29.08.2012, 21:29
hunter1 schrieb:Das kann ich so nicht stehenlassen:Das ist unsere (auch meine) westliche Sicht der Dinge . Und das (seit 1949 im Grundgesetz festgeschriebene) Recht auf "Leben und körperliche Unversehrtheit" entstammt einer über Jahrhunderte andauernden Entwicklung in unserer Gesellschaft, die in weiten Teilen Afghanistans (noch?) nicht angekommen ist - und warum verlangst Du von der traditionellen Stammesgesellschaft in Afghanistan, dass die Menschen dort eine Entwicklung, die bei uns Jahrhunderte gedauert hat, innerhalb weniger Jahren so nachvollziehen, dass unsere Wertemaßstäbe dann auch in der afghanischen Gesellschaft verwurzelt sind?
Erich schrieb:Was Freiheit oder sexuelle Ausschweifung ist, was Anstand und Moral oder steinzeitlich ist, das wird halt bei unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich beurteilt. Und es ist anmaßend, die eigenen Wertevorstellungen als allein richtig hinzustellen.Und genau das gilt auch für die Taliban! Wenn also innerhalb ihrer eigenen Reihen jemand anders sein möchte, dann haben die das genauso zu respektieren, anstatt wild drauflos zu massakrieren.
Und manchmal gibt es halt schon kultuelle Eigenschaften, die man lieber ganz schnell abschaffen sollte. Vieles, was die Taliban so machen oder gemacht haben, gehört dazu. Insbesondere die Eigenschaft, Andersdenkende direkt mit Strafen gegen Leib und Leben abzuurteilen. Das hat in einer Zeit, wo etliche Staaten schon begriffen haben, dass es rechtsstaatlich auch ohne solche Strafen geht, einfach nichts mehr verloren, Schutz der Kultur hin oder her.....
Art. 1 ff des Grundgesetzes gelten in Afghanistan nun mal nicht. Es liegt mir fern, Exzesse (aus unserer Sicht) zu rechtfertigen - aber es ist wichtig, die Ursachen zu erklären.
Afghanistan hat eine andere Wertehierarchie. Im "Paschtunwali", dem Ehren- und Stammeskodex der Paschtunen, ist die Ehre (Nang) wichtiger als das individuelle Recht auf Leben. Diese Wertehierarchie findet man doch auch in anderen traditionellen Gesellschaften ("Ehrenmorde"), von erst kurz "abgeschafften" Verhaltensweisen entlegener Völker auf Papua Neuguinea, Borneo oder im Urwald Südafrikas (die Ambassador angesprochen hat) gar nicht zu reden (Kopfjäger).
Das darf (und aus unserer Sicht muss) man bedauern, aber es ist nun mal so. Und wenn wir über (aus unserer Sicht) Exzesse in Afghanistan debatieren, dann müssen wir als Grundlage für die Diskussion einfach zur Kenntnis nehmen, dass es in der afghanischen Gesellschaft andere tradierte Wertemaßstäbe gibt. Unsere Vorstellungen sind vielen Afghanen genauso fremd wie die dortigen Vorstellungen uns fremd sind.
Daraus resultieren für uns völlig unverständliche Verhaltensweisen, wie etwa der Schutz, den die Paschtunen ihrem Gast bin-Laden gewähren mussten (Melmastia), um nicht "ehrlos" zu werden.