(Allgemein) Atomare Bewaffnung Deutschlands?
Broensen:

Zitat:Die Umstände sind recht einfach zu konstruieren:
Jemand wie Putin kommt mit seinen atomaren Drohungen an einen Punkt, an dem er sich nicht mehr ernstgenommen fühlt und will seine Bereitschaft zum Atomwaffeneinsatz demonstrieren. Also setzt er mit Ankündigung eine einzelne taktische Waffe ein, um seine Eskalations-Drohung zu untermauern.

Das ist ein wichtiger Punkt den du hier ansprichst: zur Zeit hat die nukleare Abschreckung durch Russland Schaden erlitten und wirkt zunehmend weniger. Das ist eine sehr problematische Entwicklung für alle Seiten. Als Beispiel seien die konventionellen Angriffe der Ukrainer auf Radarsysteme der strategischen Nuklearstreitkräfte der RF genannt usw. Also ein denkbares Szenario. Aber: man kann seine Bereitschaft zum Atomwaffeneinsatz auch anders demonstrieren, beispielsweise durch eine bloße nukleare Demonstration - also indem man eine Atomwaffe beispielsweise irgendwo in unbewohntem Gebiet / auf dem Meer usw. zündet. Das wäre noch eine Stufe darunter.

Aber auch wenn die Russen dazu kommen EINE EINZELNE taktische Atomwaffe zu zünden, dann ist dies bereits extrem problematisch. Und wäre das Zünden einer eigenen EINZELNEN taktischen Atomwaffe darauf nicht die richtige Antwort. Weil wir uns dann auf einen langsamen, stückweisen 1 zu 1 Abtausch mit taktischen Waffen einlassen würden, denn wir - wie von mir oben schon beschrieben - verlieren werden und verlieren müssen, gerade eben weil wir hier insgesamt gesehen keine Symetrie haben. Die Russen haben sehr viel mehr und sehr viel leistungsfähigere taktische Waffen.

Zudem müsste man ab diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass entsprechende Starts von Trägersystemen als nächstes einen strategischen Angriff darstellen, es wäre kaum noch in den Griff zu kriegen, dass Eskalationsriskio extremst.

Folglicherweise ist die einzige Möglichkeit dies zu verhindern, indem man Putin davon abschreckt dies zu tun. Man muss also so abschreckend sein, dass Putin keine einzelne Atombombe zündet. Und exakt dies geht nicht über eigene taktische Atomwaffen, sondern muss auf andere Weise erfolgen.

Dazu noch ein wesentlicher Gedanke !

Die Russen haben in Bezug auf militärische Verluste bewiesenermaßen ein vollständig anders Verhältnis als wir. Wenn die Russen einen Frontabschnitt mit einer taktsichen Nuklearwaffe zerschlagen, und wir setzen genau eine taktische Nuklearwaffe dagegen und zerschlagen bei den Russen exakt die gleiche Menge an Militärmaterial, töten genau so viele Soldaten und richten exakt den gleichen Schaden an, so ist das aufgrund der Unempfindlichkeit der Russen gegen Verluste ebenfalls nicht Symetrisch ! Die Russen kämen auf die Idee, dass sie bei einem 1 zu 1 Abtausch schlussendlich siegen, weil wir dies nicht aushalten, während sie es aushalten.

Der Krieg in der Ukraine sollte klar bewiesen haben, dass Russland hier einer völlig anderen Logik folgt und völlig andere Verluste bereit ist zu akzeptieren. Nehmen wir also mal an, die Russen zerstören ein NATO HQ mit einer taktischen Waffe und wir zerstören daraufhin folgend ein russisches HQ mit einer taktischen Waffe, dann ist das eben keine symetrische Reaktion, sondern die Russen werden de facto allein schon aus dem beschriebenen Mechanismus heraus Sieger dieses 1 zu 1 Abtausches sein. Man müsste also mehr zerstören, um die gleiche Wirkung zu erzielen und dann kommt man sofort in den Bereich wo das Umkippen in den vollumfänglichen Nuklearkrieg unvermeidbar wird.

