12.02.2024, 13:04
@Quintus

Ein solches Bsp. wäre der deutsche Vorstoß auf Moskau 1941, als mit ausgelaugten und völlig erschöpften Kräften immer noch die Offensive vorangetrieben wurde in der Annahme, dass das "letzte Bataillon" dann doch noch zum Roten Platz vordringt. Wir wissen wie es ausging. Hier wäre in jedem Fall der Übergang zur Defensive und das Konsolidieren der völlig überstrapazierten Nachschubwege richtig gewesen, aber man unterschätzte eben nicht nur das Land, das Wetter und den Gegner, sondern wollte es sich einfach nicht eingestehen.
Umgekehrt waren die deutschen Panzerspitzen 1940 vor Dünkirchen durchaus auf der "Siegerstraße", aber dann wurden sie - aus Gründen, über die von Historikern bis heute noch gestritten wird - "zurückgepfiffen" bzw. angehalten. Im Ergebnis war dies eine größten strategischen Pannen der Deutschen beim Westfeldzug 1940 und es ermöglichte Großbritannien, den Kern seiner Armee über den Kanal zu retten.
Es kommt also auf die Umstände an.
Schneemann
Zitat:Also mal ernsthaft: du willst also allen Ernstes behaupten, die russischen Kapazitäten im Weltraum wären selbst dem BND unterlegen ?!Ich habe nur behauptet, dass der BND der Ukraine auch Aufklärungsdaten liefert, einen Vergleich zu russischen Aufklärungsmöglichkeiten habe ich aber nicht gezogen.
Zitat:Die Russen haben ganz genau so SIGINT, und noch darüber hinaus ist ein Problem in Bezug auf die Russen in diesem Kontext, dass sie teilweise verblüffend altertümliche Kommunikationsmethoden verwenden, und westliches SIGINT diesen gegenüber versagt.Natürlich haben die Russen auch SIGINT, aber es ist bekannt, dass z. B. gerade deren satellitengestützte Aufklärung deutliche Schwächen hat. Und die Ausrichtungen sind auch andere (z. B. auf maritime Bereiche), so dass der direkte Nutzen im Erdkampf im Ukrainekrieg eher begrenzt ist. Genau das hat dazu geführt, dass man diese Gedankenspiele um die M-55 geführt hat.
Zitat:Du kannst keine russische Kommunikation abhören wenn diese per selbstverlegten Kabel verläuft.Dazu müsste man nun wissen, wie hoch der Anteil der Kabelkommunikation ist. Im Feld, heruntergebrochen auf Bataillone und im kleinräumigen Bereich, mag es durchaus recht häufig vorkommen, vielleicht sogar der Schwerpunkt sein. Das vermute ich zumindest. Übergeordnet jedoch wird das nicht funktionieren, zumindest nicht im großen Stil.
Zitat:Ich finde es faszinierend, wie sehr man im Westen von Hybris befallen meint, jedwede Leistung der Ukrainer käme primär von uns.Primär natürlich nicht, schließlich sterben die Ukrainer in diesem Krieg und keine westlichen Soldaten, aber dennoch ist die Unterstützung der Westmächte wichtig, ja entscheidend. Ohne sie wäre die Ukraine kaum mehr in der Lage, diesen Konflikt zu führen. (Und sie würde auch nicht so vehement nach weiterer Unterstützung fragen.) Das beziehe ich nun rein auf die Lieferungen und Unterstützungen und nicht auf die taktischen Kenntnisse und Erfahrungen der Feldkommandeure vor Ort - hier haben die Ukrainer (gezwungenermaßen und logischerweise) einen Wissensvorsprung. Grundlegende Aspekte der Kriegführung gelten jedoch immer, auch in der Ukraine, aber hier - hinsichtlich der "Einzigartigkeit" eines jeden Kriegsschauplatzes - müsste es die Verzahnung der allgemein gültigen Leitsätze und der Erfahrungen von vor Ort geben.
