30.09.2012, 15:38
Shahab3 schrieb:Ich habe es mehrfach angesprochen. Innerhalb kurzer Zeit hat die Türkei einen strategischen Wandel von der berühmten "Zero-Problem Strategie" hin zu einer durchaus recht aggressiven und selbstbewussten Konfliktstrategie gemacht. Nicht zuletzt passieren die neuerlichen Entwicklungen in der Türkei ja vor dem Hintergrund selbst gekappter Beziehungen mit Israel, Syrien, Irak, Iran, Griechenland und Zypern. Aucgh die Beziehung zu den NATO-Bündnispartnern hat die Türkei seit 2003 ebenfalls massiv heruntergefahren. Das ist ein klarer und sehr bewusster Pariah-Kurs. Warum wandelt sich die Türkei so selbewusst von "Everybodies Darling" zum neuen "Enfant-Terrible"?
Man könnte versuchen das psychologisch zu ergründen und mit einer deutlichen Renaissance des Islam in der Türkei in Verbindung mit einem neu entstandenen oder besser gesagt - wieder entdeckten- türkischen Selbstverständnis erklären. Auch dafür gibt es Gründe, die auch in der deutlichen Ablehnung der europäischen Bevölkerung gegenüber der türkischen Kultur liegen. Die Türken haben erkannt, dass sie keine Europäer sind, sondern ihre kulturellen Wurzeln und Einflussbereiche im asiatischen und arabischen Raum haben. In der EU und NATO hat die Türkei ihre gewünschte Rolle nicht gefunden und die jahrelange Bevormundung und wirtschaftliche wie politische Abhängigkeit (ehemals hoch verschuldetes Entwicklungsland) hat den Türken nicht gefallen. Wir erleben mit der türkischen Politik ist eine Wendung gen Osten.
Die Türkei emanzipiert sich deshalb in geradezu revolutionärer Weise und versucht Stärke zu demonstrieren und im eigenen Namen und Willen zu agieren.
Da das alles Neuland für die heutige Türkei ist, muss sie letztlich ihre neuen Grenzen selbst ausloten und ihre neue Rolle in der Region erst noch finden. Das konnte bis heute nicht passieren. Der Begriff "revolutionär" ist durchaus nicht falsch gewählt, da die Türkei Jahrzehnte lang im starren Korsett der Generäle (eine Art Militäroligarchie) gefangen war. Es hat mit der AKP tatsächlichen einen Machtwechsel, ja fast eine Änderung des politischen Systems gegeben. Das aggressive Vorgehen der AKP gegen die Militärs ist ein Mittel zur Untermauerung dieser inner-türkischen Revolte.
Meine persönliche Hoffnung ist, dass irgendwann eine Regierung in der Türkei an der Macht ist, wo man schlicht und einfach weiß wen man vor sich hat. Freundlich, feindlich, was auch immer. Aber nicht jede Woche ein neuer Sinneswandel. Derzeit ist die Türkei ein unkalkulierbarer Faktor.
Bis auf den letzten Abschnitt kann ich dir in deiner Analyse im Großen und Ganzen zustimmen. Das gesellschafts-ehtische Diktat von den Militärs gehört endgültig der Vergangenheit an.
Die Zero-Problem Strategie mit ein paar Nachbarländern ist nun in die Ferne gerückt, aktuell gar gescheitert. Aber wo liegen die Gründe? Warum fährt die Türkei bei einigen Ländern schwere Geschütze auf( aus diplomatischer Sicht aus gesehen, nicht nur materiell)?
Fangen wir mit den Ländern an die, die du aufgezählt hast, mit Israel. Mit den Israelis verbindet die Türken eine historische Gemeinschaft, die in den Anfängen aus der Osmanischen beginnt. Verfolgt in mehreren Eurpäischen Ländern
fanden die Juden damals unter der Osmanische Herrschaft Zuflucht, die bis in den 2. Weltkrieg andauerte. Wissen und Handel machten die Osmanen sich damals zunutze, z.B. im Bau von Kanonenguss und Artelerie. Auch Errungenschaft in Kunst prägt zum Teil die Türkische Gesellschaft bis heute noch. Traditionell waren die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei immer gut, ging sogar soweit, daß die israelische Luftwaffe Übungsflüge im türkischen Konya aufgrund ihrer territorialen Größe abhalten konnte. Israelische Touristen erholten sich an türkischen Stränden.
