Israel
Und genau wie vorhergesagt, nachdem das Gesetz verabschiedet wurde hat Netanyahu angekündigt sich in den Reformprozess einzubringen und die Gesetzesvorhaben mit gewissen Veränderungen anzukündigen.
Anscheinend soll der umstrittene Override Clause, wonach die Knesset Entscheidungen des Obersten Gerichts mit einfacher Mehrheit kippen können in dieser Form nicht kommen.
https://www.jpost.com/breaking-news/article-735218

Die Generalstaatsanwältin hat draufhin prompt bekannt gegeben, dass Netanyahu mit dieser Ankündigung Recht gebrochen und die Anordnungen des Obersten Gerichts bezüglich seines Korruptionsprozesses gebrochen habe.
https://www.timesofisrael.com/ag-says-ne...rest-deal/

Ohne das zuletzt verabschiedete Gesetz hätte die Generalstaatsanwältin Netanyahu damit wohl des Amtes entheben können, jetzt ist der weitere Verlauf unklar, Klagen diesbezüglich sind vor dem Obertsen Gerichts anhängig.

Was jetzt besonders demokratisch sein soll, dem Premierminister ide Ausübung seiner Amtsgeschäfte aufgrund eines anhängigen Prozesses zu verbieten erschließt sich mir nicht vollständig.
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Die Unruhe scheint damit allerdings nicht von der Straße - und Entspannung deutet sich nicht an. Und falls das stimmt, was in diesem Artikel steht, dann leidet unter dem ganzen Tohuwabohu mittlerweile auch die Armee - und damit die außenpolitische Sicherheit des Landes...
Zitat:Stopp der Justizreform gefordert

Israels Verteidigungsminister stellt sich gegen Netanjahu [...]

Seit Wochen demonstrieren immer wieder Hunderttausende gegen das Vorhaben. Nun fordert der Verteidigungsminister ein Moratorium und einen neuen Dialog. Grund sind Sorgen um die Sicherheitslage im Land. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant hat die eigene Regierung zum Stopp der umstrittenen Justizreform aufgerufen. "Wir müssen den Prozess stoppen, um einen Dialog aufzunehmen", sagte Galant in einer überraschend angesetzten Ansprache. Er sprach von einem Zeitrahmen bis zum israelischen Unabhängigkeitstag am 26. April. Die nationale Sicherheit werde sonst schweren Schaden nehmen. [...]

Der Verteidigungsminister bezog sich in seiner Rede auf zahlreiche Fälle von Reservisten, die aus Protest gegen die Justizreform nicht zum Dienst erschienen.
https://www.n-tv.de/politik/Israels-Vert...12237.html

Schneemann
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Die Hysterie ist weiterhin schwer nachzuvollziehen, gerade wenn man mal einen Meter weiter denkt. Sicherlich ist die Justizreform alles andere als perfekt, der legislative Prozess gelinde gesagt ungeschickt inszeniert und zu etlichen Details kann man eine andere politische Meinung haben. Aber wirklich im demokratietheortischen Sinne problematisch waren/sind vielleicht ein, zwei Punkte, bei denen die Regierung auch vor Wochen schon Verhandlungsbereitschaft signalisiert bzw. von sich aus Abschwächungen angekündigt hat.

