Aufstands- und Partisanenbekämpfung (COIN)
Schneemann:

Zitat:Zu Punkt 1 gilt es zu sagen, dass die Guerilla des "Sendero Luminoso" genau genommen keine richtige Parallelgesellschaft war, dazu waren sie insgesamt viel zu wenige als dass man von einer geheimen Gesellschaft im Untergrund hätte sprechen können.

Zu diesem Punkt müsste ich vielleicht genauer ausführen, was ich mit einer Parallelgesellschaft meine. Guerillas selbst bilden nie eine Parallelgesellschaft. Sondern gemeint ist damit (mit dem Begriff Parallelgesellschaft), dass sie vom Staat unabhängige Strukturen in der Bevölkerung implementieren, also eine vom Staat getrennte eigene Gesetzgebung (Volkstribunale, Hinrichtungen vermeintlicher Krimineller usw), dass sie selbst Steuern einziehen, dass die Kämpfer rekrutieren (Wehrpflicht), dass sie eine eigene Gesetzgebung einführen und dass alles parallel zur offiziellen Gesellschaft im Untergrund. Und exakt das haben sie in Peru getan.

Die Parallelgesellschaft bedeutet also nicht, dass die Masse der Bevölkerung eine neue andere Gesellschaft bilden würde, weil sie mehrheitlich Guerillas sind, sondern dass die Guerilla der Mehrheit ihren Willen aufzwingen kann und dazu braucht man nur sehr wenige Kämpfer.

Eine Minderheit zwingt der Mehrheit ihren Willen auf, dass ist der Kern von Insurgency und Counterinsurgency. Denn da ist kein Unterschied zu einem Staat, einer normalen Regierung usw. Auch da zwingt eine Minderheit der Mehrheit ihren Willen auf. Da die Guerilla aber weniger sind (immer) als die staatlichen Sicherheitskräfte, müssen sie entsprechend mehr Gewalt dafür einsetzen, zwingend. Also mehr Terror ausüben.

Das größere Ausmaß des Terror durch den leuchtenden Pfad resultierte daher nicht zuletzt aus dem von dir angesprochenen Ungleichgewicht was die Kräfte angeht.

Zitat:ermutlich zählten die direkten Anhänger Guzmáns - wie du auch selbst im zweiten Beitrag angemerkt hast - nie mehr als 500 bis 800 Personen,

In der Anfangszeit ja, aber ich nannte nicht 500 bis 800 Personen. Tatsächlich stieg die Zahl der Guerialla bis 1990 auf um die 5000 bewaffnete Kämpfer und mehrere zehntausend Symphatisanten.

Zitat:Doch, das tat er. Es gibt Berichte aus der Zeit um 1980/81, wo gezielt Viehdiebe öffentlich (bzw. für eine Bauerngemeinde sichtbar) getötet wurden. Und die ländliche Bevölkerung war darüber durchaus froh, denn bislang hatte die Staatsmacht sich um ihre Belange, also wenn sie einen Viehdiebstahl meldeten, so gut wie gar nicht gekümmert (oder konnte sich nicht kümmern).

Geschenkt. Dass gerade in den ersten zwei Jahren unter den Hingerichteten auch mal echte Diebe mit dabei waren, spielt für den von mir beschriebenen Prozess insgesamt keine Rolle. Es wurden aber auch einfach Schuldige produziert, indem man behauptete, diese oder jene Person sei der Dieb. Nur um Erfolge präsentieren zu können.

Ein Machtvakuum indem der Staat dann sich nicht mehr um solche Belange kümmern konnte erzeugte der leuchtende Pfad zudem selbst, indem er gezielt Regierungsangehörige ermordete, um dadurch die Beamten / Polizisten usw. aus dem beanspruchten Gebiet zu vertreiben. Es flohen damals teilweise aus ganzen Provinzen die Beamten fast vollständig. Das dadurch entstehende Machtvakuum nahm dann der leuchtende Pfad selber ein (Stichwort Parallelgesellschaft).

Zitat:Für den "Aufbau" der Guerilla war diese Taktik jedoch nicht erforderlich oder entscheidend bzw. man findet vor 1980 nur sehr wenige Bsp. dazu.

Zum zeitlichen Ablauf. Du gehst meiner Ansicht nach davon aus, dass die Guerilla vor bzw. um 1980 herum aufgebaut wurde.

Meinem Verständnis nach aber wurde sie von 1983 bis 1990 herum aufgebaut. Der Aufbau fand gerade eben in diesen sieben Jahren statt, und nicht zuvor. Da es vor 1981 noch gar keine wirkliche Guerilla gab, beispielsweise lag im Jahr 1980 die Zahl der Guerillas tatsächlich gerade mal bei um die 500 Mann, kann man nicht von einem davor liegenden Aufbau der Guerilla sprechen.

Zitat:Zu Punkt 2 habe ich eine andere Meinung. Natürlich verbreitete der "Sendero Luminoso" Terror, aber in jener Phase, als er noch Zulauf hatte, richtete sich dieser Terror gegen Angehörige des Staates (Richter, Polizei, Steuerbeamte) oder gegen Großgrundbesitzer. Aber als die Maoisten anfingen, nicht willfährige Bauern umzubringen, schwand die Zustimmung und die kontrollierten Gebiete wurden kleiner.

