30.06.2021, 09:54
Zitat:Dann erkläre mir mal warum diese Anpassung (Verschleierung usw.) immer nur einseitig stattfindet?Das wird bei Interviews im nahöstlichen Raum (auch z. B. in islamisch-konservativen Staaten wie Iran oder Saudi-Arabien) von westlichen Medien im Regelfall immer so gehandhabt. Ob man dies gut findet oder nicht, darüber kann man reden, aber es ist quasi Konsens, dass von westlichen Medien die Vorschriften beachtet werden, damit man Interviewchancen bekommt. Von eher feministischen Kreisen wurde dies, besonders bezüglich Iran und m. W. auch der Hisbollah, schon in den 1980ern scharf kritisiert (und übrigens dann von medialen Nahost-"Granden" wie dem 2014 verstorbenen Scholl-Latour - den ich immer noch sehr schätze - wieder als unumgänglich zurückgewiesen). Insofern: Ja, man kann und muss dies kritisieren, würde aber das Risiko eingehen, dann wohl keine Interviews zu bekommen, wenn man die "Gepflogenheiten" der betreffenden Länder (oder Organisationen) ablehnen würde.
Zitat: Auch die Antworten des Talibanvertreters werden nicht ausreichend hinterfragt.Es wird eine Fragenübersicht abgearbeitet, d. h. wird eine Frage gestellt und beantwortet, sieht das Protokoll im Regelfall darauf eine neue Frage vor. Der Einstieg in diese ist hier im Interview durchaus sehr kritisch, siehe Verweise auf die 1990er Jahre. Das Streiten oder mehrfache Hinterfragen einer/über eine Aussage ABC unterbleibt aber, da das vorab übermittelte Protokoll die Abarbeitung der Fragen vorsieht (normal gibt es in internationalen Interviews eine Fragenübersicht vorab, die dem Interviewgegenüber zugeht), nicht das reine Streitgespräch. Vermutlich - da spekuliere ich jetzt - würden die Taliban aber ein Streitgespräch auch ablehnen.
Zitat:Man stelle sich einfach mal vor anstatt den Taliban würde eine rechtsextreme Gruppe befragt. Die Reporterin würde sich im Stile dieser Rechtsextremisten kleiden um ein Interview zu bekommen.Rechtsextremisten lehnen Interviews mit der "Systempresse" im Regelfall eh ab - da sind die Taliban dann wohl schon weiter -, egal wie man sich anzieht. Insofern hinkt der Vergleich.
Zitat:Und die Verquickung mit den von mir anzuführenden Zwangsbeiträgen ist für mich nur logisch, weil ich so ein "Handwerk" eben mitfinanzieren muss. Ein Unternehmen auf dem freien Markt wäre so schon längst pleite.Das ist zwar nun halbwegs schon OT, aber ich bin mir nicht sicher, ob das zusammenhängt. Obgleich die öffentlich-rechtlichen Sender Gebühren erhalten, nehmen sie den privaten Sendern auf dem freien Markt seit mehreren Jahren wieder Anteile ab. Dabei hatten die privaten Sender über fast zwei Jahrzehnte die Nase weit vorne. Auch wenn man bei Umfragen vorsichtig sein muss, so sagen die meisten Personen, dass sie den Scripted Reality-Krawall bei den privaten Sendern zunehmend abstoßend und nervend finden und sich eher (wieder) zur Qualität, gerade bei Dokus, der öffentlichen-rechtlichen Sender hingezogen sehen. Insofern: Auch hier regelt der freie Markt es so, dass es deiner Ausführung widerspräche.
@Quintus
Zitat:Tatsächlich müsste man jetzt absolut alle Verbindungen zu den Taliban vollständig kappen und diese in der Öffentlichkeit als Nicht-Personen und nicht-existent behandeln.Wobei das kontraproduktiv wäre. Nur mit dem Missachten einer Gruppe (oder eines Staates) wird ein Problem ja nicht kleiner. Es wäre vllt. sogar geradezu verhängnisvoll für das "Ansehen" der Medienlandschaft, wenn wir nicht berichten würden. Wenn die Taliban, wovon ich ausgehe, den afghanischen Staat irgendwann wieder zerschlagen und alle dann überrascht sind, wieso dies so ist und wie das kam (waren doch unsere Jungs dort), so wäre die erste Frage an die Medien, wieso über die Entwicklungen nicht berichtet wurde. Wenn man dann antwortet, man habe eben keine Plattform bieten wollen, so dürfte dies ob der Überraschung über den Erfolg der Fundamentalisten eher für Unmut sorgen als andersherum.
Schneemann.