Entfremdung in der Nato - der große Graben
Kosmos schrieb:
Zitat: warum hatte man keine andere Wahl?
Weil das System am Kollaps stand und sämtliche bisher beherrschte Staaten nach Freiheit verlangten. Eine weitere Unterdrückung hätte einen Bürgerkrieg bedeuten können.
Zitat:1989 ging es den Russen viel besser als 1956, oder 1945, warum da nicht einfach mit Panzern "niederwalzen"?
Den Satz verstehe ich logisch nicht ganz, den ersten Teil natürlich schon, der zweite Teil lässt aber keine passende Zuordnung zu einer Aussage zu, warum sollte wo nicht einfach mit Panzern was niedergewalzt werden?
Zitat:Vielleicht ist der Grund, der wichtigster Grund überhaupt dass "die Russen" es nicht mehr wollten?
Nun ja, was heißt wollten? Es war wohl eher so, dass man nicht mehr konnte. Das System war logistisch, finanziell, infrastrukturell einfach am Ende.
Zitat: so so, also es waren russische Panzer? Und wieviele?
So etwa 10000-20000 Panzer die damals der sowjetischen Armee in der Nähe zur Verfügung standen?
Irgendwie kommischer Versuch "neu entstandenen baltischen Demokratien niederzuwalzen"?
Nein, weil es macht einfach keinen strategischen Sinn, gegen ein kleines Land 10.000nde Panzer einzusetzen, das sich zudem aufgrund der Größe leicht umfassen lässt. Es geht hier insofern nicht darum, einen Versuch des Niederwalzens an der Zahl der eingesetzten Panzer zu definieren. Entscheidend ist, dass der Versuch unternommen wurde, die Freiheitsbestrebungen in Litauen mit Gewalt abzuwürgen durch den Einsatz von Panzern, motorisierten Kräften und Spezialtruppen, egal ob es nun 10.000 Panzer oder weniger waren. Das ist letztlich auch nicht entscheidend. Und wenn im Rahmen dieses „Versuchs“ Dutzende Menschen sterben und rund 600 verletzt werden (so wie 1991 in Wilna), so kann man mit Recht behaupten, dass man eindeutig Gewalt gegen die damaligen Freiheitsbestrebungen eingesetzt hat. Und dein Versuch der Relativierung der Vorfälle durch Formulierungen wie komischer Versuch zeigt einem, dass du keinerlei Verständnis hast, sondern eher die brutale Vorgehensweise bagatellisierst, was in meinen Augen arg fragwürdig und problematisch, vielleicht aber symptomatisch ist.
Zitat: äh, Saudi Arabien, Vereinigte Emiraten, weißt du das wirklich nicht? Iordanien hat Hubschrauber, Kampfflugzeuge und Kleinzeug. [...]

Bahrain, Dschibuti, Vereinigte Emirate
Saudi-Arabien mag in der Tat eine sehr problematische Sache sein. Okay. Stimme ich dir zu. Menschenrechte werden dort mit Füßen getreten und ich betrachte das Land als einen fragwürdigen Verbündeten.

Aber bei Dschibuti, Bahrain und den VAE wäre ich vorsichtig, zumindest ist die Sache nicht so einfach. Bahrain ist eine konstitutionelle Monarchie mit einem normalen Wahlrecht. Dschibuti ist auch eine Republik, zwar keine, die einem westlichen Maßstab entsprechen dürfte, aber eine, die sich von anderen Staaten der Region wie z. B. Iran immer noch abhebt und die immerhin keine Ein-Mann-Show wie z. B. Weißrussland oder Nordkorea ist. Bei den VAE ist die Sache auch recht schwierig. Genau genommen handelt es sich um eine Förderation von Emiraten, die sich anhand eines sehr traditionellen und teils islamisch-patriarchalischen Emirats-Systems organisiert. Aber immerhin gibt es wechselnde Premierminister, die gewählt werden (aus dem Kreis der Emirate). Bezogen auf die Emiratsebene hat man es aber mit erblichen Thronfolgern zu tun, also mit einer Monarchie.

