27.08.2008, 21:29
ThomasWach schrieb:@ Erich.....ich denke, wir müssen schon etwas differenzieren;
Weiter. Wie sieht eine weitere politische Lösung aus? Dies hängt maßgeblich eben von Russland ab, welchen Weg es nehmen will. Sofern Russland den jetzigen Kurs fortsetzen will, sprich seine seit Jahrzehnten aggressive Rhetorik nun in die Tat umsetzen will, dann wird die bloße Präsenz internationaler Beobachter auch nichts nützen.
In meinen Augen muss man einfach abwarten, wie das ganze sich weiter entwickelt. Ich schaue da sehr gespannt nach Moldawien und in die Ukraine..
zur "weiteren politischen Lösung für Georgien" habe ich ja schon vor Tagen gepostet, dass gleichzeitig mit der Anerkennung der Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien eine konkrete Alternative kommen muss - und die ist für mich die Aufnahme Georgiens in die EU mit der Stationierung von EU (und ukrainischen und türkischen) Sicherheitskräften in den Gebieten, die derzeit von den Russen "bis zu einer internationalen Lösung" als Pufferzonen kontrolliert werden.
Das ist ein klares Signal an Russland - bis hierher und nicht weiter.
Die EU ist "die wirtschaftliche Alternative" und ein Anreiz, auch für die Abchasen und Osseten, sich eine Eingliederung nach Russland noch etwas zu überlegen.
Natürlich ist derzeit aufgrund der Diskussion um den EU-Grundlagenvertrag jede weitere Aufnahme anderer Staaten - insbesondere mit so unberechenbaren Staatenlenkern wie Saakaschwilli - nicht möglich. Wir brauchen diesen Grundlagenvertrag, um Handlungsfähig zu bleiben (ob das jetzt EU-Verfassung oder wie auch immer heissen soll, ist mir wurscht). Da habe ich dann doch die Hoffnung, dass sich "Sperrige Staatenlenker" und kritische Nationen gerade wegen der "höheren Einsicht" überwinden und nun doch zustimmen, um der EU entsprechende Handlungsfähigkeit für die Zukunft zu sichern. Aber: wir können ungeachtet dieser Diskussion und Abstimmung sämtliche Vorbereitungen für eine Aufnahme (inclusive der unterschriftsreifen Verträge) treffen.
Im Prinzip wird damit das Hasard-Spiel Georgiens belohnt, ja, leider - aber unsere europäischen Interessen an der Region lassen keine andere Alternative zu, als Saakaschwilli so an den "kurzen Zügel" zu nehmen.
Die NATO halte ich wegen des georgischen Militärschlags gegen Südossetien dagegen für keine Alternative. Das würde mit dem Harardeur Saakaschwilli an der Seite der NATO ein zu großes Sicherheitsrisiko bedeuten - da wären wir jetzt im Krieg mit Russland.
Nun zu den anderen Themen:
Ukraine (Krim und Ostukraine) ist ein weiteres Konfliktpotential. <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.sueddeutsche.de/politik/65/308013/text/">http://www.sueddeutsche.de/politik/65/308013/text/</a><!-- m -->
Zitat:27.08.2008 17:30 Uhraber es besteht nicht so ein akuter Handlungsbedarf wie in Georgien. Gerade die Separation von Abchasien und Südossetion gibt uns aber die Möglichkeit, auch mit der Ukraine zu verhandeln - über eine zunächst priveligierte Partnerschaft mit der EU (mit Optionen auf Weiteres) und hier sogar über einen NATO-Beitritt.
Kaukasus-Konflikt
Furcht vor russischer Aggression
Der Westen ist besorgt - und warnt Moskau vor dem Griff nach der Krim.
Von Daniel Brössler und Stefan Braun ....
Alleine die Verhandlungen wären hier schon ein starkes Signal ... und im Übrigen auch eine Alternative für die russische Bevölkerung, da die EU immer noch als der "goldene Westen", das Land der gebratenen Tauben gilt. Je realistischer diese Alternative ist, desto eher haben auch die in der Ukraine lebenden Russen Interesse, bei der Ukraine zu bleiben.
Letzendlich muss dann sowohl in der Ukraine wie auch in der EU eine möglichst breite Zustimmung - ggf. in Form einer Volksabstimmung - erfolgen.
Und bei der Gelegenheit: ich halte nicht viel von Grenzen, die ethnsich geschlossene Gebiete trennen. Die Ereignisse im Kaukasus bestärken mich in diesem Eindruck. Die insbesondere unter Stalin gezogenen künstlichen Grenzen bergen viel zu viel Konfliktpotential, als dass man sie geen den Willen der Bevölkerung (mit Gewalt) aufrecht erhalten könnte.
Eine Volksabstimmung über den EU-Beitritt in der Ukraine müsste gleichzeitig den russisch besiedelten Gebieten die Option eröffnen, sich für einen Beitritt an Russland auszusprechen.
