30.05.2024, 09:13
@Philippe Gauchat
Das spätere Fiasko der 6. Armee hat die NS-Propaganda dann auch den Rumänen und Italienern an den Flanken in die Schuhe geschoben (die modernere Forschung bezeichnet sie auch als "wohlfeile Sündenböcke", die im Grunde nur verheizt wurden, obgleich sich manche Einheiten in hoffnungsloser Lage sogar sehr tapfer schlugen). Insofern: Das Debakel vor Stalingrad war nicht alleine durch Überraschung begründet.
Die höchsten verschossenen Munitionsmengen im Zweiten Weltkrieg deutscherseits fallen auf Juli und August 1943. In diesen beiden Monaten wurden ca. jeweils 4,3 Mio. Granaten vom Kaliber 105 mm oder darüber verschossen. D. h. in acht Wochen also rund 8-9 Mio. Granaten mittleren bis größeren Kalibers. (Übrigens konnte die deutsche Rüstungsindustrie diesen Verbrauch nicht auffangen - in diesen beiden Monaten 1943 wurden der Ostfront geschätzt ca. 6 Mio. Granaten vom Kaliber 105 mm oder darüber zugeführt - was aber immer noch eine immense Zahl ist -, weswegen der Generalquartiermeister des Heeres schon von einer Munitionskrise sprach und dem "Führerhauptquartier" meldete, dass die Munitionszufuhr an der Ostfront nicht mehr gesichert sei.)
Um nun wieder die Kurve zur Ukraine zu kriegen:
Wenn wir das vergleichen mit unsere aktuellen Lage, wo europaübergreifend (!) darüber geredet wird seit einem Jahr, dass die Ukrainer 1 Mio. Artilleriegranaten erhalten können sollen (müssten), dann wird ersichtlich, welche Intensität der Kämpfe wir vor 80 Jahren hatten und wie absurd es heute ist, dass einer der stärksten Wirtschaftsräume der Erde - dessen Industrie sich (gottlob) keiner Luftangriffe ausgesetzt sieht so wie die deutsche Rüstungslandschaft 1943 - ein halbes Jahr braucht, um dann medial frohlockend zu melden, man habe wieder mal 100.000 Granaten auftreiben und nach der Ukraine liefern können.
Schneemann
Zitat:Mechanisierte Angriffe mit großen, geschlossenen Panzerverbänden waren in der Geschichte nur dann erfolgreich, wenn sie mit Überraschung einhergingen.Ganz so pauschal ist dies nicht zutreffend. Um deine Bsp. heranzuziehen:
Zitat:Mit den Tanks im WK I haben die Deutschen nicht gerechnet.Die ersten Tankeinsätze kamen für die Deutschen tatsächlich überraschend, allerdings waren die ersten Einsätze (die Entente-Strategen mussten ja auch noch dazulernen) so schlecht angesetzt und zerfasert, dass es den Deutschen gelang, die anfänglichen Angriffe aufzufangen bzw. die Tanks mit z. B. Artillerie und manchmal sogar Flugzeugen (!) zu bekämpfen, weswegen die ersten Tankangriffe auch nicht durchschlugen. Nach 1917 wussten die Deutschen durchaus, welche Kapazitäten die Entente hier investierte, man hatte aber selbst keine derartigen Kapazitäten frei, um selbst Panzer in größerem Umfang zu bauen, weswegen man dann alle möglichen Abwehrmöglichkeiten ersann (Tankabwehrgewehr, spezialisierte Artillerieeinheiten, "Panzerknackertrupps" etc.). Diese konnten aber die Massenangriffe der Kriegsendphase nicht aufhalten.
Zitat:Dass die deutschen Panzerdivisionen 1940 durch die Ardennen können, war für die Franzosen eine Überraschung.Richtig. Dass die Deutschen diesen Coup dann aber nachfolgend ausbauen konnten zum strategisch entscheidenden Sichelschnitt (Dünkirchen in der Folge etc.), lag nicht mehr an der Überraschung, sondern an der unzulänglichen alliierten Panzertaktik (Kräftezersplitterung bzw. Zuteilung der Panzer zu Infanterieverbänden), der schlechten bzw. sehr langatmigen Kommunikation zwischen den Armeeeinheiten und der Führung und auch den überforderten Stäben (Führung von "hinten", statt von "vorne").