Als Reaktion da jetzt von Mitte bis Links einen Volksaufstand anzuzetteln, als hätte Netanyahu Soldaten die Knesset stürmen lassen erschließt sich mir nicht. Zumal es mir mittlerweile so vorkommt, dass da manche Kreise einen Militärputsch geradezu herbeiprotestieren wollen.
Der Slogan, dass man hier alternativlos Demokratie verteidigt klingt da sehr hohl, erst recht wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Rechte / Rechts-Religiöse Lager im politischen Israel insgesamt und erst recht unter der jüdischen Bevölkerung und gemäßigten Arabern (gemäßigt im Sinne von nicht antiisraelisch) eine handlungsfähige demokratische Mehrheit aufbieten kann. Auch und gerade wenn die politische Reizfigur Netanyahu irgendwann mal abtritt. Muss einen das gefallen? Sicher nicht, mir wären säkulare mitte-rechts Mehrheiten auch lieber. Aber die demographische und gesellschaftliche Entwicklung dort ist wie sie ist und letzten Endes bestimmt in einer Demokratie der, der politische Mehrheiten organisieren kann.
Insofern, wie soll das weitergehen, auch über den Tag hinaus? Es wäre für die Opposition durchaus möglich gewesen (ist es immernoch) auf die Justizreform konstruktiv Einfluss zu nehmen. Zumal - und das ist ja der Witz des Ganzen – es vor dieser Reform von Rechts einen recht breiten politischen Konsens bis tief in die Mitte hinein gab, dass eine Reform nötig ist. Stattdessen verrennt man sich in den Versuch einer Totalblockade.
Aber selbst wenn es am Ende gelingt Teile der Reform zu stoppen (realistisch betrachtet in die nächste oder übernächste Knesset zu verschieben) - war es das Wert, für ein Gesetzespaket, das jede zukünftige Knesset nach Belieben modifizieren können wird? Die Gesellschaft ist nun hochgradig polarisiert, die Gräben zwischen Links und Rechts, Säkularen und Religiösen, Askhenazi und Mizrachim sind so tief wie nie und an der politischen Demographie ändert sich nichts.

Und das ist die Realität: https://en.idi.org.il/media/19697/the-is...x-2022.pdf (ab Seite 25)
Nach dieser Studie identifizieren sich 62% der jüdischen Israelis mit der politischen Rechten. Bei den Wählern zwischen 18-24 sind es 65%. Bei den Wählern über 65 dagegen nur 38%. Gibt auch Umfragen die auch noch extremere Werte schließen lassen und der Netanyahu Block hätte bei Wählern zwischen 18 und 24 bei den letzten Wahlen auch eine Mehrheit von deutlich über 70 Sitzen gehabt - der Punkt aber ist, die politische Linke wie auch alles irgendwie Mitte-Links in Israel ist im freien Fall und daran wird sich so schnell wohl nichts grundlegend ändern.

Entsprechend - so beeindruckend die Massenproteste anzusehen sind und bei aller Zustimmung auch bis ins Mitte-Rechts Lager hinein - die politische Linke, die Säkularen, die Askhenazi müssen sich mit der Tatsache anfreunden, dass ihr politischer Einfluss weiter deutlich zurückgehen wird und sie ihre Einstellung zu legitimen Demokratischen Prozessen deutlich modifizieren müssen, wenn sie konstruktiv mitgestalten wollen.
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(26.03.2023, 12:24)Nightwatch schrieb: Aber die demographische und gesellschaftliche Entwicklung dort ist wie sie ist und letzten Endes bestimmt in einer Demokratie der, der politische Mehrheiten organisieren kann.

Demokratische Werte und Rechte sollten aber nicht demokratisch legitimiert ausgehebelt werden können, sondern den Rahmen für die politischen Entscheidungsmöglichkeiten bilden. Ansonsten wird das mit dem Demokratiebegriff durchaus schwierig. Ich sehe den Ursprung dieser "Hysterie", wie du das nennst, weniger in den konkreten Entscheidungen, als vielmehr in dem Bewusstsein, dass es um die Verschiebung von Grenzen geht und dem frühzeitig und deutlich Einhalt geboten werden müsse. Dementsprechend ist es auch egal, dass die Regierung die kritischsten Punkte weiter verhandeln würde und zu Kompromissen bereit sei, allein die Tatsache zählt, dass sie einen solchen für die Protestler entdemokratisierenden Weg eingeschlagen hat.
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"Demokratische Werte und Rechte" können und dürfen mit demokratischen Mehrheiten modifiziert werden, sogar zum deutlichen Nachteil des politischen Gegners. Stichwort Wahlrechtsreform in Deutschland.
Der Umstand andere Welt- und Wertevorstellungne zu haben rechtfertigt esnicht, den demokratischen Prozess durch Inszenierung eines Volksaufstandes mit Füßen zu treten. Es ist hier nach meiner Überzeugung vor allen Dingen die Opposition, die durch ihre Totalverweigerung ihrer Verantwortung gegenüber der Demokratie und dem Land nicht gerecht wird. Legitimer Protest gegen ein Reformvorhaben der politischen Mehrheit endet dort, wo der Staat in seinen Grundfesten angegriffen, in Frage gestellt und nach Befürchtung einer wachsender Zahl an Beobachtern bewusst zu Fall gebracht werden soll.

