Indien
Diese "Pendeltheorie" halte ich für ziemlichen Unsinn. Es ist zwar so, dass Gegenden bzw. Reiche aufstreben, Blütezeiten durchlaufen und wieder verschwinden, aber die Ableitung, dass in der Geschichte abwechslungsweise eine asiatische und eine europäische Machtkonstellation zum "Nabel der Welt" wird und sich das in Zukunft wiederholen muss, ist nicht logisch. Ein "Nabel der Welt" bedingt eine globalisierte Welt. Die antiken Reiche rund ums Mittelmeer hingen geographisch zusammen, waren also globalisiert. Die Welt war aber aus deren Blickwinkel auch nicht grösser. Ich denke, die antiken Europäer/Mittelmeeranrainer hatten von Ostasien eine sehr begrenzte Vorstellung und umgekehrt wars wohl genauso.Dasselbe gilt fürs Mittelalter. Und von den mittel- und südamerikanischen Reichen wussten wohl weder Asiaten noch Europäer vor den Entdeckerreisen der Spanier. Erst nachdem die Welt durch den verstärkten Seehandel zusammenrückte, beginnen solche Vergleiche Sinn zu machen, weil erst dann ein signifikanter Kulturkontakt zwischen Ostasien und Europa hergestellt wurde. Es spielt daher kaum eine Rolle, ob die Chinesen schon Jahrhunderte vor den Europäern technologische Wunderdinge vollbrachten. Denn der Rest der Welt hats gar nicht mitgekriegt. Sobald verschiedene Reiche/Staaten durch Kulturkontakt (bzw. überhaupt Kontakt via Handel, Geographie) zusammenhängen, ist eine solche Pendelbewegung möglich, solange die Reiche nicht miteinander kooperieren. Welches Reich dann die Nase vorne hat, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dies sind, neben den angesprochenen Ressourcen (Rohstoffe, Menschen und Klima): 1) systematischer Fortschritts- und Forscherglaube, 2) Konkurrenz mit anderen Reichen, 3) Arbeitsorganisation. Diese Liste darf gerne ergänzt werden. Den ersten Punkt haben die USA auf überwältigende Weise demonstriert. Den zweiten kann man bspw. gut bei Kriegen beobachten, etwa dem 2.WK, von dem gesagt wird, er habe den Fortschitt von 50 Jahren auf 5 Jahre komprimiert. Und den dritten Punkt sieht man schön in China, wo in den letzten Jahren durch gezielte staatliche Förderung Fortschritte in der Produktion eigener Güter realisiert wurden, für die andere Staaten viel länger brauchen.

Bezogen auf Indien (was folgt sind meine Überlegungen, darf gerne widerlegt werden): welche Faktoren sind dort erfüllt? Klimatische Voraussetzungen sind eher ein Hindernis, Rohstoffe sind auch eher rar (bezogen auf die Anzahl Inder). Vorhanden ist der Rohstoff Mensch. Bei über einer Milliarde Einwohner muss der Anteil an talentierten Menschen gewaltig sein. Dieses Potential wird aber zu wenig genutzt, da a) sich die Inder aus kulturellen Gründen zu sehr im Weg stehen (Kastenwesen bei den Hindus, ethnische und religiöse Vielfalt insgesamt), b) der Staat zu dezentral funktioniert und daher zu wenig gezielt den Fortschritt fördert. Jedenfalls sind Industrieprodukte aus Indien nicht grad der Renner auf der Welt, einzig Dienstleistungen (Call-Center) und Tee werden erfolgreich exportiert. Ein dauerhaftes Weltreich schaffte man aber bisher nur mit einer funktionierenden Industrieproduktion; mit Dienstleistungen hat das noch niemand erreicht.
Konkurrenz wäre genügend vorhanden. Militärische Fortschritte im stetigen Konflikt mit China und vor allem Pakistan sind das Resultat davon. Wie ist es aber zu erklären, dass China diesbezüglich so viel weiter ist? Bei indischen Projekten hört man häufig von Verzögerungen oder Fehlschlägen (LCA, Arjun).

Um noch auf Erichs Frage einzugehen: Auf jeden Fall ist es für uns besser, wenn Indien sich bei seiner Entwicklung Zeit lässt. Das Potential dieses Staates ist aufgrund des vorhandenen Talentes so enorm, dass dort bei gezielter Förderung der Wissenschaft wohl die Gesamtheit der europäischen wissenschaftlichen Leistung in den Schatten gestellt werden kann.
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