03.10.2008, 18:10
Schneemann schrieb:....Schneemann, Deine Ausführungen sind mehr als Bedenkenswert; ich bin aber auch gerne der "advocatus diaboli", derjenige, der nachfragt und hinterfragt - und ich frage nach, ob "die Furcht vor einem kommunistischen Staatstreich" nicht oft vorgeschoben war, ein Vehikel, das nur dazu diente, die US-Einflusssphäre zu erhalten und mit - zumindest nicht ethnisch hochstehenden - Regierungen wie etwa Militärdiktaturen in Südamerika (Chile, Argentinien ...) oder Südostasien (Vietnam) zu paktieren.
Es lässt sich also ein roter Faden ziehen quer durch alle Einmischungen: Fast immer, wenn der Westen oder die USA die Finger bei einem Umsturz im Spiel hatten, stand die Furcht vor einem kommunistischen Staatstreich weit im Vordergrund. Inwieweit die kommunistische Gefahr nun tatsächlich bestanden hat, darüber lässt sich streiten. Aber ohne diese Gefahr wäre es wohl nur zu den wenigsten Einmischungen gekommen. Insofern lässt sich aus den genannten Beispielen kein Herrschaftsanspruch ableiten, sondern eher ein Reagieren gegenüber einer Bedrohung. Und das sollte ja nun erlaubt sein...
In einem späteren Post werde ich auf Kosmos antworten.
Schneemann.
Ich kann - beim besten Willen - beispielsweise ausser Che und seiner einsamen Truppe in Südamerika nirgends eine historisch reale kommunistische Gefahr entdecken, und sogar Vietnam war im Endeffekt viel mehr eine national geprägte Gegenbewegung gegen französischen (und später amerikanischen Neo-) Kolonialismus als kommunistischer Umsturz.
Im Irak und derzeit in Afghanistan geht es auch nicht mehr um Kommunismus. In Afghanistan lässt sich vielmehr ein Wandel der Begründungen für US-Interventionen beobachten. Zuerst ging es gegen die bösen Sowjets, die Afghanistan (aus Angst vor islamischen Fundamentalisten) erobert hatten, und jetzt geht es gegen die Taliban, die von den USA und Pakistan sowie saudischen Mullahs aufgebaut wurden und die - bis zuletzt - der verlängerte Arm der pakistanischen Regierung in Afghanistan waren.
Und ich frage mich, ob nicht der "islamische Fundamentalismus" inzwischen zu einem ähnlichen Vehikel, zu einer Schimäre geworden ist, um damit alle möglichen Interventionen zu begründen - die eigentlich nur der Machterhaltung der USA dienen.
"Freiwillig" ist auch so eine Frage:
Nicht, dass die USA nicht vielfach sogar gerufen wurden (was man ja auch von der Saddam-Opposition vor der Irak-Invasion sagen könnte), aber willfährige Gruppierungen, die eine fremde Macht zu Hilfe rufen, finden sich immer, und wenn man die Gruppierung zuerst noch aufbauen muss, sie wird sich finden.
Und wenn diese Gruppierung dann an der Macht ist, dann hat man ja einen wunderbaren Verbündeten ....
Zur aktuellen Einschätzung möchte ich auch einen sehr nachdenklichen Kommentar aus der FAZ zur Einsichtnahme empfehlen:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.faz.net/s/Rub0A1169E18C724B0980CCD7215BCFAE4F/Doc~E06B8F3D31C31455CBEA0458824207E7A~ATpl~Ecommon~Scontent.html">http://www.faz.net/s/Rub0A1169E18C724B0 ... ntent.html</a><!-- m -->
Zitat:George W. Bush
Nehmen Sie die embryonale Stellung ein!
Von Frank Schirrmacher
03. Oktober 2008 Vielleicht ist das Schlimmste nicht das, was George W. Bush uns genommen hat, sondern das, was er uns gegeben hat. All die Abschiede von ihm, von Washington, von Amerika sind nichts anderes als ratlos hinausgezögerte Verluste unserer Illusionen. Und sind selbst eine Illusion. Denn das Entscheidende, das er uns hinterlässt, kann man nicht loswerden. Bush hat die Demokratien begrifflich versklavt, indem er ihr Verfassungs-Vokabular von der Freiheit bis zur Menschenwürde als Mittel seiner undurchschaubaren Herrschaftspraxis benutzte. Abschiede von der Treue zu den Vereinigten Staaten, ihren Apotheosen des Wohlstands und ihrer Macht, wie es in allen Zeitungen steht? Wir haben dafür etwas bekommen, von dem wir uns nicht mehr verabschieden können: die beschämende Erfahrung der tiefen Untreue gegen uns selbst, das überwältigende Erlebnis der Ohnmacht, eine Identitätsverschiebung, wie sie die Annalen freier Gesellschaften nicht kennen.
...
Angriff aus dem Inneren
Die westlichen Gesellschaften haben mit allem gerechnet, aber nicht mit diesem Angriff aus dem Inneren. Er ist geradezu unglaublich umfassend, beginnend mit den rhetorischen Vorbereitungen zum Krieg gegen den Irak, über die Klimapolitik, den Angriff auf die Verfassung, die alle geistigen und wissenschaftlichen Bereiche erfassenden Überwachungssysteme bis zur Implosion des Finanzsystems. Das riesig aufgetürmte Angstsystem der Bedrohung von außen entpuppt sich als Affektverschiebung der Angst vor dem Innersten, die Kriegserklärung an den Terrorismus hat längst Züge einer Kampfansage an das überlieferte europäische Menschenbild.
Dieser Präsident hinterlässt sämtliche Demokratien der Welt in einem zutiefst traumatisierten Zustand,
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„In den sich ständig wiederholenden Reden, Erklärungen, Pressekonferenzen und Drohungen“, schreibt John Berger, „sind die immer wiederkehrenden Begriffe Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Terrorismus. Jedes dieser Wort bedeutet in seinem Kontext exakt das Gegenteil, was es einst bedeutete. Jedes ist getrafficked worden, jedes ist ein Mafia-Wort geworden, das der Menschheit gestohlen worden ist.“
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und wenn man den Text ganz gelesen hat, gelesen und bewältigt, dann fragt sich zumindest ein alter Esel wie ich mit seinen jahrzehntelangen Erfahrungen, ob Bush nicht den logischen Schlusspunkt einer Entwicklung bildet, die schon seit Jahrzehnten begonnen hat und immer wieder in neuen Schritten vorangetrieben ist.