Ein wie auch immer geartetes subjektives Bewusstsein hinsichtlich der Verschiebung irgendwelcher Grenzen ist dabei Hysterie, wenn diese nebulöse Befürchtungen nicht mit fundierten juristischen Argumenten untermauern lassen. Und diese sehe ich - jedenfalls jenseits der Problematik der einfachen Mehrheit um Gerichtsbeschlüsse zu kippen - schlicht nicht.
Die Demokratien dieser Welt haben viele Ausprägungen, die Gewichtung und das Verhältnis der verschiedenen Verfassungsorgane ist oft grundverschieden. Tatsächlich nimmt Israel heute ob der Machtfülle der Judikative tatsächlich eher eine Ausnahmeposition ein, als es nach Verabschiedung der Reform der Fall wäre.

Bei Lichte betrachtet geht es darum auch überhaupt nicht. Der Säkularen, europäischen Linken geht die Düse, weil sie mit der Reform kaum eine Möglichkeit sehen, sich gegen die regliöse, mittelöstlichen Rechten im demokratischen Prozess zu behaupten. Abgesichts der demographischen Realitäten ist dieser Ansatz aber nicht unbedingt smart.
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(26.03.2023, 14:54)Nightwatch schrieb: "Demokratische Werte und Rechte" können und dürfen mit demokratischen Mehrheiten modifiziert werden, sogar zum deutlichen Nachteil des politischen Gegners.

Es war nicht meine Aussage, dass das nicht möglich sei, sondern nur, dass diese Modifikationen nicht grenzenlos sein können, selbst wenn sie mehrheitlich legitimiert wären. Das ist ein entscheidender Unterschied, und augenscheinlich geht es zumindest einen nicht unerheblichen Teil der Demonstranten genau um die Frage dieser Grenzziehungen. Dass daraus politisch kapital gezogen werden soll, in dem der eigene politische Nachteil als Demokratiefeindlichkeit dargestellt wird, ist weder neu noch ungewöhnlich, ändert aber auch an ersterem nichts. Genauso wie im übrigen die Legitimation demokratischen Protestes nicht per se beim Angriff auf den Staat selbst enden kann, weil dadurch jede undemokratische staatliche Entwicklung basierend auf Mehrheitsentscheidungen legitimiert werden würde - was schon rein logisch nicht demokratisch sein kann. Auch wenn das hier aktuell keine Rolle spielt, so lässt sich das halt nicht derart verallgemeinern.

Ich versuche nur zu erklären, worum es zumindest einem Teil der Menschen geht und warum diese derart aufgebracht sind. Auch wenn du das nicht so siehst, ändert das an deren Perspektive nichts. Wie das dann objektiv betrachtet aussieht, auch nicht. Wink
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Die Modifikationen sind insoweit grenzenlos, dass sie in einem demokratischen / verfassungsrechtlichen Rahmen durch entsprechende Mehrheiten nach Belieben vorgenommen werden können.
Die Situation in Israel spezifisch wird sicherlich dadurch verkompliziert, dass der verfassungsrechtliche Rahmen mehr als dürftig augestaltet ist. Das kann aber auch nicht als Begründung taugen, die Modifikationen pauschal als undemokratisch zu brandmarken. Zumal eben auch ein eigentlich solider verfassungsrechtlicher Rahmen breiten Spielraum zu völlig willkürlichen undwie manch Kritiker mein undemokratischen Gesetzesänderungen eröffnen kann - siehe wie schon bemüht die jüngsten Wahlrechtsänderungen in Deutschland.