Der Kälteeinbruch in der internationalen Politik, den dier georgische Militärschlag gegen Südossetien hervorgerufen hat, ist im Baltikum noch viel stärker zu spüren als im westlichen Europa.
Estland, Lettland, Litauen und Polen brauchen auch psychologisch die Rückendeckung Europas.
Das heisst: gemeinsame, gemischte Brigaden mit Soldaten aus "Kerneuropa" müssen die "Aussengrenze" sichern. Der (psychologisch verständlich) gefürchteten "Rückkehr der Russen" kann - und muss - durch eine entsprechend hohe "Schwelle" ein Riegel vorgeschoben werden. Diese Schwelle wäre gegeben, wenn eine Intervention Russlands zwangsläufig zum Konflikt mit Streitkräften aus "Kerneuropa" führen würde - vor allem mit Briten, Franzosen und Deutschen, die ersteren auch als Atommächte, die letzteren als eine gut gerüstete Militärmacht, die endlich auch einmal Verantwortung zum Schutz der Nachbarn übernimmt und damit die alten Geschichten korrigieren kann.
ThomasWach schrieb:Und zu deiner Frage, warum das Georgien tut: Nun, sehr einfach. Aus deutscher Perspektive mag das nicht ganz so leicht verständlich, natürlich auch aus russischer, aber es gibt eben einige Völker in Ostmitteleuropa und dem Kaukasus, die darauf zurückschauen können, wie sie vor 200 Jahren gewaltsam in den Einflußbereich Russlands kamen und wiederholt versuchten, sich zu lösen von der Fremdherrschaft. Für sie ist und bleibt Russland, insbesondere bei seiner aggressiven Rhetorik, die es nie verloren hat, ein gefährlicher unberechenbarer Gegner.diese historischen Entwicklungen gelten aber genauso auch für die Osseten und Abchasen - und für zig weitere Völker im Kaukasus.
Und da in den letzten Jahren Georgien unter Saakschwili in bisher nicht gekanntem Maße für Russland gen Westen, orientiert, stieg die georgische Nervosität eben, eben auch in dem Maße, mit dem die Provokationen und Unruhen an den umstrittenen Grenzen und Gebieten stiegen. Zudem muss man eben auch deinem Argument, dass Russland früher auch bei einer schwachen Armee nichts unternommen hat, klar entgegenhalten: Früher unter Schewardnadse war Georgien zwar nicht unbedingt kremltreu, aber doch nicht dezidierter und ambitionierter NATO-Apirant. Im Rahmen der Neuausrichtung wurde daher auch für das eigene Selbstverständnis als unabhängige und freie Nation neben der Ausrichtung auf die NATO, neben der Herstellung der territorialen Integrität eben auch der Versuch der militärischen Konsolidierung und Aufrüstung wichtig. Das muss man im Kontext der gesamten politischen Entwicklung sehen, sprich der georgischen Westorientierung und der Stärkung Russlands unter Putin durch die Petrodollars und das immer stärker intensivierte russ. Muskelspiel.
Das ist der Kontext..
Georgien ist immerhin noch Anfang der neunziger Jahre der GUS beigetreten, und die Waffenstillstandsverträge (1992 in Südossetien und 1994 in Abchasien) wurden unter aktiver Beteiligung der Russen vermittelt. Moskau stellte damals in Übereinstimmung mit Georgien die (leicht bewaffneten) Friedenstruppen, die die Einhaltung der Waffenruhe überwachen solten.
Russland hat noch Mitte der neunzige Jahre gemeinsam mit Georgien die wirtschaftliche und politische Isolierung Abchasiens betrieben und die gesamte GUS 1996 für diese Politik gewonnen. 1997 versuchte Russland sogar, die Abchasen zur Rückkehr unter die georgische Regierung zu gewinnen. Die Heißsporne auf beiden Seiten - georgische und abchasische Milizen - haben diesen Versuch durch die Kämpfe 1998 zunichte gemacht.
Tatsache ist, dass erst mit Saakaschwilli - der im Übrigen durch einen Umsturz und nicht durch demokratische Wahlen nach Schewardnadse an die Macht gekommen ist - die rhetorische Gewalt und die Aufrüstung de Georgier zugenommen hat, und gleichzeitig das Verhältnis zu den Abchasen und Osseten immer mehr belastet wurde.
Und in diese zunehmende Belastung ist Russland vorgestoßen - etwa mit der Aushändigung russischer Pässe an die Bevölkerung Südossetiens.