Man kann natürlich streiten und berechtigterweise sagen, dass das keine Demokratien sind. Sind sie im westlichen Sinne auch sicher nicht. Im Kontext betrachtet sind diese Staaten aber immer noch freier als die meisten Staaten, die z. B. Russland oder China unterstützen, und keine Diktaturen (wenn man mal Diktaturen am Maßstab Myanmar, Weißrussland, Tschetschenien oder Nordkorea heranzieht).
Zitat: warum stellst du nun ein Land, Russland dem ganzen "Westen" gegenüber? Warum nicht der ganzen Welt?
Das würde aber keinen Sinn ergeben. Hier konzentrierte sich die Diskussion ja auf den russisch-westlichen Gegensatz.
Zitat: Bei Betrachtung der Errungenschaften sowjetischen Systems muss man die Ausgangsbasis betrachten.
So ein Wunder aber auch das der "Westen" bestehend aus USA, England, Frankreich, Italien, Westdeutschland und Haufen anderer Industrienationen WP und Sowjet Union überflügelte.
Es ist sicher so, dass die infrastrukturellen Verheerungen des deutschen Einfalls erheblich waren. Aber: Die Schwerindustrie hatte man 1941 schon hinter den Ural verlegt, sie war also vorhanden; größere Industriekomplexe gingen nur in Minsk, Charkow und Kiew an die Deutschen verloren (bzw. auch Stalingrad, das zerstört wurde). Aber aus dem besetzten Teil Deutschlands und Österreichs holte man demontierte Maschinen von hoher Präzision und in großem Umfang, die diese Verluste ausglichen, man baute sogar Schienen, Telegraphenleitungen und Toiletten ab. Aus den besetzten Teilen Osteuropas erhielt man Kohle (z. B. aus Polen) und andere Rohstoffe, und zudem hatte man viele deutsche Spezialisten deportiert, die einem bei Rüstungs- , Großbomber- und Raketenprojekten halfen. Zudem hatte man an vielen Stellen im Westen sogar noch gut getarnte Spione, die einem die neuesten Nachrichten über das Atomprogramm der Amerikaner einbrachten. Bereits 1950 überflügelte die Sowjetunion ihre Produktion von vor 1941 (also vor dem deutschen Angriff). Im Jahre 1955 lag die sowjetische Bevölkerung um mehr als zehn Millionen über der von 1940 (189 Mio. zu 199,4 Mio.). Insofern: Auch wenn der Blutzoll Russland im Zweiten Weltkrieg schrecklich war, darf man nicht davon ausgehen, dass man ein ruiniertes und entvölkertes Land vor sich hatte, dass ab 1947/48 den Kalten Krieg mit dem Westen begann.

Der Hinweis auf die „Aufgangsbasis“ zieht also nicht ganz.
Zitat: Wenn man allerdings halbwegs objektiv ist dann erinnert man sich das die Sowjets einen in der Tat rückständigen Aggrarstaat welcher dazu noch durch einen Bürgerkieg verwüstet wurde übernomen haben, daher ist es aberwitzig auf Probleme des Jahres 1931 zu verweisen, lol zu wenige Studenten, mehr als die Hälfte der Bevölkerung konnte 1920 weder Lesen noch Schreiben, auf dieser Grundlage mussten die Sowjets ihre Industrialisierung durchführen, auch Schulsystem aufbauen
Okay, jetzt mal ein paar deutlichere Erklärungen: Das ist eine der großen Legenden, dass die Sowjets einen „Agrarstaat“ vorgefunden hätten. Zwar war das Land durch den Ersten Weltkrieg und den Bürgerkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen worden, aber dies hatte weitgehend die Landwirtschaft betroffen (deswegen gab es während des Krieges auch Hungersnöte), die Industrie hingegen blieb weitgehend verschont, weil diese von allen Beteiligten des Bürgerkrieges gebraucht wurde. Um die Folgen des Bürgerkriegs zu überwinden, begann Lenin ab 1921 mit der sog. NEP (Neuen Ökonomischen Politik), die Mitte/Ende der 20er Jahre Russland sogar wieder einigen Wohlstand und – was viel wichtiger war – das Herausbilden von Klassen ermöglicht hat. 1928 zählte die UdSSR z. B. mehr als 16 Mio. wohlhabende Bauern; damit lag die Zahl der reichen Russen über der des Jahres 1914 (!).

