27.11.2021, 13:58
Ein recht lesenswertes Interview - Rashid gilt als einer der erfahrenen Beobachter des Themas und hatte u. a. 2001 bzw. nach dem 11. September das Buch "Taliban" veröffentlicht, das international positiv aufgenommen wurde und das ich hier auch schon einmal erwähnte (und auch empfehlen kann, ich habe es selbst im Schrank)...
Schneemann
Zitat:Afghanistanhttps://www.tagesschau.de/ausland/asien/...e-101.html
"Taliban mitten in einem Machtkampf"
Nach der Einnahme Afghanistans tobt im Inneren der Taliban ein Machtkampf. Auch der IS und weitere Milizen seien im Land aktiv, sagt Autor Ahmed Rashid und führt aus, welche Schlüsse der Westen daraus ziehen sollte.
ARD: Gibt es einen Machtkampf unter den Taliban in Afghanistan?
Ahmed Rashid: Ich glaube, die Taliban befinden sich mitten in einem Machtkampf. Das war bereits bei der Kabinettsbildung der Übergangsregierung zu sehen - an der Art und Weise, wie sich die Hardliner in der vordersten Reihe der Taliban-Regierung positioniert und die Gemäßigten beiseite gedrängt haben. Mullah Abdul Ghani Baradar hat das Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban ausgehandelt. Er selbst aber tritt gar nicht mehr in Erscheinung, wenn ausländische Delegationen Kabul besuchen. [...]
ARD: Welche Folgen hat es, wenn der extrem militante Taliban-Flügel so einflussreich ist?
Rashid: Die Gemäßigten sind eher bereit, einen Dialog zu führen. Auf sie kann man Druck ausüben. Die Hardliner akzeptieren das nicht. Sie sind aber diejenigen, die die Fäden in der Hand halten. Die US-Amerikaner und die NATO-Länder haben ein echtes Problem mit den Haqqanis, die dort als Terroristen auf Fahndungslisten stehen. Auf ihren Anführer Sirajuddin Haqqani (Afghanistans Innenminister, Anmerkung der Redaktion) haben die USA ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar ausgesetzt: Er ist laut Fahndungsschreiben für die Ermordung Dutzender afghanischer Zivilisten und Soldaten sowie für die Entführung von Ausländern verantwortlich. Wie soll die Taliban-Regierung international akzeptiert werden, wenn die Haqqani-Gruppe weiter im Kabinett sitzt und an der Macht bleibt? [...]
ARD: Es gab eine Reihe von Selbstmordattentaten in Afghanistan. Der regionale Ableger des sogenannten Islamischen Staates, ISIS-Khorasan, hat die Verantwortung übernommen. Wie bewerten Sie das?
Rashid: ISIS-Khorasan war vorher eine sehr kleine und unbedeutende Gruppe in Afghanistan. Dann haben die Taliban in Doha mit den USA ein Abzugsabkommen geschlossen. ISIS sagt, dass die Taliban damit das Prinzip des Dschihad verraten, mit dem Westen und der NATO paktiert hätten. Viele Selbstmordattentäter von ISIS-Khorasan wurden von den Haqqanis ausgebildet. Ihr Netzwerk ist die größte Selbstmordbombenfabrik in Afghanistan. Es bildet nicht nur junge Leute als Attentäter aus. Es stellt auch Bomben und Minen her und alles, was man für Anschläge braucht. Es sieht danach aus, dass ein Teil der Taliban offenbar gegen ISIS-K vorgeht, der andere Teil aber mit ISIS-K zusammenarbeitet und sie auch logistisch bei Selbstmordattentaten unterstützt. Die Taliban waren bisher nicht in der Lage, die zunehmenden ISIS-Aktivitäten zu stoppen. [...]
ARD: Was würde aus Afghanistan werden, wenn das Haqqani-Netzwerk die Macht vollständig übernähme?
Rashid: Ich denke, die Menschen würden verhungern. Ich sehe nicht, dass der Westen oder andere Großmächte die nötige humanitäre Hilfe leisten, wenn die Taliban militanter und kriegerischer werden.
Schneemann