Zum Zerwürfnis kam es jedoch, als der damalige Ministerpräsident Olmert den Befehl zum Angriff auf Gaza gab, unter der Operation"gegossener Blei", wobei Olmert ein Tag davor in der Türkei zur Staatsbesuch kam, ohne die türkischen Diplmaten von dem Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Die Folge, mehr als 1500 Tote allein unter Zivilisten. Der darauf folgende Friedensbewegung mit ausändischen Diplomaten und Akivisten, gab den türkisch-israelischen Bezihungen de facto den Todesstoß.
Die anfänglich guten Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien hat sich mit dem Beginn des Bürgerkriegs schlagartig verschlechtert. Trotz mehrmaliger Vermittlungsversuche der Türken, setzte sich der Bürgerkrieg mit vielen tausend Toten fort. Wie im Hinsicht der anderen arabischen Staaten im Einfluss des Arabischen Frühlings, musste die Türkei gegenüber Syrien klare Stellung beziehen.
Am Anfang sah man in Besar Esad einen jungen Idealisten der sogar bei einigen Us-Diplomaten Beachtung fand. Die guten Beziehungen mit der Türkei veranlasste türkische Geschäftsleute stärker in Syrien zu investieren. Einreisebeschränkungen wurden gelockert. Trotz allem war der Reformwillen der Baath Partei schwach. Regiert wurde nach wie vor im Sinne des Esad- Clans um des Machterhaltswillen al a Kim yun sun/Castro. Nach dem Abschuss des türkischen Kampfjets hat sich das Feinbild nur noch verstärkt.
Mit dem Irak hat die Türkei nur mit der Zentralregierung Streitigkeiten, weil der Ministerpräsident Nuri el Maliki ihre territoriale Integrität in Bedrohung sieht. Unter anderem auch die Souveranität, wegen den Angriffen der türkischen Kampfflugzeugen gegen die Stellungen der PKK im Nordirak. Die Türkei dagegen beruft sich dabei auf Selbstverteidigung.
Mit den Kurden im Norden des Landes herrschen wirtschaftlich starke Beziehungen. Mehr als 7 Milliarden Dollar an Gütern exportiert die Türkei in den Norden des Landes. Im Gegenzug erhalten türkische Investoren Bohrlizenzen an Erdölfeldern, die das Abkommen die irakische Regierung für unzulässig erklärt. Darüber hinaus bietet die Türkei dem im Irak gesuchten stellvertretenden Präsidenten Aziz unterschlupf, dem beim Rückkehr die Todesstrafe droht.
Mit den Griechen gibt es so gut wie keine Probleme, wie man es in der Vergangenheit gewohnt war. Sogar die Aufhebung der Einreisebeschränkungen für türkische Touristen und Investoren wird in Erwägung gezogen. Territoriale Streitigkeiten sind in Griechenland im Moment das zweite Problem, die aber nicht mehr so verstärkt vorkommen wie vor ein paar Jahren. Vielmehr treiben die Griechen Geldsorgen in Not. Im letzten Winter bat Griechenland den türkischen Energieminister um die Lieferung von Erdgas, die auch umgehend berwerkstelligt wurde. Nutzen aus dem Not des Nachbarn kam der Türkei nie in den Sinn. Das wissen mitllerweile auch griechischen Diplomaten.