Den größten Zulauf hatte der leuchtende Pfad von 1982 bis 1992. Gerade eben in der Zeit, in welcher er anfing seinen Terror auch gegen diejenigen Indigenen / Bauern zu wenden, die nicht willfährig waren. Und zwar gerade eben dadurch. Die Zustimmung sank nicht, sondern sie stieg. Sie fiel dann erst ab, als die Regierung anfing ihren Gegenterror sinnvoll zu implementieren und die Meinung in der Bevölkerung dass der leuchtende Pfad siegen werde zusammen brach und zeitgleich der Staat mit der Institutionalisierung, Bewaffnung und Ausbildung der Rondas die Sicherheit der Bevölkerung und seine Staatsmacht mit Gewalt wieder ausbreiten und durchsetzen konnte. Dazu kam dann noch erheblich verstärkend die Festnahme Guzmans, die sich für den leuchtenden Pfad katastrophal auswirkte aufgrund seiner zentralen Stellung, seines Personenkultes und der Organisation seiner Guerilla auf ihn hin ausgerichtet.

Zitat:D. h. der Terror half dann beim Machtausbau, als er sich nicht gegen die indigene Bauernbevölkerung richtete. Sobald man diese aber auch terrorisierte zwecks "Konditionierung", ging der Einfluss zurück.

Und das ist gerade eben die (kontraintuitive) Fehlannahme welche westliche COIN behindert bzw. verunmöglicht und welche die französische Doktrin als erste als Fehlannahme festgestellt hat. Man geht davon aus, dass Terror die Menschen dazu bringt, sich von einem abzuwenden. Entsprechend bringt Terror der Regierung die Menschen auf die Seite der Guerilla und umgekehrt Terror der Guerilla die Menschen auf die Seite der Regierung.

Dem ist aber eben in ganz vielen Fällen nicht so. Sondern das Gegenteil ist der Fall. Das ist die Erkenntnis die (weil sie eben kontraintuitiv ist) nicht verstanden wird, und weshalb westliche COIN Strategien sowohl im Irak als auch in Afghanistan gescheitert sind.

Zitat:Ja, man hat durchaus die willkürliche Brutalität der Staatsgewalt anfangs für die eigenen Zwecke (auch) im zielgerichteten und doch manipulativen Sinne genutzt, allerdings funktionierte diese Taktik nur bis Anfang 1983, danach war das Kippelement dieses Punktes 3 erreicht und er erfüllte sich nicht mehr.

Bis Anfang 1983 gab es doch praktisch fast keine willkürliche Brutalität der Staatsgewalt, die fing ab da erst an und erreichte ihren Höhepunkt erst ab 1990 fort folgend.

Zitat:Und dann geschah das seltsame und unerwartete: Die Dörfer, die der "Sendero Luminoso" gezielt zurückgelassen bzw. dem Militär überlassen hatte - im Rahmen der Manipulation des Terrors -, engagierten sich wegen der Repression nicht verstärkt für die Guerilla (wie man vermuten könnte, folgt man der Logik des Punktes 3), sondern liefen prompt zum Militär über, da sie sich von Guzmán und seiner Bande verraten und in Stich gelassen sahen.

Was keineswegs seltsam ist, und auch nicht unerwartet (jeder Anhänger der französischen Doktrin hätte es exakt so vorher gesehen). Es entsteht ein Machtvakuum, die installierte Parallelgesellschaft kann nicht aufrecht erhalten werden, der Staat setzt sich durch weil die Bevölkerung nun davon ausgeht, dass der Staat siegen wird und dieser die Staatsgewalt durchsetzen kann. Das hat nicht mit einem Gefühl des Verrates zu tun, sondern ist blanker Opportunismus, Feigheit und die übliche Schwäche und Erbärmlichkeit der Mehrheit der Menschen. Die Mehrheit ist damit immer nur eine Verfügungsmasse die von der Minderheit nach Belieben in der Gegend herum geschubst wird.

Warum aber zog sich Guzman zurück ?

Zitat:Guzmán? Der rieb sich die Hände und ließ seine Leute vorerst abtauchen in den Anden und im Dschungel entlang von deren Ostflanke. Es schien gut zu laufen, das Militär trieb ihm ja quasi durch Grausamkeit Sympathisanten zu - die Rechnung unter Punkt 3 schien also aufzugehen. Könnte man meinen...

Eben nicht um das Militär die Bevölkerung frei niedermetzeln zu lassen um damit (durch den Terror der Regierung) neue Symphatien zu finden, sondern weil er es militärisch musste, weil er sich sonst nicht hätte halten können. Durch systematische Folter und massive militärische Angriffe wäre ansonsten seine Guerilla vor Ort zerschlagen worden. Und dafür war sie numerisch zu schwach, sie war ja erst im Aufwuchs, der eben nicht vor 1980 stattfand wie du es schreibst, sondern erst von 1983 bis 1990 stattfand (Aufwuchs von ungefähr 500 Mann auf um die 5000 Mann).

Trotz der massiven Angriffe des Militärs und trotz des Terrors der Regierung wuchs der leuchtende Pfad also in dieser Zeit auf das ungefähr Zehnfache an was die bewaffneten Kämpfer angeht. Er konnte seine Wehrkraft also verzehnfachen und da ihm in dieser Zeit viele Waffen in die Hände fielen in Wahrheit sogar deutlich mehr als verzehnfachen.

Dazu noch ein wesentlicher Punkt: eine Guerilla besteht nicht allein aus den bewaffneten Kämpfern, tatsächlich sind diese nicht einmal die wesentlichste Gruppe wenn die Guerilla erfolgreich sein will. Unbewaffnete Angehörige der Guerilla welche für diese im Geheimen operieren sind sogar noch wesentlicher. Von daher ist es eben grundfalsch die Guerilla auf ihre bewaffneten und kämpfenden Elemente zu reduzieren.
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[Kein Betreff] - von Holger - 23.01.2004, 11:13

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