Zitat:Aber noch darüber hinaus schreibst du hier an mir vorbei: ich schrieb nicht, dass man nicht wüsste wo welche Einheiten sind, sondern dass das Übermaß an Information ein Kaleidoskop erzeugtAh, stimmt. Das muss irgendwie unter gegangen sein. Dann verstehe ich es besser: Es ist also nicht der Informationsfluss als solcher, sondern die Verarbeitung von diesem bzw. das direkte Umlegen der gewonnenen Erkenntnisse ins Feld.
Zitat:Die Russen haben dort hektisch neue Verbände auf geeignete Auffanglinien verlegt. Und es waren primär diese neuen russischen Einheiten welche die Ukrainer dort dann stoppten, nicht ein Nachschubmangel bei den Ukrainern. Die vordringenden ukrainischen Einheiten waren zudem querschnittlich sehr leicht. Zu leicht für einen Durchbruch...Womit wir wieder beim Thema der Notwendigkeit von schwerem Gerät wären...

Zitat:Dir sollte aber aufgefallen sein, dass aufgrund der Gesamtumstände in der Ukraine die Defensive ein erhebliches Primat besitzt ?! Und was für eine Initiative auf strategischer Ebene soll das sein von der du hier schreibst?Dass die Defensive mittlerweile der Primat dieses Krieges ist, ist sicher richtig. Das ist aber einfach der Situation geschuldet, dass beide Seite gar nicht mehr wirklich anders können. Was ich allerdings anders sehe, ist, dass man die Initiative auch in der Defensive leben könnte. Nur mit einer defensive Strategie wirst du keinen Krieg gewinnen und auch keine Entscheidung herbeiführen können. D. h. nun nicht, dass es nicht auch defensive Phasen geben muss, aber die Defensive selbst ist immer nur ein temporärer Zustand und eben keine strategische Initiative, die ich benötige, um eine Entscheidung herbeizuführen. Oder anders ausgedrückt: Mit dieser Defensivinitiative kann man diesen leidigen Krieg noch zehn Jahre lang führen und es wird sich nichts ändern.
Im übrigen kann man auch in der Verteidigung die Initiative haben. Initiative bedeutet eben nicht Angriff - sie kann eben nicht nur in der Offensive erreicht werden, ganz im Gegenteil. Die Initiative beschränkt auf den Angriff und die Offensive zu betrachten ist einer der meiner Meinung nach wesentlichsten Fehler der aktuellen westlichen Streitkräfte.
Die Zielsetzung der Ukraine hätte daher sein müssen, auf der strategischen Ebene die Initiative in der Defensive zu erlangen.
Zitat:Und zwar um das Abnutzungsverhältnis so weitgehend wie möglich zu den eigenen Gunsten zu drehen.Ich bin nicht überzeugt, dass eine Abnützungsstrategie zielführend ist, zumal dann nicht, wenn ich der kleinere "Spieler" bin und das Gegenüber eine drei- oder viermal so große Bevölkerung besitzt (und auch, wie ich schon mal schrieb, durchaus ernstzunehmende Produktionskapazitäten nutzen kann, selbst wenn seine Gerätschaften nicht unbedingt die besten sind).
