09.06.2023, 09:52
@Quintus
Allerdings darf man nicht vergessen, dass Guzmáns enger Kreis den Eliten bzw. den besser gebildeten Schichten entsprang. Er brachte seine Thesen an der Universität von Lima hervor (nach Besuchen in China), und sie wurde dort erst einmal von der Intelligenzija (Dozenten und Studenten) getragen. Auf dem Land, bei der - wenn man es so nennen will - lethargisch-trägen Landbevölkerung stießen seine Thesen Mitte der 1970er Jahre, anders als man es hätte annehmen können, interessanterweise zunächst auf wenig Begeisterung. (In gewisser Weise saß er einer ähnlichen Fehleinschätzung wie Che Guevara auf, der in Bolivien annahm, er könne die dortigen verarmten Bauern zum Guerillakrieg motivieren - bekanntermaßen ging das gründlich schief und er wurde 1968 von der bolivianischen Armee getötet.)
Aus diesem Grund musste Guzmán seine engsten Mitstreiter aus Universitätstagen losschicken, damit diese in den abgelegenen Regionen Zellen der Organisation aufbauen. Aber selbst diese Versuche zeigten anfangs nur geringe Wirkung. Der Grund hierfür war, dass es in Peru zu dieser Zeit zwar eine Militärjunta gab, aber dass diese Junta - im Gegensatz zu vielen anderen Militärdiktaturen in Südamerika - eine politisch eher "links" stehende Junta war, in der zudem recht viele Angehörige des Offizierskorps aus dunkelhäutigen bzw. indigenen Personen bestanden. Diese Junta hatte sich 1968 an die Macht geputscht, weil sie es der herrschenden (demokratisch legitimierten) Regierung nicht zugetraut hatte, dass sie die notwendigen sozialen Reformen auf dem Land durchführt (!). D. h. Guzmán wollte seinen "linken" Volkskrieg zu einer Zeit starten, als eine sozialistisch gefärbte Junta soziale Reformen umsetzen wollte.
Gerade in Europa und auch in Deutschland irritiert dies teils etwas, da wir bei uns mit Diktaturen in Südamerika meistens rechte Regime wie Pinochet in Chile oder Videla in Argentinien und vielleicht noch, da weniger bekannt, Stroessner in Paraguay meinen.
Diese Junta in Peru aber hatte nicht nur angefangen, Großkonzerne zu verstaatlichen, sondern zugleich auch sozialistische Kooperativen auf dem Land ins Leben gerufen und lokale Eigenverwaltungen der indigenen Bevölkerung begründet. Es ist also ersichtlich, weswegen der "Sendero Luminoso" anfangs so gut wie keinen Zulauf hatte. Von einem Terror des Regimes, das so den Aufstieg von Guzmáns Maoisten ermöglichte, kann also nicht gesprochen werden.
Der Kipppunkt war allerdings, dass es unter den indigenen Bauern selbst zu Streitigkeiten kam über die neuen, von der Regierung gesteuerten Landzuteilungen bzw. -verteilungen und die Besetzung von Posten in den Lokalverwaltungen. Und in diese Unruhezone stieß der "Sendero Luminoso" hinein und schürte so den Streit zwischen den Bauern. (Das war taktisch sicherlich klug.) Als Folge davon deklarierten die Maoisten manche Bauern zu Feinden und manche zu Freunden. Die Militärjunta wiederum musste beinahe hilflos mit ansehen, wie ihr Plan einer Landreform etc. ausgehöhlt wurde und zerfiel. Und ihre eigene Macht schwand damit zusehends auch.
Und - nun sehr spannend - das Militär holte nicht, wie man hätte annehmen können, zum Schlag gegen die Maoisten aus, sondern räumte die Rückkehr zur Demokratie ein (!). Und die Peruaner wählten im Mai 1980 dann auch eine neue, demokratisch legitimierte Regieriung (unter Belaúnde Terry). Dieser, auch wenn er durchaus als integer gilt, bekam die Probleme nicht in den Griff und versuchte, durch eine Rücknahme der Reformen der Junta die schlimmsten Auswüchse des Streits wieder zu beseitigen. Zugleich betrieb er aber auch eine Wiederannäherung an die USA, was den linken Kräften im Land Steilvorlagen lieferte.
