Global Trends 2025 (Studie)
#14
Dem wirtschaftlichen Leistungsvermögen der Vereinigten Staaten von Amerika nähert man sich als Europäer wohl am Besten im Vergleich mit europäischen Staaten.

Kalifornien ist der wirtschaftlich stärkste Bundesstaat und damit Deutschland innerhalb der EU vergleichbar - sowohl was die wirtschaftliche "Führung" wie auch das BIP der beiden Staaten betrifft. Großbritannien - Europas zweitmächtigste Wirtschaftsmacht - entspricht dem Bundesstaat New York jenseits des Atlantik, allerdings mit einem deutlich höheren BIP. Das französische BIP ist doppelt so groß wie das von Texas, der drittstärksten Wirtschaftskraft in den Vereinigten Staaten, und auch Italien als viertstärkste Wirtschaftsmacht Europas übertrifft das BIP von Florida, dem viertstärksten Staat der USA. Spanien übertrifft Illinois, die Niederlande übertreffen New Jersey, Schweden übertrifft den Staat Washington usw.; die USA liegen in der Summe vor Europa - aber nur, weil sich dort die Wirtschaftskraft von wesentlich mehr Staaten summiert als das in der Europäischen Union der Fall ist.

In den USA konzentriert sich die Wirtschaftskraft zudem auf eine Region, die sich über rund 750 km von Boston bis Washington erstreckt. In dieser eng begrenzten Region, die nur 3 % der gesamten Staatsfläche der USA aufweist, leben 20 % der US-Amerikaner, die zusammen genommen ein BIP von 2,3 Billionen Dollar erwirtschaften. Dieses Kerngebeit der Vereinigten Staaten ist das wirtschaftliche Herz Amerikas. Der Großraum Michigan mit Cleveland, Detroit, Indianapolis, Chicago und Minneapolis folgt mit 1,683 Bio. $, und das kanadische Ontario und Toronto mit Buffalo (USA) schließt die Verbindung zum Wirtschaftsgroßraum Ostküste. Hier treibt die Nachfrage von Millionen den Konsum und den Absatz der Unternehmen, hier summiert sich die Kreativität von Millionen im Wettbewerb um die Kundschaft, hier wird über den wirtschaftlichen Niedergang - oder die Wachstumsrate - der ganzen Nation entschieden.

Einen vergleichbaren Wirtschaftsgürtel findet man in Europa - von England (1,225 Bio. $) über Paris (327, 4 Mrd. $), die Benelux-Staaten und das eng verflochtene Ruhrgebiet mit Köln (1,668 Bio. $) mit Verbindung nach Hannover, Bremen und Hamburg sowie Frankfurt, Mannheim, Stuttgart und München in Süddeutschland (622,85 Mrd. $) und weiter nach Norditalien (Mailand, Turin), Rom und Neapel (1,272 Mrd. $).

Die USA sind also in vielem der EU vergleichbar - schneiden aber im Einzelvergleich dann auch schlechter ab als - summarisch - die EU. Die Wirtschaft der USA ist dazu von zwei strukturellen Schwächen belastet: einem jährlich immer mehr steigenden gigantischen Defizit in der Handelsbilanz und einem immer mehr ausufernden Rüstungsetat, was zu einer immer stärkeren Auslandsverschuldung führt. Trotz desaströser wirtschaftlicher Daten (FTD 29.08.2008) "war es für sie (die USA) auch kein Problem, über die vergangenen zehn Jahre ein Leistungsbilanzdefizit von kumuliert 5.177 Mrd. $ zu stopfen." Die US-Regierung ist so inzwischen nur mehr zahlungsfähig, wenn Drittländer - und dazu gehören immer mehr die Schwellenländer China und Indien, aber auch Japan und Russland - ihre Bilanzüberschüsse in amerikanischen Anleihen anlegen, oder wenn die Druckereien angeworfen werden, um neue Dollar zu produzieren. Beides ist für eine Wirtschaftsmacht auf die Dauer nicht durchzuhalten. Die Abhängigkeit von ausländischen Krediten schwächt die eigene Wirtschaft, schränkt die Bewegungsfreiheit gegenüber den "Kreditgebern" ein, macht erpressbar - zumal mit dem Euro eine attraktive Reservewährung zur Verfügung steht. Der Druck neuer Dollar heizt aber die Inflation an.

