25.01.2023, 07:58
(24.01.2023, 23:18)Quintus Fabius schrieb: Ein paar kritischere Gedanken dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=9FFDGH7PsV4
Da kann ich nicht mitgehen. Das Hauptargument des Videos ist ja, dass man doch zunächst polnische und tschechische T-72 bzw. PT-91 liefern sollte, weil von denen noch genügend vorhanden wären und dieser Panzer für die Ukraine technisch wie logistisch besser geeignet seien.
Da halte ich dagegen:
Es ist nahezu gleichgültig welcher Panzer jetzt für die Ukraine irgendwie besser geeignet wäre. Das sind Luxusdebatten in Friedenszeiten und man kann sicher mit einigen Recht argumentieren, dass ein Panzer den man schon im Bestand hat allermeistens die bessere Wahl ist als ein Zweitmodell. Aber jetzt ist Krieg und keine Zeit für Rüstungsphilosophie. Die Ukraine steht in der Masse mit leichten Transport- und veralteten Schützenpanzern in der Verteidigung und trug zuletzt ihre Angriffe mit Humvees und aufgesetzten 50cal vor.
Hier kann es nicht darum gehen welcher Panzer vielleicht der ideale wäre, sondern dass möglichst viele Panzer möglichst rasch geliefert werden, auch wenn das natürlich logistische Herausforderungen mit sich bringt. Das ganze Genörgle, wonach der Leopard 2 A4 technisch nicht mehr auf Höhe sei mag in sich zutreffen, geht aber angesichts der Lage völlig ins Leere. In der Ukraine ist jeder Panzer besser als kein Panzer, erst recht wenn der Gegner mittlerweile in Teilen mit Alteisen von vor sechzig Jahren agieren muss und Panzer auch in der Ukraine- welche Überraschung! - im Kampf eine Vielzahl von Rollen einnehmen die über die bloße Duellsituation hinausgeht. Dort ist schlicht alles Verwendungsfähig was wahlweise mit besseren Splitterschutz rollt und/oder schießt und nach der popligen A6 Kompanie müssen selbstverständlich auch die die paarundachtzig Leopard 1 der Industrie in die Ukraine gehen.
Aber spezifisch nochmal zu den Polen und Tschechen. Die liefern doch. Polen hat den übergroßen Teil seines T-72 Bestandes an die Ukraine abgegeben und es gibt seit dem Sommer letzten Jahres beständig Meldungen, dass auch PT-91 geliefert werden. Die mögen noch nicht bei twitter oder bei onyx aufgetaucht sein, aber das tut ein großer Teil des gelieferten Materials nicht und ist ein Thema für sich. Bei den Tschechen sieht es doch nicht viel anders aus. Es gab erst kürzlich wieder Meldungen, dass sie aus Industriebeständen mehr T-72 liefern als sie überhaupt im aktiven Truppendienst haben. Da ist es doch kein Ansatz sich darauf zu versteifen, dass die paar wenigen T-72M4CZ sinnvollerweise auch geliefert werden müssen bevor man auch nur an Leoparden denkt.
Zumal: Das Argument fußt doch vollständig aus irgendwelchen Wiki-Zahlen. Wir haben keinen genauen Überblick was unsere Nachbarn aus welchen Beständen jetzt genau in die Ukraine abgegeben haben. Es kann sehr gut sein, dass was irgendwelche T-72 angeht mittlerweile nur noch sehr wenig Material halbwegs Einsatzfähig auf dem Hof oder im Depot steht. Das gilt nicht nur für die Kisten an sich sondern wahrscheinlich noch viel mehr für Ersatzteile und Munition. Es kann gut sein, dass wir uns hier langsam dem Ende der Fahnenstange nähern bzw. in einen kritischen Bereich geraten in dem andere Lösungen gefunden werden müssen.
Insbesondere dieser Aspekt wird von dem Youtuber völlig ausgeblendet. Die Bestände an irgendwelchen aufpolierten Sowjetmaterial sind endlich. Ja, es macht Sinn davon möglichst viel in der Ukraine zu entsorgen. Es macht aber keinen Sinn dieses Material komplett zu verheizen bevor man an die Lieferung westlicher Panzer denkt. Die Transition der Ukrainische Armee auf westliche Modelle muss so oder so kommen wenn der Krieg nicht in den nächsten Monaten zu Ende gehen soll. Es ist gesteigert sinnvoll diese Transition graduell vorzunehmen und so die noch verbleibende Zeit proaktiv zu nutzen. Bleibt man hier untätig und liefert allein das restliche Sowjetmaterial bluten die ukrainischen Panzerverbände aus und man ist dann womöglich zum militärisch ungünstigsten Zeitpunkt gezwungen aufgerissene Lücken zu füllen. Da ist es allemal sinnvoller in relativer Ruhe (die Lieferung kommt spät aber vielleicht gerade noch nicht zu spät) die Ukrainer möglichst gut auszubilden und in möglichst geschlossenen Verbänden in den Einsatz zu bringen.
Weiteres Argument: Es mag ja sein, das die Leoparden-Lieferung die Nato schwächt. Mal abgesehen davon, dass man durchaus argumentieren könnte, dass es in der Summe keine Schwächung der Nato ist, wenn Leoparden in der Ukraine russische Panzer abschießen – es kann doch nicht Ziel unserer Lieferungspolitik sein, dass wir primär die Panzerwaffe, die einer potentiellen (und aktuell absolut unwahrscheinlichen) russischen Aggression unmittelbar gegenübersteht am meisten zu schwächen. Sprich, wenn ein Land seine operativen Fähigkeiten trotz des dringenden Bedarfs der Ukrainer erhalten sollte, dann ist das sicher nicht Deutschland, die Niederlande oder Spanien sondern Polen. Zumal die sowieso die allerletzten sind, die sich vorwerfen lassen müssten nicht genügend zu liefern.
Und zuletzt zum Brückenargument: Sicherlich ist das Gewicht ein einschränkender Faktor. Am ehesten aber noch in den Schlammphasen und im Winter im Tiefschnee. Das aber nur nebenbei. Was die Brücken angeht, welche sollen das bitte sein? Den Donbass ist eben nicht von tiefen, reißenden Flüssen durchzogen, auch wenn der Youtuber anderes suggeriert. Der Süden der Ukraine auch nicht. Genau genommen befinden sich dort verhältnismäßig wenig große Wasserläufe die in den Sommermonaten auch mal gerne austrocknen. Das Brücken über die wenigen größeren Flüsse westliche Kampfpanzer nicht tragen können mag in der Masse zutreffen – in der Praxis werden diese Brücken soweit sie militärisch relevant sind aber sowieso zerstört sein, bzw. sollte bei der Einsatzplanung eben davon ausgegangen werden. Entsprechend müssen halt andere Lösungen realisiert werden – Fährbetrieb oder Panzerbrücken, von denen die Ukraine ja auch schon einige bekommen hat.