Zitat:Annahme: die Ukrainer nehmen zeitnah sowohl die Krim als auch die anderen besetzten Gebiete ein und halten an der Grenze zu Russland an. Es gibt hier nun genau drei Möglichkeiten: 1. die aktuelle Regierung Russlands kann sich halten, dann geht der Krieg weiter. Die Russen werden eben nicht aufhören, nur weil die Ukrainer jetzt an der Grenze stehen und ihre Truppen nicht mehr in der Ukraine selbst. 2. eine andere Regierung kommt an die Macht. Und hier kommt nun der Gedankenfehler im Westen, dass diese andere Regierung dann den Krieg in jedem Fall beenden würde. Das ist aber gar nicht so wahrscheinlich und es ist wahrscheinlicher, dass radikalere Elemente an die Macht kommen, welche den Krieg eskalieren. 3. eine neue Regierung ist erstmal mit internen Problemen beschäftigt und der Krieg muss daraufhin eingestellt werden - 3.1. in der Fortführung klärt die neue Regierung die internen Probleme und führt dann den Krieg weiter 3.2. der Krieg endet dauerhaft.Die Wahrscheinlichkeit, dass es nach einer Rückeroberung der genannten Gebiete einen Folgekrieg geben kann, ist so oder so vorhanden. Was ich aber für wahrscheinlich halte, ist, dass nach einem solchen Debakel die internen Spannungen in Russland sich Bahn brechen. Ob dann Putin stürzt oder es eine Militärrevolte oder gar einen Bürgerkrieg gibt etc. pp., das muss Theorie bleiben (wir haben dazu ja auch schon einige Gedankenspiele abgehalten), aber Fakt dürfte sein, dass die Russen erst einmal sehr stark mit sich selbst beschäftigt wären und ein möglicher Folgekrieg erst einmal in die Ferne rückt. Und damit hätten die Ukrainer schon wertvolle Zeit gewonnen.
Wie man sieht enden 3 von 4 Varianten mit einer Fortführung des Krieges. Demzufolge liegt deine Chance auf Frieden gerade mal bei 25% - und dass ist aber in der praktischen Realität meiner Einschätzung nach nicht einmal der Fall. Die Chance auf Frieden ist bei einem solchen Vorgehen sogar noch geringer, weil das russische Volk die Erniedrigung / nationale Demütigung eines Sieges der Ukrainer nicht erträgt. Ein Folgekrieg wäre zwingend die Folge.
Zitat:Was soll das den sein, die "Siegerstraße" ?! Das ist zunächst mal einfach nur ein Wort welches hier sinnfrei im Raum steht, für sich allein. [...] In deinen Ausführungen hier zeigt sich stattdessen meiner Meinung nach klar und eindeutig die aktuelle westliche Auffassung von Sieg als einer Offensive, eines Angriffs, welcher die Besetzung von Terrain zur Folge hat.Korrekt, das ist meine Meinung, aber...
Zitat:Du schreibst von Zurückpfeifen - und das zeigt klar das Bild einer vordringenden Armee welche dann anhalten muss. Und genau dass ist der Gedankenfehler in Bezug auf die Ukrainer. Im übrigen gibt es auch genügend Beispiele in der Geschichte wo sich Armeen im Angriff auf der "Siegerstraße" fühlten und dann primär dadurch schwerwiegende Folgen entstanden. Denn keineswegs bedeutet eine scheinbar erfolgreiche Offensive zwingend den Sieg....um dies vielleicht etwas zu differenzieren: Es kann natürlich immer sein, dass man Abwägungen vornehmen muss. Bekanntermaßen kann man sich auch "totsiegen" und letztlich gar nichts erreichen bzw. sogar dem Gegner in die Hände spielen.
Ein solches Bsp. wäre der deutsche Vorstoß auf Moskau 1941, als mit ausgelaugten und völlig erschöpften Kräften immer noch die Offensive vorangetrieben wurde in der Annahme, dass das "letzte Bataillon" dann doch noch zum Roten Platz vordringt. Wir wissen wie es ausging. Hier wäre in jedem Fall der Übergang zur Defensive und das Konsolidieren der völlig überstrapazierten Nachschubwege richtig gewesen, aber man unterschätzte eben nicht nur das Land, das Wetter und den Gegner, sondern wollte es sich einfach nicht eingestehen.
Umgekehrt waren die deutschen Panzerspitzen 1940 vor Dünkirchen durchaus auf der "Siegerstraße", aber dann wurden sie - aus Gründen, über die von Historikern bis heute noch gestritten wird - "zurückgepfiffen" bzw. angehalten. Im Ergebnis war dies eine größten strategischen Pannen der Deutschen beim Westfeldzug 1940 und es ermöglichte Großbritannien, den Kern seiner Armee über den Kanal zu retten.
Es kommt also auf die Umstände an.
Schneemann