Dann aber kam Stalin, der 1928 mit einem ersten, groß propagandistisch aufgeblasenen „Fünfjahresplan“ antrat und der sich eine gleichgeschaltete, nivellierte Gesellschaft vorstellte, die nur ihn als „Führer“ kennt. Er ließ zunächst die Kulaken (also jene Großbauern, die es unter Lenin zu Wohlstand gebracht hatten) liquidieren – was schätzungsweise zehn Millionen Tote forderte (bis 1933) – und danach das neu entstandene Bürgertum und die sich unter Lenin auch ausgebildeten Strukturen einer durchaus produktiven Arbeiteraristokratie gleichschalten. Am Ende des Fünfjahresplans (1933) waren von Großbauern, Bürgertum und Arbeitsschichten kaum mehr was übrig. Es gab eine abgestumpfte Masse, Arbeiterproletariat genannt, zu der rund 87 Prozent der Russen zählten (besser: zu zählen hatten).

So, und was passiert, wenn ich die Bevölkerung derart verdumme? Korrekt, die Zahl der „Intelligenzija“ geht zurück, was die sinkenden Studentenzahlen ausdrückten, die ich weiter oben im Thread gepostet habe.

Insofern, mein lieber Kosmos, empfehle ich dir, mal einen Blick in die Geschichte zu werfen, bevor du mit der Legende, dass erst die Sowjets aus Russland was gemacht hätten, ankommst. Die Sowjets, besonders Stalin, haben Russland höchstens erst recht verblödet und brutalisiert, aber sicher nicht entwickelt, weil das auch nicht im Sinne eines Stalin gewesen wäre. Aber: Im Dezember 2008, mehr als 50 Jahre nach Stalins Tod, veranstaltete der staatliche russische TV-Sender RTR eine – unter Historikern umstrittene – Umfrage, in welcher der herausragendste Politiker Russlands gesucht wurde. Insgesamt konnten die Anrufer aus rund 500 Kandidaten auswählen. In der letzten Runde der Abstimmung gaben etwa 4,5 Millionen Menschen ihre Stimme ab. Auf dem dritten Platz – mit nur etwa 5.500 Stimmen Abstand auf den ersten Platz und somit ganz knapp abgeschlagen – landete: Josef Stalin (Link: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/0,1518,598594,00.html">http://www.spiegel.de/panorama/zeitgesc ... 94,00.html</a><!-- m --> ). Na bravo, der größte Massenmörder nach Mao auf Platz drei. Und bei soviel Geschichtsunkenntnis bleibt einem nur Kopfschütteln übrig, aber du bist da mit deinem eigenen Weltbild ja bestens dabei.
Zitat: Das 20 Jahre später SU nun deutschen Ansturm zum Halten bringen konnte war ein Wunder und Ergebniss der äußerst effektiven wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und organisatorischen Fähigkeiten der Sowjets.
Oha. Ja nur muss man sich mal fragen, wie man den Ansturm gestoppt hat. Sicher nicht mit taktischem Können. Mit schwersten Verluste eher, weil die oberste Führung vom Paranoiker Stalin liquidiert worden war, und die Rote Armee ein Hort der Unfähigkeit war – die auch schon im Finnland-Krieg 1939/40 kläglich versagt hatte –, obwohl man mit dem T-34 oder dem KV-1 sogar den Deutschen überlegene Panzer besaß.

Und es war auch keine der äußerst effektiven wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und organisatorischen Fähigkeiten der Sowjets, es mehr war stumpf-brutaler Durchhaltezwang, wobei der Politruk mit der Knarre hinter den Soldaten stand und mit dem Erschießen im Falle eines Zurückweichens drohte. Und damit hat man es dann geschafft, die am Rande der Erschöpfung stehenden deutschen Truppen aufzuhalten. Zum Glück für die Sowjets waren die obersten Nazis in Deutschland ähnlich unfähig (als ob man nicht gewusst hat, dass es in Russland im Winter kalt wird und es im Herbst eine Schlammperiode gibt) und gab es einen Agenten namens Richard Sorge, aufgrund von dessen Informationen man die sibirischen Reserven freimachen konnte. Ansonsten wäre dieses Spiel auf Messers Schneide in die Hose gegangen. Das hat also nichts mit effektiven Fähigkeiten zu tun, eher mit arg viel Dusel und Leidensfähigkeit (was der russische Soldat, das muss man zugestehen, sicherlich hat).

Schneemann.
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