der Tat, die Anlass für das Verfahren war, die Umstände, unter denen der Gegenstand aufgefunden und sichergestellt worden ist sowie die sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen berücksichtigen.
Dann gibt es noch den Begriff des Vermögensarrestes:
Zitat:Nach den §§ 111e ff. StPO kann die Einziehung von Wertersatz im Wege des Vermögensarrestes auch schon im laufenden Ermittlungsverfahren durch die Strafverfolgungsbehörden angeordnet werden.
https://www.rechtsanwalt-in-hannover.de/...schopfung/
Es wäre also durchaus möglich. Und wird auch schon in Bezug auf kriminelle Banden und die Clankriminalität in Deutschland angewendet. Entsprechend wurden Vermögenswerter der sogenannten Clans (organisierte Kriminalität) einfach beschlagnahmt, obwohl es dafür noch gar keinen Nachweis einer Straftat gab.
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Das geht aber schon weit über einen bloßen Verdacht hinaus, und wie gesagt setzt die mögliche Willkürlichkeit dem enge Grenzen. Das Problem ist ja die entsprechende Ermittlungsarbeit, man sieht das ja bei der von dir erwähnten Clankriminalität.
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Das geht heute erstaunlich weitreichend - auch bei Verdachtsfällen. Wo genau die Grenze ist legt ein Richter fest, also muss man dafür nur den richtigen Mann an die richtige Stelle bringen. Das geht heute viel weiter als du es dir vorstellen kannst.
Und eine entsprechende Ermittlungsarbeit in diese Richtung durch Inlandsgeheimdienste etc wäre effizienter und effektiver als Fregatten irgendwo an der afrikanischen Küste herumgondeln zu lassen.
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(19.01.2022, 09:24)Quintus Fabius schrieb: Das geht heute viel weiter als du es dir vorstellen kannst.
Das mag sein, Clankriminalität ist nicht gerade mein Spezial- oder Interessensgebiet.
Zitat:Und eine entsprechende Ermittlungsarbeit in diese Richtung durch Inlandsgeheimdienste etc wäre effizienter und effektiver als Fregatten irgendwo an der afrikanischen Küste herumgondeln zu lassen.
Es gibt auch da kein Entweder-Oder, das eine schließt das andere nicht aus, zumal auch die Fregatten ihren Beitrag zur Ermittlungsarbeit leisten können (bspw. Drohneneinsätze, SIGINT, etc.), auch wenn das natürlich nicht der Hauptgrund für einen Einsatz wäre.
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Zweifelsohne benötigt man einen ganzheitlichen Ansatz und ist jeder Versuch einer Lösung nur durch die Bündelung einer ganzen Reihe von Vorgehensweisen möglich.
Das reich von juristischen Winkelzügen über Begleit-Infanterie, Drohneneinsätze und Fregatten vor Ort bis hin zum gezielten Töten von Piraten bei jeder Gelegenheit. Und das Töten kommt in unseren heutigen Vorstellungen dazu meiner Ansicht nach zu kurz.
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