Amerikas Verhältnis zum Kapital ist dabei unbelastet von den sozialethischen Maßstäben in Europa. Der Reichtum wird als Ergebnis harter Arbeit gewertet - die jedermann zur Verfügung steht. Wer es also nicht "vom Tellerwäscher zum Millionär" schafft, hat mehr oder weniger "selbst schuld". Aus dieser Einstellung reduziert ein völlig unzureichendes rudimentäres Sozialsystem, das einen Großteil der US-Bürger ohne effektive Krankheits- und Altersvorsorge lässt.

Dazu kommt eine massive Verschuldung auch der privaten Haushalte - der eine auf "Null" tendierende Sparquote gegenüber steht. Die Kreditkrise Ende 2007 führte zu einem massiven Einbruch im Immobilienmarkt und zwang die US-Zentralbank, die Kreditzinsen niedrig zu halten um weitere Zahlungsausfälle zu vermeiden. Die US-Bürger leisten sich im Schnitt einen hohen Lebensstandard, die Konsumgüter werden aber nicht der eigenen Wirtschaft produziert sondern stammen aus dem Ausland - vorwiegend und zunehmend aus Ostasien und den südlichen Nachbarstaaten (Mexico und Venezuela - Öl). Amerika lebt "über seine Verhältnisse". Solange der US-$ die einzige "Weltwährung" war, die einzige "Anlagewährung" war das zu schultern - der durch das Handelsdefizit ausgelöste und verstärkte Wertverfall des Dollar führt aber zu Umorientierung der Anleger auf dem internationlanen Finanzmarkt.

Die Regierung Bush jr. hat 700 Milliarden Dollar im Irak-Krieg verfeuert, und dieselbe Summe zur Stabilisierung der Wall Street Banken in der Finanzkrise 2008 bereit gestellt. Die Top-Manager erzielen Spitzengehälter, die das 360-fache des Durchschnittslohnes ausmachen. Die Einkommensentwicklungen der Mehrheit der US-Bürger halten nicht einmal mehr mit der Inflationsrate mit. Während Kapitalerträge nur mit 15 % besteuert werden, wird das Arbeitseinkommen - also das Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung - mit 35 % geschröpft. Rund 46 Millionen US-Bürger leben ohne Krankenversicherung. Die derzeitige wirtschaftliche Situation in den USA (Stand: Sommer 2008) erinnert an die Zeit vor dem Börsencrash 1929. Auch damals fiel der Anstieg der Löhne geringer aus als der Produktivitätsanstieg. Die "Superreichen" 1 %o der Amerikaner verfügte 1929 über genauso viel Vermögen wie die 46 % am unteren Ende der Einkommenspyramide. Erst durch die massiven Investitionen der Regierung Roosevelt (ab 1932) konnte die US-Wirtschaft wieder Schritt fassen. Der "New Deal" verschaffte den USA über 651.000 Meilen neuer Straßen, über 124.000 neue Brücken, über 8.000 Parks und über 850 neue Flugplätze.

Und heute (2008)?

"Stromausfälle, einstürzende Brücken, berstende Deiche: Seit Jahrzehnten geben die Amerikaner zu wenig Geld für die Infrastruktur aus. Eine Gefahr für die Wirtschaft - und für Leib und Leben."
(FTD - 20.06.2008)

1.600 Mrd. $ müssten von 2009 bis 2014 investiert werden - so die Financial Times - um die Infrastruktur, die Lebensadern des Landes wieder in Schuss zu bringen. Während sich aber China "den Aufbau von Transport-, Strom- und Datennetzen neu Prozent seines BIP kosten" lasse, "Indien fünf Prozent", seien es in den USA seit zwei Jahrzehnten nur noch zwei Prozent. Diese Investitionen würden nicht einmal ausreichen, den bestehenden Zustand zu erhalten.