Die jetzt in Israel zur Debatte stehenden Justizreformen ändern die demokratischen Spielregeln. Von mir aus schwächen sie auch 'die Demokratie' dort ingesamt, weil sie die Gewichtung der einzelnen Verfassungsorgande deutlich in Richtung der Legislative verschieben. Damit muss man nicht einverstanden sein, aber derartige Modifikationen liegen allemal in einem allgemein anerkannten demokratischen Rahmen. Wie schon gesagt, Demokratien können sehr unterschiedlich aufgebaut sein und von Washington DC bis Neu-Dehli gibt es eine Unzahl verschiedener Systeme die alle demokratisch sind. Und dazu würde auch ein Israel mit diesen Reformen zählen.

Insofern würde ich in einem Punkt klar widersprechen: Wenn der demokratische Staat in seinen Grundfesten angegriffen wird endet die Legitimation des demokratischen Protests auch dann, wenn die Demokratie durch einen legitimen legislativen Prozess geschwächt wird. Und zwar solange die demokratische Verfasstheit dabei insgesamt erhalten bleibt.
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Wenn Israel die Schweiz wäre und von zumindest ähnlichen Nachbarn umgeben wäre wie diese, so würde ich die genannten Fakten uneingeschränkt unterschreiben und den gesamten Diskurs einfach laufen lassen. Angesichts der Lage in Nahost aber und den bekannten Feindseligkeiten gewisser Mächte und Kreise gegenüber Israel kann man sich diese Detaildiskussionen indessen nur mehr sehr bedingt leisten.

Noch kann man sie sich leisten, zweifelsohne und zum Glück, aber sollte sich die Lage weiter verschärfen, so gilt es in allererster Linie die Funktionalität des Staates und der Streitkräfte zwecks der Verteidigungsbefähigung des Landes zu erhalten - egal ob das nun zu Ungunsten der Protestierenden oder der nationalreligiösen Kräfte in der Regierung (oder von beiden Seiten) geht. Hart gesagt...

Schneemann
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Die Funktionsfähigkeit des Staates kann nicht dadurch verteidigt werden, das man vor denen kapituliert die die Funktionsfähigkeit des Staates in Frage stellen oder direkt angreifen.

Das gilt erst recht für die Streitkräfte. Wenn Soldaten den Dienst verweigern weil ihnen irgendein Reformvorhaben der rechtmäßigen Regierung nicht zusagt muss durchgegriffen und Befehlsverweigerung geahndet werden. In einen demokratischen Staat dürfen die Streitkräfte nicht zum Instrument politischer Auseinandersetzung werden.

Netanyahu fires defense minister Gallant for calling to pause judicial overhaul
https://www.timesofisrael.com/netanyahu-...-overhaul/
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(26.03.2023, 21:53)Nightwatch schrieb: Die Funktionsfähigkeit des Staates kann nicht dadurch verteidigt werden, das man vor denen kapituliert die die Funktionsfähigkeit des Staates in Frage stellen oder direkt angreifen.

Das gilt erst recht für die Streitkräfte. Wenn Soldaten den Dienst verweigern weil ihnen irgendein Reformvorhaben der rechtmäßigen Regierung nicht zusagt muss durchgegriffen und Befehlsverweigerung geahndet werden. In einen demokratischen Staat dürfen die Streitkräfte nicht zum Instrument politischer Auseinandersetzung werden.