Zitat:Die Sowjets wurden 1941 überrascht.Jein. Die sowjetische Politik (v. a. Stalin) ließ sich überraschen, weil sie den deutschen Aufmarsch nicht sehen wollte. Das Militär um Schukow und Co. und in der STAWKA hingegen lief nervös im Kreis, weil es wusste, dass sich was anbahnte. Man traute sich nur nicht, sich gegenüber Stalin durchzusetzen (eine Folge der Säuberungen der späten 1930er Jahre).
Zitat:Die Deutschen wiederum vor Moskau und bei "Uranus".Das ist richtig, aber die Überraschung, die den Deutschen zu schaffen machte, lag v. a. an der sowjetischen Maskirowka. Es gibt Aufzeichnungen der deutschen Feindbeobachtung und es ist erstaunlich, dass diese z. B. vor Stalingrad zwar wusste, dass die Sowjets Bereitstellungen vornehmen, aber man hat es sowjetischerseits geschafft, zwei Armeen vor den Deutschen zu verschleiern; auf den deutschen Karten sind die sowjetischen Armeen VOR "Uranus" ziemlich genau aufgeführt, auch mit geschätzten Stärken, Einheitennummern und Kommandeuren etc. - das Problem war aber, dass man a) zwei Armeen komplett "übersehen" hatte und zudem b) an den gefährdeten Flanken zur Deckung noch Rumänen und Italiener aufgestellt hatte - wobei das OKW/OKH genau wusste, dass deren völlig unzureichende Ausrüstung (u. a. bespannte 37-mm-Pak und 47-mm-Böhler-Pak) den Angriff von T-34-Verbänden nicht aufhalten würde können, wenn die Russen entschlossen antreten würden.
Das spätere Fiasko der 6. Armee hat die NS-Propaganda dann auch den Rumänen und Italienern an den Flanken in die Schuhe geschoben (die modernere Forschung bezeichnet sie auch als "wohlfeile Sündenböcke", die im Grunde nur verheizt wurden, obgleich sich manche Einheiten in hoffnungsloser Lage sogar sehr tapfer schlugen). Insofern: Das Debakel vor Stalingrad war nicht alleine durch Überraschung begründet.
Zitat:Die Republikanischen Garden vor Kuwait waren fast blind als die Abrams anrollten.Sie war nicht nur fast blind, sondern auch in erheblichem Maße entweder tot oder zumindest ohne Panzer, da bereits eine mehrwöchige Feuerwalze aus der Luft über sie hinweggegangen war. Operation "Desert Storm" hatte also wenig mit Überraschung zu tun, sondern mehr mit technischer Überlegenheit und brachialer Feuerkraft.
Zitat:"Zitadelle" hingegen ging u.a. schief, weil die Sowjets genau im Bilde waren.Dass die Wehrmacht im Sommer 1943 das Maximum an Befähigung besaß, ist in puncto Feuerkraft richtig. Bzgl. taktischer und strategischer Befähigung war der Zenit allerdings bereits schon überschritten.
(Und die Deutschen hatten 1943 ein Maximum an Befähigung.)
Die höchsten verschossenen Munitionsmengen im Zweiten Weltkrieg deutscherseits fallen auf Juli und August 1943. In diesen beiden Monaten wurden ca. jeweils 4,3 Mio. Granaten vom Kaliber 105 mm oder darüber verschossen. D. h. in acht Wochen also rund 8-9 Mio. Granaten mittleren bis größeren Kalibers. (Übrigens konnte die deutsche Rüstungsindustrie diesen Verbrauch nicht auffangen - in diesen beiden Monaten 1943 wurden der Ostfront geschätzt ca. 6 Mio. Granaten vom Kaliber 105 mm oder darüber zugeführt - was aber immer noch eine immense Zahl ist -, weswegen der Generalquartiermeister des Heeres schon von einer Munitionskrise sprach und dem "Führerhauptquartier" meldete, dass die Munitionszufuhr an der Ostfront nicht mehr gesichert sei.)
Um nun wieder die Kurve zur Ukraine zu kriegen:
Wenn wir das vergleichen mit unsere aktuellen Lage, wo europaübergreifend (!) darüber geredet wird seit einem Jahr, dass die Ukrainer 1 Mio. Artilleriegranaten erhalten können sollen (müssten), dann wird ersichtlich, welche Intensität der Kämpfe wir vor 80 Jahren hatten und wie absurd es heute ist, dass einer der stärksten Wirtschaftsräume der Erde - dessen Industrie sich (gottlob) keiner Luftangriffe ausgesetzt sieht so wie die deutsche Rüstungslandschaft 1943 - ein halbes Jahr braucht, um dann medial frohlockend zu melden, man habe wieder mal 100.000 Granaten auftreiben und nach der Ukraine liefern können.
Schneemann