Exemplarisch - die Eisenbahn?
Anfang des 20. Jahrhunderts war die Eisenbahn das Verkehrsmittel Nummer 1 in den USA und das Schienennetz breitete sich rasend aus. Während aber in anderen Regionen - etwa in Japan oder Europa - die Eisenbahn auch und gerade im Personenverkehr nie an Bedeutung verloren hat, sich mehrere Hersteller ein "Wettrennen um den schnellsten Zug" lieferern und sich auch aufstrebende Mächte wie China internationale Spitzentechnologie einkaufen, hat die Bedeutung des Bahnverkehrs in den USA stark nachgelassen. Die großen Entfernungen zwischen den Bevölkerungszentren und der billige Treibstoff machten es möglich: an die Stelle der Eisenbahn traten Fluglinien und der Individualverkehr. Die gewaltigen Bahnlinien dienen heute fast ausschließlich dem Güterverkehr. Lediglich in den Ballungsräumen - etwa in New York oder Chicago wird ein rumpelndes Pendlernetz für die Personenbeförderung unterhalten. Echte "Fernverkehrszüge", die den Vergleich mit europäischen Hochgeschwindigkeitszügen standhalten, gibt es in den USA praktisch nicht. Lediglich zwischen Washington, New York und Boston wird mit dem Acela (auf Basis des französischen TGV) ein entsprechender Verkehr aufrecht erhalten. Darüber hinaus hat der (kanadische!) Hersteller Bombardier zusammen mit der Federal Railroad Administration im Oktober 2002 in Washington eine Lokomotive für den Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgestellt, den Jet-Train. Die nicht mit Strom aus der Oberleitung versorgte Lokomotive wird durch eine Jet Turbine dieselelektrisch angetrieben. Damit sollen die vielen nicht elektrifizierten Strecken der US-Bahngesellschaft AMTRAK für den HGV-Verkehr erschlossen werden. Dazu müssten aber auch die Gleisanlagen umfassend erneurt werden. Die USA haben einen "Milliardenmarkt" verschlafen.

Exemplarisch - Automobilindustrie:
Die US-Automobilindustrie steht exemplarisch für die amerikanische Industriegesellschaft. Die "Big Three" kommen seit Jahren nicht mehr aus den negativen Schlagzeilen.

Ford hatte im Jahr 2006 ein Minus von 12,6 Mrd. $ zu verkraften, bei General Motors waren es 1,9 Milliarden, und auch die Bilanzen von Chrysler schauen nicht rosig aus. Dementsprechend haben die Automanager reagiert wie alle anderen Unternehmer auch: Kosten sparen durch Stellenstreichung!

Ford hat von 1990 bis 2006 die Zahl der Mitarbeiter von 370.000 auf 245.000 reduziert, 44.000 waren es 2007 - und 13.000 sollen im Jahr 2008 folgen. GM hat von 1990 bis 2006 die Zahl der Stellen von 767.000 auf 266.000 reduziert - und will 2008 weitere 46.000 Stellen streichen. Und Chrysler hat seinen Beschäftigtenstand von 110.000 auf 71.600 zusammen gestrichen. Die US-Konzerne bewegen sich damit entgegen gesetzt zu globalen Trends. Der US-Anteil am KFZ-Markt sinkt immer weiter, während sich europäische und ostasiatische Konzerne vor allem in Brasilien, China, Indien und Russland immer neue Werke gönnen. Ursächlich ist sicher auch eine verfehlte Modellpolitik. Die amerikanischen Hersteller reagieren nicht mit geringeren Verbrauchskosten und Alternativenergien auf steigende Ölpreise, sondern drängen die US-Regierung unter der Führung von Politikern, die ihre Wirtschaftserfahrungen in der Ölindustrie gemacht haben, für noch mehr "billiges Öl" zu sorgen. Damit sind die spritfressenden US-Automobile im Rest der Welt aber immer weniger absetzbar. Die Kreditkrise, die allgemeine Konjunkturabschwächung und die auch in den USA immer mehr ansteigenden Kraftstoffpreise treiben die Käufer aber nicht gerade in rauhen Mengen zu den heimischen Autohändlern.

Die Privathaushalte in den USA sind überschuldet - genauso wie die US-Staatsfinanzen. Der letzte von Präsident Bush jr. vorgelegte Etatentwurf würde für 2008 mit 410 Milliarden Dollar ein mehr als doppelt so großes Defizit wie 2007 aufweisen, als es 163 Milliarden Dollar betrug. Die Gelder werden aber nicht investiert, um neue Wirtschaftsinvestitionen anzukurbeln.
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