07.09.2021, 20:56
(07.09.2021, 19:40)Quintus Fabius schrieb: Afghanistan (Wortwörtlich übersetzt übrigens Land der Paschtunen) ist genau genommen kein historisches Konstrukt, es gibt wirklich uralte Quellen welche bereits diesen Namen verwenden (meiner Kenntnis nach stammt die älteste Erwähnung des Begriffs aus China, lediglich ist das heutige Afghanistan nur ein Teil dessen was Afghanistan früher einmal war.
Das heutige Afghanistan ist der direkte und unmittelbare Nachfolger des Durrani Reiches, welches nach dem osmanischen Reich zu seiner Zeit der zweitgrößte islamische Staat weltweit war und selbst Nordindien, Delhi und Teile des Iran eroberte. Das Kerngebiet des Durrani Reiches war das Siedlungsgebiet der Paschtunen, und dieses hieß schon immer Afghanistan und umfasste schon immer einen Großteil der Gebiete welche heute Nord-Afghanistan darstellen, den auch dort leben überall verstreut kleinere Gruppen von Paschtunen.
Es gab ja diese klareren Grenzen so nicht
Das ist mir alles bekannt. Aber diese historische Konstante hat ja nichts mit der tatsächlichen heutigen Grenzlinie zu tun, die ich kritisiere. Eben weil es sowas zu den Zeiten in dieser konkreten Form so nicht gab. Das Durrani-Reich war zeitweise sogar deutlich größer, aber stellt ja trotzdem keine Nation dar, sondern lediglich eine von vielen iranischen, mongolischen und türkischen Herrschaften in Zentralasien. Und weil Vergleiche so schön hinken: Österreich hat heute auch keine Grenze mehr mit der Türkei.
(07.09.2021, 19:40)Quintus Fabius schrieb: Von daher wird Nordafghanistan von den Paschtunen auch heute noch als paschtunisches Gebiet gesehen, in welchem halt auch andere Gruppen leben die sich deshalb weil es paschtunisches Gebiet ist den Paschtunen unterordnen sollen.
Nordafghanistan wird daher durchaus als Teil des Pashtunkhwa betrachtet, ebenso wie beachtliche Teile Pakistans und das Siedlungsgebiet der Belutschen im Iran. Ginge es nach den Paschtunen und hätten sie die Möglichkeit dazu, würden sie die entsprechenden Teile aus dem Iran und Pakistan abtrennen.
Gebietsansprüche daraus abzuleiten, dass man diese Gebiete früher mal unterworfen hatte, ist immer ein schwieriges Argument, wenn die Bevölkerung dieser Gebiete oder deren Führer das anders sehen. Und in Afghanistan dürfte das stark davon abhängen, wie eine solche Herrschaft ausgeübt wird.
(07.09.2021, 19:40)Quintus Fabius schrieb: Es gab ja diese klareren Grenzen so nicht, wo Ethnie, Sprache und Staatsgrenze klarer und eindeutiger getrennt sind wie es die Idee des modernen europäischen Nationalstaates vorsieht. ...
Nordafghanistan wird daher durchaus als Teil des Pashtunkhwa betrachtet, ebenso wie beachtliche Teile Pakistans und das Siedlungsgebiet der Belutschen im Iran. ...
Dazu kommt noch das Tribalistische Denken. Selbst viele Paschtunen gewichten ihren Stamm höher als alles andere. Sie sind z.B. zuerst Durrani und dann erst Afghanen und entscheiden sich im Zweifel immer zuerst für den Stamm gegen alles andere. Das gleiche gilt auch für die anderen Ethnien in Afghanistan. Viele Tadschiken, Usbeken, Hazara usw. haben zunächst mal primär eine Loyalität ihrem Clan, ihrem Stamm, Tal etc gegenüber und dann erst eine ihrer Ethnie. Es ist diese interessante Mischung aus vormodernen Elementen mit dem Nationalstaat welche hier das Problem darstellt. Beides koexistiert hier ohne jede Logik und ohne jede sinnvolle Anordnung einfach parallel zueinander.
Und genau aus diesen Gründen bin ich Verfechter einer großen iranischen Föderation. Ein loser Verbund von regionalen Systemen, die auf all diese Unterschiede Rücksicht nehmen können. In der die verschiedenen Völker sich selbst verwalten, ihr eigenes Staatswesen, ihre eigenen Gesetze und auch Stammesstrukturen bewahren können und sich lediglich zur Sicherung des Friedens untereinander und nach außen hin zusammenschließen.
Dafür müssten der IRAN, Afghanistan und Pakistan allerdings aufgelöst werden, was aufgrund der Atomwaffenthematik eventuell nicht so einfach wäre.
Ohne mich damit tiefergehend beschäftigt zu haben, scheinen mir die VAE ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie man traditionelle Strukturen islamischer Gesellschaften in ein (pseudo-)"modernes" Staatskonstrukt überführen kann.
(07.09.2021, 19:40)Quintus Fabius schrieb: schafft man hier einen Staat Khorasan in Nordafghanistan wäre die einzige Folge ein Krieg zwischen Khorasan und Afghanistan bis auf den letzten Blutstropfen da eine solche Abspaltung nicht toleriert werden kann. ...
Insgesamt hätte eine Zwei-Staaten Lösung einfach nur einen zwischenstaatlichen Konflikt zur Folge gehabt, mit offenem Krieg sobald die westlichen Truppen abziehen.
Aus westlicher Sicht sicher eine bessere Lösung, als das, was jetzt passiert ist.