Der "Sendero Luminoso" wiederum fraß sich in dieser Zeit in diese Unzufriedenheiten hinein und griff gezielt Großgrundbesitzer, die von der Regierung Terry entschädigt worden waren, an. Einen ersten Mord an einem solchen verzeichnete man am Weihnachtstag 1980 (davor gab es schon Angriffe auf Polizeistationen und Wahlbüros, aber es gab dabei keine Todesopfer). Im Dezember 1980 begann auch die als Deng Xiaoping's Dogs bekannt gewordene Aktion der Maoisten, was eine Kriegserklärung an Terry darstellte (Link: https://en.wikipedia.org/wiki/Deng_Xiaoping%27s_dogs). Nur hat das in der Regierung niemand richtig verstanden bzw. ernst genommen.
Die Agitation des "Sendero Luminoso" indessen sorgte nun dafür, dass es (erstmals) gewisse Sympathien für ihn auf dem Land gab, zumal die Rücknahme der Militärreformen unter Terry bei den Bauern nicht sonderlich beliebt waren, obgleich sie selbst durch ihre internen Streitigkeiten dies in erheblichem Umfang (mit-)bewirkt hatten. Hinzu kam, dass sich die Guerillas zu dieser Zeit noch halbwegs gesittet benahmen, sie bestraften Diebe und korrupte Richter und Bürgermeister, was ihnen manchen Pluspunkt bei der Landbevölkerung einbrachte. Es gab zu dieser Zeit (1980/81) also Zulauf zum "Sendero Luminoso", aber dieser war nicht einer Übergriffigkeit eines Regimes geschuldet und auch nicht durch den Terror der Guerillas gegen die Landbevölkerung erzwungen.
Die restlichen Abläufe - Gefängnisrevolten (z. B. im März 1982 in Ayachuco), Dorfsicherungskonzepte, Übergriffe von Militärs, öffentliche Morde der Maoisten an nicht willfährigen Dorfbewohnern etc. sind relativ bekannt, ich führe sie hier nicht alle mehr an. Sie sind mehr oder minder auch nur Symptome. Ich rechne den Gefängnisrevolten auch nicht die Perfektion zu, wie du das angemerkt hattest. Ebenso war der Terror der Maoisten nicht der Träger des Erfolges der Revolte. Ab dem Zeitpunkt, als Guzmán auf den Terror setzte - egal ob gegen den Staat oder gegen die nicht willfährige Landbevölkerung -, gab es den ersten Widerstand gegen den "Sendero Luminoso" (die ersten Morde an Senderistas durch aufgebrachte Bauern datieren auf den Jahreswechsel 1982/83; ab diesem Zeitpunkt bildeten sich dann auf dem Land auch Selbstverteidigungsgruppen, die wiederum vom Militär unterstützt wurden).
Fazit: Der Aufstieg des "Sendero Luminoso" war a) nicht dem Terror eines Staatssystems geschuldet. Terror und Gegenterror kamen erst später hinzu. Aber es war zugleich auch b) der Terror des "Sendero Luminoso", der ihm eben gerade nicht den Erfolg im Guerillakrieg brachte, sondern der den Anfang von seinem eigenen Niedergang bedeutete.
Schneemann
Zitat:Und umgekehrt war es nicht so wie du es hier beschreibst, dass der Leuchtende Pfad sich überall ausbreitete weil die Regierung so brutal vorging, und dann erst die Unterstützung verlor, als er selbst auf die Bevölkerung losging. Sondern die gingen von Anfang an sehr massiv gerade eben gegen die indigene Bevölkerung los und auch gegen überzeugte Christen auf dem Land und gerade diese Gewalt war wesentlich für ihren Erfolg und dass sie sich auf die Hälfte der Landesfläche ausbreiten konnten.Jein. Natürlich gab es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit zwischen der armen, indigenen Bevölkerung und den Städten bzw. einer Elite vorzugsweise weißer Großgrundbesitzer. Dies hat i. d. T. die Ausbreitung von maoistischen bzw. sozialistischen Gedanken innerhalb der Landbevölkerung begünstigt. Nicht ohne Grund war Ayacucho eines der Ausgangszentren dieser Bewegung.