Die ohnehin schon schlechten Beziehungen zu Zypern, geschweige davon die keine haben, hat sich mit der Vergabe von Bohrlizenzen im Miteelmeerregion nur noch verschärft, wozuvor die zyprische Regierung mit den Anrainer Staaten ein Abkommen zur wirtschaftlichen Ausbeutung von Parsellen ausgearbeitet hatte. Der entscheidende Fehler war die Türkei aus dem Abkommen auszuschließen. Nun ja, daß die Türkei sich dort als Machtfaktor etablieren will, versteht sich von selbst. Eines der Größten Ländern in der Mittelmeerregion auszuschließen und nicht mit Verhandlungen anzufangen, zeugt mehr als Naivität; eher ein hinterhältiges Kalkül , um die Türkei mit mehreren Staaten im Rücken als Feindbild Aller dastehen zu lassen. Somit haben die Zyprer bei der Zypernfrage , sich nicht nur ins Bein geschossen, sondern noch ein Konfliktschema kreiert, die dem Pleitestaat neben Nord-Zypern vielmehr Territoriagewässer zum Verhängnis werden kann. Ob aus Dummheit oder einkalkuliert lasse ich dastehen. Man fragt nun mal den Nachbarn, ob er sich gestört fühlt, wenn man Blumenkästen aufhängen will. :wink:
Daß sich die Beziehungen mit dem Iran verschlechtert haben, würde ich persönlich bedauern. Nun ja , aus der Sicht des Irans sind die Türken ihm sozusagen in den Rücken gefallen, in dem sie für die syrische Opposition Partei ergriff. Der Iran sieht mit Esad den einzigen Verbündeten in der Region mit Hinblick auf den gemeinsamen Feind Israel, der seit Jahren mit einem Angriff auf Nuklearanlagen im Iran droht. Nebenher steht die alawitische Religion dem Schiitentum nah.
Der Zerwürfnis mit dem Iran droht in erster Linie sich auf wirtschaftlicher Ebene nieder zu gehen. Mit einer weiteren Verschärfung der schlechten Beziehungen sind gar militärische Auseinandersetzungen zu befürchten, wenn der Iran seine Drohungen war macht im Falle eines Israelischen Angriffs amerikanische Militärbasen anzugreifen, die in der Türkei stationierte mit eingeschlossen. In so einem Fall wäre die Türkei unfreiwillig mit eininvolviert, zur Schadenfreude einiger europäischer Staaten. Mit den ständigen Angriffdrohungen, spielt der Iran dem Westen, vor allem der USA in die Hände, um der Türkei somit den Weg gen Osten zu stoppen und den Iran als absoluter Feindbild den Türken vorzuweisen. Im Falle eines Krieges, wird die Türkei ohnehin nicht erlauben,Angriffe auf den Iran vom türkischen Boden aus zu starten, was türkische Diplomaten in UN-Versammlungen schon mehrfach unterstrichen haben. Auch in der Vergangenheit im Konflikt mit dem Atomprogramm, hat die Türkei schon mehrfach für Iran auf internationaler Ebene Partei ergriffen und sich um Vermittlungen bemüht.
Wie schnell der türkische Beistand von iranischer Seite aus vergessen wurde ist mehr als verwunderlich, oder gar einfach dumm um es schlicht zu sagen. Stattdesssen folgt eine Kriegsdrohung nach dem anderen, eine nächster Raketentest nach dem anderen und regelmäsig werden neue Wunderwaffen aus iranischer Produktion vorgestellt. Aus meiner Sicht ist das eher ein Zeichen der Schwäche und hat mit Selbstbewustsein kaum was zu tun. Im Moment sind nur Schall und Krach im Iran herrschend.
Daß die Türkei unkalkulierbar sei halte ich für weit hergeholt. Die Türkei hält sowohl mit dem Westen als auch mit den Staaten im Osten ziemlich gute Beziehungen. Inwiefern sollen außenpolitische Absichten der Türkei undurchschauber sein? Dieselbe Haltung mit Syrien hatte die Türkei auch im Bezug auf Palästinenser aus Gaza gehabt. Als damals von Erdogan israelkritische Bemerkungen kamen, da war die Welt noch in Ordnung, nicht wahr? Wo bitte schön ist jetzt im Hinblick auf den Syrienkonflikt der Unterschied? Wann hat die Türkei Iran mit militärischen Mitteln gedroht oder hat sich auf irgendeiner weise vom Iran abgewandt, als daß man die Türkei als Feindbild darstellt? Eher scheint die Situation verkehrt rum zu sein. Der Iran ist es, bei dem die Türken alle gute Gründe haben ihn als Feind zu markieren. Ich habe schon aufgehört zu zählen, wie oft der Iran mit Raketenangriffen auf türkische Gebiete gedroht hat. Und aus geheimen Kreisen lässt es verlauten, daß der PKK wieder auf iranischem Grenzgebiet wieder anfängt Fuss zu fassen.
Der einzige Sinneswandel, der stattfand ist im Iran zu beobachten, nicht in der Türkei.
Ich behaupte, daß die Türkei zu Niemandem feindlich gesinnt ist. Es sei man erklärt die Türkei zum Feind.