Netanyahu fires defense minister Gallant for calling to pause judicial overhaul
https://www.timesofisrael.com/netanyahu-...-overhaul/

Ich sehe es auch so dass sich die Regierung noch im demokratischen Rahmen bewegt. Da sehe ich das Wirken des Obersten Gerichtes wesentlich kritischer. Allerdings muss man bedenken dass das Militär in Israel einen außerordentlich gewichtigen Stand hat. Im Vergleich zu allen anderen westlichen Staaten dürfte das israelische Militär indirekt das höchste politische Gewicht haben. Nun gibt es in Israel die Wehrpflicht und man könnte meinen dass dadurch in etwa die ganze Gesellschaft in den Streitkräften abgebildet ist. Allerdings leisten im Regelfall Ultraorthodoxe, Muslime, Christen sowie Anhänger anderer religiöser Gruppen keinen Wehrdienst. Insofern werden somit mehr oder weniger gewichtige Gesellschaftsgruppen nicht im Militär abgebildet. Auch ist (für mich) unklar welche Ausrichtung im Generalstab vorherrschend ist. Würde sich dieser nun gegen die Regierung wenden halte ich es durchaus für möglich dass die Regierung das politisch nicht überleben wird. Möglicherweise sogar im Verbund mit anderen Sicherheitskräften.
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lime schrieb:Auch ist (für mich) unklar welche Ausrichtung im Generalstab vorherrschend ist.
Das höherrangige Offizierskorps bildet sich in deutlicher Mehrheit aus aschkenasische Juden und steht deutlich links der Mitte was auch die politischen Karrieren so ziemlich aller Ex-Generäle belegen. In der Luftwaffe ist das querschnittlich so (wohl hauptsächlich aufgrund des höheren Bildungsgrades), während die Kampftruppen und insbesondere die Infanterie dem deutlich rechten Spektrum zuneigen.

Zitat: Würde sich dieser nun gegen die Regierung wenden halte ich es durchaus für möglich dass die Regierung das politisch nicht überleben wird. Möglicherweise sogar im Verbund mit anderen Sicherheitskräften.
Das Sicherheitsestablishment im weiteren Sinne, in den Diensten ist die politische Ausrichtung noch deutlicher. Durchaus möglich, ja. Insofern war die Entlassung Gallants auch ein Fehler.
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@Nightwatch
Zitat:Die Funktionsfähigkeit des Staates kann nicht dadurch verteidigt werden, das man vor denen kapituliert die die Funktionsfähigkeit des Staates in Frage stellen oder direkt angreifen.

Das gilt erst recht für die Streitkräfte. Wenn Soldaten den Dienst verweigern weil ihnen irgendein Reformvorhaben der rechtmäßigen Regierung nicht zusagt muss durchgegriffen und Befehlsverweigerung geahndet werden. In einen demokratischen Staat dürfen die Streitkräfte nicht zum Instrument politischer Auseinandersetzung werden.
Ja, sicherlich. Das mag meinerseits auch ein etwas überzeichnetes Beispiel gewesen sein. Gleichwohl aber sehe ich immer noch gewisse Risiken, was die Stabilität des Staates betrifft.

Und zugleich stellt sich die Frage, ob man nicht den Anfängen zu wehren hätte? Dieses jetzige Machtspiel im Regierungs- und Justizapparat - das teils aus persönlichen Nickeligkeiten heraus entstand - bewegt sich, bei aller kolportierter Legitimation, entlang eines schmalen und sehr gefährlichen Grates. Noch kann es abgefedert werden, aber wenn sich die Kräfte noch ein klein wenig mehr verschieben, kann das ganze System abkippen in die Richtung eines Zerfalles oder eines prototheokratischen Systems. Beides ist wenig erstrebenswert. Und sollte dieser Punkt erreicht werden, dann bleibt die Frage offen, ob die derzeitigen, z. T. praktizierten Befehlsverweigerungen (die derzeit noch korrekterweise als illegitim anzusehen sind) nicht ausufern in eine allgemeine Revolte des Militärs? Und Netanjahu hat die verdammte Verpflichtung, als Regierungschef kein Öl ins Feuer zu gießen, sondern den Staat zusammenzuhalten und jegliche Entwicklung, die in diese Richtung des inneren Zerfalles gehen könnte, zu unterbinden. Tut er dies nicht, wird er scheitern, und mit ihm im schlimmsten Fall das Land...