Der Leuchtende Pfad ist zudem dahingehend ein Musterbeispiel, weil er wie die Taliban mitten in der Gesellschaft zunächst eine weitausgedehnte Parallelgesellschaft errichtet hat, bevor er dann den offenen Kampf aufnahm. Zuerst hat man sich im Untergrund möglichst weit ausgebreitet, und erst als man sich dort überall als Parallelgesellschaft etabliert hatte, eröffnete man den bewaffneten Kampf, und gleich von Beginn an in weiten Teilen der Landesfläche.
Nachdem der bewaffnete Kampf eröffnet worden war, wurde eine Mehrheit (!) der Kämpfer des leuchtenden Pfades von diesem mit Gewalt rekrutiert. Und gleich von Anfang an massiver Terror gegen Andersdenkende Minderheiten ausgeübt und wie erwartet (französische Doktin) ging die Mehrheit zum leuchtenden Pfad über.
Perfekte Terrrortaten des leuchtenden Pfades waren die Gefängnisaufstände und die dadurch hervor gerufenen Reaktionen der Regierung. Es waren die Massaker bei der Niederschlagung dieser Gefängnisaufstände welche dem leuchtenden Pfad dann bei der indigenen Bevölkerung sehr viele Symphatien einbrachten.
Allerdings darf man nicht vergessen, dass Guzmáns enger Kreis den Eliten bzw. den besser gebildeten Schichten entsprang. Er brachte seine Thesen an der Universität von Lima hervor (nach Besuchen in China), und sie wurde dort erst einmal von der Intelligenzija (Dozenten und Studenten) getragen. Auf dem Land, bei der - wenn man es so nennen will - lethargisch-trägen Landbevölkerung stießen seine Thesen Mitte der 1970er Jahre, anders als man es hätte annehmen können, interessanterweise zunächst auf wenig Begeisterung. (In gewisser Weise saß er einer ähnlichen Fehleinschätzung wie Che Guevara auf, der in Bolivien annahm, er könne die dortigen verarmten Bauern zum Guerillakrieg motivieren - bekanntermaßen ging das gründlich schief und er wurde 1968 von der bolivianischen Armee getötet.)
Aus diesem Grund musste Guzmán seine engsten Mitstreiter aus Universitätstagen losschicken, damit diese in den abgelegenen Regionen Zellen der Organisation aufbauen. Aber selbst diese Versuche zeigten anfangs nur geringe Wirkung. Der Grund hierfür war, dass es in Peru zu dieser Zeit zwar eine Militärjunta gab, aber dass diese Junta - im Gegensatz zu vielen anderen Militärdiktaturen in Südamerika - eine politisch eher "links" stehende Junta war, in der zudem recht viele Angehörige des Offizierskorps aus dunkelhäutigen bzw. indigenen Personen bestanden. Diese Junta hatte sich 1968 an die Macht geputscht, weil sie es der herrschenden (demokratisch legitimierten) Regierung nicht zugetraut hatte, dass sie die notwendigen sozialen Reformen auf dem Land durchführt (!). D. h. Guzmán wollte seinen "linken" Volkskrieg zu einer Zeit starten, als eine sozialistisch gefärbte Junta soziale Reformen umsetzen wollte.
Gerade in Europa und auch in Deutschland irritiert dies teils etwas, da wir bei uns mit Diktaturen in Südamerika meistens rechte Regime wie Pinochet in Chile oder Videla in Argentinien und vielleicht noch, da weniger bekannt, Stroessner in Paraguay meinen.
Diese Junta in Peru aber hatte nicht nur angefangen, Großkonzerne zu verstaatlichen, sondern zugleich auch sozialistische Kooperativen auf dem Land ins Leben gerufen und lokale Eigenverwaltungen der indigenen Bevölkerung begründet. Es ist also ersichtlich, weswegen der "Sendero Luminoso" anfangs so gut wie keinen Zulauf hatte. Von einem Terror des Regimes, das so den Aufstieg von Guzmáns Maoisten ermöglichte, kann also nicht gesprochen werden.
