Nigeria
#78
@Erich
Du vergisst, dass sowohl in Darfur als auch im Südsudan die Religion eben nicht als Konfliktgrund hingestellt wird. In Nigeria aber schon. Das muss ja nicht zwangsläufig bedeuten, dass Religion der einzige oder ursächliche Grund für den Krieg ist. Es bedeutet aber, dass die Religion dort zur Zeit mitverantwortlich ist, egal, weswegen angefangen wurde. Die Religion ist also in Nigeria Teil des Problems, muss also auch Teil der Lösung sein. Den Verweis darauf, dass es auch nicht-religiöse Kriege innerhalb derselben Konfession gibt, lasse ich nicht gelten. Das gabs schon immer.
Boko Haram wirbt für islamisches Recht in ganz Nigeria. Boko Haram bekämpft einen gewissen Lebensstil, den westlichen Lebensstil (vermutlich wird christlicher Lebensstil darunter subsumiert). Die Grundlage für diese spezielle Gruppe (die nur einen Bruchteil der Muslime in Nordnigeria ausmacht) ist also sehr wohl religiös. Die Einordnung von Boko Haram als islamistische Gruppe ist legitim, die Bezeichnung als Taliban/wahabitisch/al-Kaida-nahe ist gültig, sobald ein entsprechender ideologischer Zusammenhang zwischen Boko Haram und diesen Gruppen nachgewiesen wird.
Klar muss man differenzieren und Gruppen wie Boko Haram oder etwaige Gegenstücke im christlichen oder sonst einem Lager im Kontext eines älteren Konflikts zwischen ethnischen Gruppen einordnen. Eine der treibenden Kräfte für das Entstehen und Wirken solcher Gruppen ist nun aber die Religion. Damit lassen sich einfach und absolut Gegensätze zwischen Konfliktparteien etablieren. Der absolute Wahrheitsanspruch des Konzepts der Religion ist ideal dafür. Deshalb sage ich, dass die Religion zuerst entmachtet werden muss, um das Konfliktpotenzial zu minimieren. Selbst wenn man sich zuvor um sämtliche anderen Kriegsgründe kümmert (ich kenn die nicht, gehe aber von Ressourcenkonflikten und ethnischen Unterschieden aus), bleibt die Religion als Problem, wenn sie nicht durch einen säkularen Staat als einzigem öffentlich-gesetzlichen Machtfaktor ersetzt wird.
Dass man den Konflikt zwischen Yoruba und Haussa nicht beendet, wenn man nur die Religion ausschaltet, ist klar. Aber man würde den Streithähnen das emotionalste und unnötigste Argument nehmen, um Krieg zu führen. Und einen Schritt in Richtung weniger Islamophobie und Christenhass tun.

EDIT: Hab grad erst noch den letzten Abschnitt durchgelesen:
Erich schrieb:Das geht in hierarchischen Strutkuren wie der katholischen Kirche oder wie bei den Schiiten relativ gut. In Gemeinschaften ohne solche Hierarchien - wie den evangelikalen Gruppierungen bei den Yoruba oder den sunnitischen Imamen bei den Haussa - ist das sehr viel schwieriger, weil es dort Imame oder Sektenführer gibt, die mit entsprechenden Scheuklappen von der religiösen Dimension des Konflikts selbst überzeugt sind, oder - noch schlimmer - ein eigenes Interesse an der Konfliktlage haben, und die sich gerade keinem übergeordneten religiösen Führer unterwerfen müssen.
Dann sind wir uns ja im Grunde einig: ein starker Staat muss her, der Gerechtigkeit willen am besten säkular mit bestmöglicher Religionsfreiheit. Und bestmöglich heisst natürlich, dass nicht jeder machen kann, was er will.
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