Aktuelles dazu - möglicherweise nimmt Netanjahu die Reformvorhaben zurück:
Zitat:Generalstreik in Israel angekündigt – Netanjahu plant Rede an Nation

Die Debatte um die Justizreform in Israel spitzt sich zu: Die Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf, in der Regierungskoalition ist ein Streit entbrannt. Eine ursprünglich für 9 Uhr angesetzte Ansprache von Ministerpräsident Netanjahu wurde verschoben. [...]

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will sich Medienberichten zufolge am Montag zur umstrittenen Justizreform äußern. Es wird erwartet, dass Netanjahu einen Stopp der umstrittenen Pläne seiner rechts-religiösen Regierung ankündigen könnte. Die genaue Uhrzeit war zunächst jedoch unklar. Die nach Medienberichten ursprünglich für 09.00 Uhr (MESZ) geplante Ansprache verzögerte sich am Vormittag. Hintergrund soll ein Streit innerhalb der Koalition sein. Demnach kündigten mehrere Minister an, zurücktreten zu wollen, sollte Netanjahu ein Stopp der Reform ankündigen. [...]

Bereits in der Nacht hatte sich Netanjahu mit mehreren Minister seiner Koalition beraten. Zuvor waren Zehntausende Menschen in Israel auf die Straßen geströmt, um gegen die von Netanjahu angeordnete Entlassung von Verteidigungsminister Joav Galant zu protestieren. Galant hatte zuvor die umstrittenen Pläne öffentlich kritisiert und die Regierung zum Dialog mit ihren Kritikern aufgerufen. [...]

Der Dachverband der Gewerkschaften in Israel rief zudem am Montag vor dem Hintergrund der massiven Proteste gegen die umstrittene Justizreform zu einem Generalstreik auf. Betroffen ist auch der internationale Flughafen Ben-Gurion bei Tel Aviv.

„Ich habe den sofortigen Startstopp am Flughafen angeordnet“, sagte der Leiter der Arbeitergewerkschaft am Flughafen Ben Gurion, Pinchas Idan. Es wird erwartet, das Zehntausende von den Flugänderungen betroffen sind. Der Dachverband namens Histadrut rief zu dem „historischen“ Arbeitsstreik auf, um „den Wahnsinn“ der umstrittenen Justizreform der Regierung zu stoppen. Der Streik werde beginnen, sollte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keinen Stopp der Reformpläne ankündigen.
https://www.welt.de/politik/ausland/arti...Stopp.html

Schneemann
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Schneemann schrieb:Und zugleich stellt sich die Frage, ob man nicht den Anfängen zu wehren hätte?

Das wäre auf jeden Fall ein legitimes Unterfangen. Nur: Wie hätte das auszusehen? Ich meine sicherlich nicht so wie das, was dort aktuell dort stattfindet. Das hat mit Opposition gegenüber einem demokratischen Prozess nichts mehr zu tun sondern sondern ist die Tyrannerei des Mobs.
Aufgestachelt übrigens mit reichlich finanziellen Mittel und organisatorischen Support aus den üblichen globalistischen Kreisen.
Da geht es nicht um irgendwelche Detailfragen im Reformprozess dem man sich als Opposition eh von Anfang an verweigert hat, sondern mittlerweile sehr offen darum, eine nicht genehme Regierung zu erpressen, indem man dem Land möglichst maximalen Schaden zufügt.
Dem kann man nachgeben, aber der Illusion damit noch irgendetwas zusammenzuhalten sollte man sich nicht hingeben, wenn man die Verantwortung für dieses Fiasko allein dem Regierungschef zuschieben möchte.
Nicht von irgendwelchen neuen Gesetzen die jederzeit wieder kassiert werden können und auch noch längst nicht am Obersten Gericht vorbeigekommen sind geht hier die große Gefahr aus, sondern von denen, die bereit sind den Staat gegen die Wand zu fahren weil ihnen ein Gesetzesvorschlag oder der Regierungschef nicht passt.
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Und hier noch ein längerer und ganz guter Twitter-Thread zu den Hintergründen der Jusitzreform und den Entwicklungen im Land:
https://twitter.com/AviWoolf/status/1640308321327407104
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@Nightwatch
Zitat:"Demokratische Werte und Rechte" können und dürfen mit demokratischen Mehrheiten modifiziert werden, sogar zum deutlichen Nachteil des politischen Gegners. [...]