Der Kipppunkt war allerdings, dass es unter den indigenen Bauern selbst zu Streitigkeiten kam über die neuen, von der Regierung gesteuerten Landzuteilungen bzw. -verteilungen und die Besetzung von Posten in den Lokalverwaltungen. Und in diese Unruhezone stieß der "Sendero Luminoso" hinein und schürte so den Streit zwischen den Bauern. (Das war taktisch sicherlich klug.) Als Folge davon deklarierten die Maoisten manche Bauern zu Feinden und manche zu Freunden. Die Militärjunta wiederum musste beinahe hilflos mit ansehen, wie ihr Plan einer Landreform etc. ausgehöhlt wurde und zerfiel. Und ihre eigene Macht schwand damit zusehends auch.
Und - nun sehr spannend - das Militär holte nicht, wie man hätte annehmen können, zum Schlag gegen die Maoisten aus, sondern räumte die Rückkehr zur Demokratie ein (!). Und die Peruaner wählten im Mai 1980 dann auch eine neue, demokratisch legitimierte Regieriung (unter Belaúnde Terry). Dieser, auch wenn er durchaus als integer gilt, bekam die Probleme nicht in den Griff und versuchte, durch eine Rücknahme der Reformen der Junta die schlimmsten Auswüchse des Streits wieder zu beseitigen. Zugleich betrieb er aber auch eine Wiederannäherung an die USA, was den linken Kräften im Land Steilvorlagen lieferte.
Der "Sendero Luminoso" wiederum fraß sich in dieser Zeit in diese Unzufriedenheiten hinein und griff gezielt Großgrundbesitzer, die von der Regierung Terry entschädigt worden waren, an. Einen ersten Mord an einem solchen verzeichnete man am Weihnachtstag 1980 (davor gab es schon Angriffe auf Polizeistationen und Wahlbüros, aber es gab dabei keine Todesopfer). Im Dezember 1980 begann auch die als Deng Xiaoping's Dogs bekannt gewordene Aktion der Maoisten, was eine Kriegserklärung an Terry darstellte (Link: https://en.wikipedia.org/wiki/Deng_Xiaoping%27s_dogs). Nur hat das in der Regierung niemand richtig verstanden bzw. ernst genommen.
Die Agitation des "Sendero Luminoso" indessen sorgte nun dafür, dass es (erstmals) gewisse Sympathien für ihn auf dem Land gab, zumal die Rücknahme der Militärreformen unter Terry bei den Bauern nicht sonderlich beliebt waren, obgleich sie selbst durch ihre internen Streitigkeiten dies in erheblichem Umfang (mit-)bewirkt hatten. Hinzu kam, dass sich die Guerillas zu dieser Zeit noch halbwegs gesittet benahmen, sie bestraften Diebe und korrupte Richter und Bürgermeister, was ihnen manchen Pluspunkt bei der Landbevölkerung einbrachte. Es gab zu dieser Zeit (1980/81) also Zulauf zum "Sendero Luminoso", aber dieser war nicht einer Übergriffigkeit eines Regimes geschuldet und auch nicht durch den Terror der Guerillas gegen die Landbevölkerung erzwungen.
Die restlichen Abläufe - Gefängnisrevolten (z. B. im März 1982 in Ayachuco), Dorfsicherungskonzepte, Übergriffe von Militärs, öffentliche Morde der Maoisten an nicht willfährigen Dorfbewohnern etc. sind relativ bekannt, ich führe sie hier nicht alle mehr an. Sie sind mehr oder minder auch nur Symptome. Ich rechne den Gefängnisrevolten auch nicht die Perfektion zu, wie du das angemerkt hattest. Ebenso war der Terror der Maoisten nicht der Träger des Erfolges der Revolte. Ab dem Zeitpunkt, als Guzmán auf den Terror setzte - egal ob gegen den Staat oder gegen die nicht willfährige Landbevölkerung -, gab es den ersten Widerstand gegen den "Sendero Luminoso" (die ersten Morde an Senderistas durch aufgebrachte Bauern datieren auf den Jahreswechsel 1982/83; ab diesem Zeitpunkt bildeten sich dann auf dem Land auch Selbstverteidigungsgruppen, die wiederum vom Militär unterstützt wurden).
Fazit: Der Aufstieg des "Sendero Luminoso" war a) nicht dem Terror eines Staatssystems geschuldet. Terror und Gegenterror kamen erst später hinzu. Aber es war zugleich auch b) der Terror des "Sendero Luminoso", der ihm eben gerade nicht den Erfolg im Guerillakrieg brachte, sondern der den Anfang von seinem eigenen Niedergang bedeutete.
Schneemann