29.03.2021, 10:57
Zitat:Und zum Thema Familie als Begriff für Vater, Mutter und mindestens drei Kinder. Es ging darum was 90% der Bevölkerung als normal betrachten und was von der BPB hier lächerlicherweise als "ultrakonservativ" bezeichnet wird. Da stört mich klar das "ultra" denn es ist klar was damit suggeriert werden soll. Ich bin in meinem Leben auf der Welt bisher sehr viel herum gekommen und da ist benanntes Familienmodell einfach fast immer die Norm, auch wenn es viele nicht erreichen, so wird es doch von ihnen angestrebt. Einzig und allein in der westlichen Welt sieht man das teilweise anders, aber selbst in den westlichen Staaten glaube ich dass es auch dafür noch eine Mehrheit in der Gesellschaft gibt. Die sogenannte "westliche Welt" ist aber rein von der Bevölkerungszahl global gesehen auch ein Winzling. Nicht einmal 10% der Weltbevölkerung kann man dieser zurechnen und die Tendenz ist weiter klar sinkend. Ihr Einfluß wird weiter abnehmen, soviel ist sicher.Ich denke, dass hier definitiv die Religiosität eine Rolle spielt: In Russland war die Orthodoxie zu Sowjetzeiten stets unterdrückt, zugleich jedoch wurde in der Anfangsphase der Sowjetunion genau diese Normenvorgabe bzgl. Familie etc. extra ausgehebelt. Interessant hierbei: In den frühen Jahren Sowjetrusslands und der Stalinzeit etwa galten "Ehe" und "klassische Familientradition" als Relikte eines überkommen-moralisierenden und verteufelten Bourgeoisie-Gedankentums. In der Folge stellten sich allerdings erhebliche Schwierigkeiten ein - u. a. verzeichnete man landesweit zu Beginn der 1930er Jahre eine sechsstellige Zahl von Straßenkindern, auch die Syphilis-Fälle gingen durch die Decke. Die Sowjetbehörden versuchten darauf, durch rigide Vorgaben dieser "freien Liebe" wieder entgegenzuwirken. Da sie aber damit wieder in die Nähe der Kirche kamen, die sie ja ebenso ablehnten, machten sie einen ideologischen Spagat, der dem dem "freien" Sowjetmenschen nahelegte, er solle mehr oder minder bitteschön keusch die Familie achten und zugleich aber nicht in die "Versuchungen" der Popen mit ihrer ähnlichen Ideologie kommen. Diese gehörige geistige Verwirrung, die den einfachen Sowjetmenschen vom Lande sicherlich heillos überforderte, in Kombination mit von oben vorgegebener sexueller Enthaltsamkeit soll - so mutmaßen manche Autoren (z. B. Beevor) - auch die Exzesse zu Ende des Zweiten Weltkrieges in den deutschen Ostgebieten und in Polen, als die Rote Armee nach Westen vorstieß, zumindest negativ mitbeeinflusst haben.
Abgesehen davon macht die Bevölkerung der westlichen Hemisphäre deutlich mehr als nur 10% der Weltbevölkerung aus.
Darüber hinaus ist erstaunlich, welches Revival die Orthodoxie nach dem Kollaps des Sowjetimperiums erlebte. Es zeigte sich, dass die Masse der russischen Bevölkerung nachwievor, trotz sieben Jahrzehnten Bolschewismus und religiöser Unterdrückung, ihrem Glauben und - wenn man so möchte - religiösem Konservativismus treu geblieben war. Dass dies so war, lag allerdings auch daran, dass die 1990er Jahre ein Jahrzehnt der blanken Verzweiflung für die Menschen in Russland waren und dass viele Menschen, da der erodierte Jelzin-Staat quasi keinerlei Verantwortung mehr zu übernehmen gedachte (und wohl auch gar nicht konnte), einen letzten Halt in dieser alten Tradition sahen. Putin hat durchaus geschickt an dieses Empfinden angeknüpft (wobei er vermutlich gegen dieses Empfinden auch gar nicht hätte agieren können).
Schneemann.