Das hat mit Opposition gegenüber einem demokratischen Prozess nichts mehr zu tun sondern sondern ist die Tyrannerei des Mobs.
Die Frage, die sich hierbei stellt, ist die, ob das aus beiden Blickwinkeln gilt? Aktuell regiert Netanjahu mit seinem Rechtsblock bzw. mit den Ultrareligiösen zusammen. Und ja, sie hätten eine Mehrheit, auch eine demokratisch legitimierte. Allerdings habe ich etwas Schwierigkeiten damit, wenn man die Protestierenden etwas generalisierend unter Verdacht stellt, sie seien nur ein rasender Mob. Den gibt es auch, zweifelsfrei, aber wenn man sich Videos zu den Protesten anschaut, so sehe ich meistens hier keinen tobenden Mob, sondern Menschen aus allen Schichten, von alten Menschen bis zu jungen Familien, die ihre Besorgnis zum Ausdruck bringen, dass das Land in eine Art intolerante Halbtheokratie abkippen könnte.

Und wenn die aktuellen Meldungen stimmen, so könnte es sein, dass - wenn jetzt Wahlen wären - die aktuelle Regierung keine Mehrheit mehr hätte (https://www.haaretz.com/israel-news/2023...67bf8d0000). Zwar sind jetzt keine Wahlen (noch nicht, mal abwarten, ob nicht bald eine Regierungskrise ansteht), aber die oben angeschnittene Frage wäre: Könnte ein Rechtsblock es auch umgekehrt verkraften, wenn es einen demokratisch legitimierten Versuch gibt, die Reformen wieder zu kippen? Rein theoretisch: Was, wenn Netanjahu seine Reform durchbringt, aber bei der nächsten Wahl ein Mitte-Links-Bündnis an die Regierung kommt, das die Reform dann demokratisch legitimiert wieder rückgängig macht? Würden die Rechten dann die Beine stillhalten und den demokratischen Prozess akzeptieren?

Und ich habe die Vermutung, dass die rechten Kräfte dann noch viel heftiger zum tobenden Mob werden würden, als die jetzigen Demonstranten. Denn ohne, dass es eine solche Konstellation gibt, und obwohl sie quasi noch an der Regierung sind, machen die Rechten schon jetzt ebenso mobil...
Zitat:Israel protests: Journalists, Arab taxi driver attacked by right-wingers

Journalists and politicians condemned the violence at the protest in Jerusalem on Monday. [...] Journalists from KAN and Channel 13, as well as an Arab taxi driver and anti-reform protesters, were assaulted by far-right protesters after a demonstration in support of the judicial reform in Jerusalem on Monday evening. [...] Additionally, during the protest on Monday, teenagers at the demonstration also threatened to "tear apart" a Jerusalem Post journalist who was taking footage of the protest.
https://www.jpost.com/breaking-news/article-735659

Diese Attacken auf Journalisten erinnern auch beinahe an die hiesigen Rechtsausleger. Kurzum: Ich habe meine Zweifel, ob die Akzeptanz demokratischer Mehrheitsfindungen von beiden Seiten verstanden wird.

Schneemann
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