05.04.2023, 13:59
Und die nächste Runde könnte tatsächlich bald anstehen...
Russland war bislang, mal stärker, mal weniger stark, die relativ verlässliche Schutzmacht der Armenier, die die Anrainer, die den Armeniern meistens feindselig gesonnen waren, immer wieder und nachdrücklich zurückpfeifen konnte. Die durch den Ukrainekrieg bedingte massive Erosion der russischen Stärke und der Ansehensverlust Moskaus jedoch, gepaart mit einem gewissen Desinteresse bzw. vielleicht auch einer Krafterschöpfung, gebiert das Problem, dass Waffengänge in der Region sogar wahrscheinlicher werden könnten. Fällt der regulierende Hegemon aus, so toben sich die kleinen Staaten aus.
Und Armenien selbst ist wirtschaftlich kaum alleine lebensfähig - geschweige denn kann es sich selbst stark genug hochrüsten - und auch zu abgeschnitten vom Rest der Welt; zumal weder die Türken, noch die wirtschaftlich aufgrund von Rohstoffexporten immer reicher und militärisch stärker werdenden Aserbaidschaner ein Interesse daran haben dürften, dem wenig geliebten Nachbarn zu helfen. Bliebe noch die Frage, wie sich die Iraner positionieren würden? Aber nachdem diese sich mit Baku wieder einigermaßen versöhnt und in den letzten Jahren die wirtschaftlichen Kontakte intensiviert haben (was ihnen auch hilft, internationale Sanktionen etwas abzufedern), denke ich nicht, dass sie allzu viel unternehmen würden, käme es zu einem neuen Krieg gegen Armenien. Die Lage der Armenier ist also wenig erbaulich...
Schneemann
Zitat:Armenienhttps://www.zeit.de/politik/ausland/2023...nd/seite-2
Vielleicht ist morgen wieder Krieg
Ein Land kann seiner Geografie nicht entfliehen. Armenien, eingezwängt zwischen anstrengenden Nachbarn, versucht deshalb, neue Verbündete zu finden.
Würde man Armenien bügeln, lautet ein armenischer Witz, wäre es so groß wie Russland. Ungebügelt sind es nur knapp 30.000 Quadratkilometer voller Berge, eingezwängt zwischen dem Iran, der Türkei, Georgien und Aserbaidschan. Das ist ein Problem. Mit wem kann dieses kleine Land handeln, wer unterstützt und beschützt es? Drei Millionen Einwohner, alte Klöster, Seen, Berge, Köstlichkeiten und vibrierendes Leben in der Hauptstadt Jerewan. [...]
Der Konflikt mit Aserbaidschan ist in den vergangenen Jahren eskaliert. Nachdem Armenien 2020 im letzten Krieg um die von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach (armenisch Arzach), die völkerrechtlich zu Aserbaidschan zählt, verloren hatte, musste es nach einem Waffenstillstandsabkommen mehrere zuvor armenisch kontrollierte Gebiete an Aserbaidschan abgeben. [...]
Droht eine größere militärische Eskalation? Krieg? "Wir sehen ein Muster", sagt der stellvertretende armenische Außenminister Vahan Kostanjan mit Blick auf die Bedrohungslage. "Erst gibt es kleinere Provokationen an der Grenze, dann eskaliert die Rhetorik der Aserbaidschaner und am Ende gibt es einen größeren Angriff." So sei es vor den Attacken im vergangenen September gewesen, so sei es jetzt wieder. Dass der autoritär regierende aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew kürzlich seine Rede zum Neujahrsfest Nouruz in Bergkarabach hielt, wo derzeit rund 120.000 Armenierinnen und Armenier ohne Zugang zur Armenien leben, wird in Armenien als Provokation gesehen. Und mit besonderer Aufmerksamkeit wird beobachtet, dass Alijew in Bezug auf Armenien in den vergangenen Monaten mehrfach von "West-Aserbaidschan" gesprochen hat, eine Formulierung, die die Armenier um ihre Existenz fürchten lässt. [...]
Aber die Menschen seien erschöpft und enttäuscht, sagt die armenische Journalistin Roubina Margossian, die für das unabhängige Magazin EVN Report arbeitet. Erschöpft von der Furcht vor einem Krieg, enttäuscht von der eigenen Regierung, die im letzten Krieg um Bergkarabach eine Niederlage und Gebietsverluste hat hinnehmen müssen. Und enttäuscht davon, dass Russland, das Armenien durch den Vertrag über kollektive Sicherheit eigentlich zum Beistand verpflichtet ist und mit Grenzschützern und Friedenstruppen in Armenien vertreten ist, nichts dagegen tut, dass Aserbaidschan die einzige Straße nach Bergkarabach seit mehr als drei Monaten blockiert. [...]
"Wir haben keine Wahl", sagt der armenische Politologe Alexander Iskandarjan vom Kaukasus-Institut, "egal ob diese Länder gut oder schlecht sind, Diktaturen oder nicht." Armenien könne seiner Geografie nicht entkommen, auch wenn die "mentale Geografie" europäisch sei. Da Russland ein unzuverlässiger Partner geworden sei, versuche Armenien nun, in Indien Waffen zu kaufen, um sich gegen die Bedrohung zu verteidigen. Was die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung betreffe, sagt Iskandarjan, orientiere man sich allerdings an Europa.
Russland war bislang, mal stärker, mal weniger stark, die relativ verlässliche Schutzmacht der Armenier, die die Anrainer, die den Armeniern meistens feindselig gesonnen waren, immer wieder und nachdrücklich zurückpfeifen konnte. Die durch den Ukrainekrieg bedingte massive Erosion der russischen Stärke und der Ansehensverlust Moskaus jedoch, gepaart mit einem gewissen Desinteresse bzw. vielleicht auch einer Krafterschöpfung, gebiert das Problem, dass Waffengänge in der Region sogar wahrscheinlicher werden könnten. Fällt der regulierende Hegemon aus, so toben sich die kleinen Staaten aus.
Und Armenien selbst ist wirtschaftlich kaum alleine lebensfähig - geschweige denn kann es sich selbst stark genug hochrüsten - und auch zu abgeschnitten vom Rest der Welt; zumal weder die Türken, noch die wirtschaftlich aufgrund von Rohstoffexporten immer reicher und militärisch stärker werdenden Aserbaidschaner ein Interesse daran haben dürften, dem wenig geliebten Nachbarn zu helfen. Bliebe noch die Frage, wie sich die Iraner positionieren würden? Aber nachdem diese sich mit Baku wieder einigermaßen versöhnt und in den letzten Jahren die wirtschaftlichen Kontakte intensiviert haben (was ihnen auch hilft, internationale Sanktionen etwas abzufedern), denke ich nicht, dass sie allzu viel unternehmen würden, käme es zu einem neuen Krieg gegen Armenien. Die Lage der Armenier ist also wenig erbaulich...
Schneemann