Saakaschwilli hat drei Dinge falsch eingeschätzt:
a)
er hat die Bereitschaft des Westens, insbesondere der USA zu einem eigenem militärischen Engagement weit überschätzt und
b)
er hat übersehen, dass Moskau mit der Niederschlagung des seperatistsichen Aufstandes der Tschetschenen kein eigenes Interesse mehr an der Unterdrückung von Separatistischen Bewegungen hatte.
c)
ThomasWach schrieb:Dennoch scheint wohl Saakschwili einerseits bei aller starken Rhetorik des Kreml nicht mit einer so schnellen und so entschiedenen Reaktion des Kreml gerechnet haben, bzw. genauer formuliert, hoffte er wohl darauf. Der Rest war eine Mischung aus Verzweiflung, Angst, Panik, übereilten Aktionen und Flucht nach vorn. Man könnte letztlich auch zusammenfassend sagen, Georgien beginn aus Angst vor dem Tod Selbstmord, ein Motiv, das in der Sozialpsychologie im übrigen sehr oft zitiert wird..Saakaschwilli hat die Zunahme der Spannungen in Südossetien für einen "Bluff der Russen gehalten. In einem Interview mit der Zeitung "Libération" hat er erklärt, er habe immer geglaubt, Russland habe zwar Interesse an Abchasien, halte Südossetien aber "für ein Territorium ohne Bedeutung". Deshalb sei er zu dem Schluss gelangt, er könne die Auseinandersetzungen in Südossetien "rasch beenden".
Diese absolute Fehleinschätzung ist für mich unverständlich. Die Ausgabe russischer Pässe an die Südosseten belegt bereits das Gegenteil. Russland hat auch gerade wegen der Pipelines, die knapp südlich von Südossetien verlaufen (und den Russen ein "Dorn im Auge" sind) großes Interesse, sich möglichst nah an die Pipelines heranzuarbeiten.
Südossetien ist für die Russen wichtiger als Abchasien, kurz gesagt.
Und Russland hat aufgrund der Teilung des ossetischen Siedlungsgebietes zwischen Russland und Georgien die ideale Ausgangsbasis.
ThomasWach schrieb:Und was übrigens die Zerstrittenheit der NATO angeht: Nun, die wird bleiben, ganz einfach. Solange die einzelnen Fraktionen auf ihrer Sicht beharren wird das eben nichts. Und die Positionen zu Russland sind eben sehr unterschiedlich. Wie dies sich entwickeln wird, weiß ich nicht. Aber dies hängt, wie gesagt, stark an Russland...dazu möchte ich mich doch einem Kommentar der Süddeutschen anschließen:
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Zitat:27.08.2008 17:35 Uhrich bin überzeugt: die Krise im Kaukasus wird die Europäer mehr zusammen bringen, die Handlungsfäigkeit der Europäer - und damit letztendlich Europa stärken.
Kaukasus-Konflikt
Gehemmter Tatendrang
In der Georgien-Krise muss Europa den Westen führen - und hat erst einmal mit sich selbst zu tun.
Ein Kommentar von Nico Fried
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Der Westen - was so homogen klingt, ist in Wahrheit ein äußerst heterogenes Gebilde: Weil zum Westen inzwischen einige Länder gehören, die vor zwei Jahrzehnten noch Osten waren, was ihre Sicht der Dinge in besonderer Weise definiert; weil der Westen im Widerspruch zu eigenen Prinzipien den georgischen Präsidenten Saakaschwili protegiert, der selbst massiv zur Krise beigetragen hat; vor allem aber weil die Führungsmacht Amerika ausfällt. Eine militärische Reaktion wäre Irrsinn, politisch jedoch sind die USA gelähmt: Der Präsident hat seine Kräfte und seine Glaubwürdigkeit verbraucht. Seine potentiellen Nachfolger können zwar viel reden, haben aber noch nichts zu sagen.
Bleibt als ernstzunehmender Akteur - wer hätte das gedacht - nur die Europäische Union. 27 Staaten, fast ebenso viele Interessen, innenpolitische Rücksichten, historische Prägungen - ein starker Akteur sieht definitiv anders aus. Wenn es wirklich noch eines Beweises für die Notwendigkeit bedurft hätte, die Integration der Europäischen Union gerade in der gemeinsamen Außenpolitik zu forcieren, dann hat ihn der Konflikt in Georgien jetzt schon erbracht.
Es ist aber nicht nur die eigene Diversität, die Europa hemmt, es ist glücklicherweise auch der Konsens, auf eine militärische und politische Maßlosigkeit nicht mit denselben Mitteln zu antworten. Was nach Schwäche aussieht, ist ein Wert an sich. Russlands Aggression in Georgien ist genau jenes Verhalten aus vergangenen Zeiten, deren Überwindung die Existenzgrundlage der EU darstellt - nach innen wie nach außen.
Europa und die USA haben deshalb gemeinsam nur die Möglichkeit, Moskau von dem Schaden zu überzeugen, den es sich mit jeder weiteren Eskalation selbst zufügt: politisch, aber auch wirtschaftlich. Das Instrument des Westens dafür ist der Dialog, eine wichtige Ressource die Geduld und das entscheidende Argument die gegenseitige Abhängigkeit. ......