Das ist doch mein wesentlichstes Argument: selbst wenn wir taktische Atombbomen hätten, würde jeder 1 zu 1 Abtausch zum Sieg der Russen führen, und würde jede 1+n zu 1 Reaktion unsererseits zum entgrenzten Nuklearkrieg führen. Deshalb macht es keinen Sinn, auf EINE taktische Atombombe mit EINER taktischen Atombombe zu reagieren. Sondern man müsste im Übermass konventionell reagieren, also durchaus 1+n zu 1 in der Wirkung, nur ohne den Einsatz von Atomwaffen.

Zitat:Er traut sich das, weil er davon überzeugt ist, dass es keinen strategischen Gegenschlag geben wird und eine taktische Option auf unserer Seite nicht vorhanden ist.

Auch wenn wir taktische Waffen hätten, könnte er sich dies trauen, weil ein 1 zu 1 Abtausch wie beschrieben zum Sieg der Russen führt und jeder andere Abtausch zur Eskalation. Gerade eben deshalb sind taktische Waffen für uns sinnlos und muss man daher die Russen in Bezug auf deren Einsatz anders abschrecken.

Das ist in dem Szenario irrelevant, denn es geht dabei nicht um militärische Aspekte. Es geht lediglich darum, dass Putin seinen Drohungen Nachdruck verleihen will und wir das nicht unbeantwortet zulassen dürfen.

Ich hab dich da schon verstanden aber ein taktischer Einsatz von Atomwaffen ist einer der militärisch Wirkung erzielen soll. Eine rein politische Wirkung - dann sind wir schlussendlich beim strategischen Einsatz.

In diesem Kontext kann man natürlich auch einen strategischen Einsatz von Atomwaffen als einen einer taktischen Waffe gegen ein militärisches Ziel nehmen, keine Frage. Aber ganz allgemein gibt es wenn wir in diesem Bereich operieren keine klare Trennung dieser Waffen. Russische taktische Waffen haben hier und heute eine immense Wirkung, und umgekehrt kann man auch strategische Waffen taktisch nutzen.

Ich würde das also nicht davon abhängig machen, was für einen Gefechtskopf man verwendet, sondern die Unterscheidung eher daraus treffen, was für Ziele man attackiert. Man könnte also sehr wohl auch auf einen Einsatz einer einzelnen taktischen Waffe der Russen dadurch antworten, dass man eine eigene "strategische" Bombge nun taktisch einsetzt, also auf ein rein militärisches Ziel begrenzt einsetzt.

In diesem Kontext ist der Begriff taktische Bomben ohnehin irreführend bei den Russen, da deren Sprengköpfe in weiten Teilen auch ganz normal strategisch gegen zivile Ziele und Städte etc eingesetzt werden können. 200 kT reichen für jedwede denkbare strategische Wirkung.

Es gibt also keine Notwendigkeit für eigene taktische Waffen und man könnte und man sollte auf den Einsatz einer solchen etwaig (je nach den Umständen) mit einer der eigenen strategischen Waffen antworten, mit Ansage, gegen ein vorher festgelegtes militärisches Ziel.

Die beste Antwort auf einen Einsatz EINER EINZELNEN taktischen Waffe der Russen wäre es daher, eine eigene strategische Waffe taktisch einzusetzen. Das würde zudem das oben schon beschriebene Problem der Verlustunempflindlichkeit und Nehmerqualität der Russen lösen, da die gleiche Wirkung 1 zu 1 eben keine symetrische Antwort ist.

Oder man richtet mit konventionellen Waffen systematisch größere Zerstörungen an, und richtet diese dann gezielt gegen die Kommandozentren und auch gegen die Führungseliten.

Zitat:Daher: Wie konkret könnte eine solche Waffe aussehen?

Das muss eben nicht eine Waffe für sich allein sein. Sondern die Wirkung kann durch mehrere solcher Waffen zusammen erzielt werden, die gezielt gegen ein bestimmtes Ziel gerichtet wird. Dabei ist auch die Frage der Zielauswahl relevant. Insbesondere könnte und sollte man dann daran gehen, dass Führungspersonal weitgehend und im weiteren Sinne gezielt zu eliminieren, und dies benötig sogar zwingend viele Waffen mit hoher Präzision statt einer Einzelwaffe.

Einzelwaffe vs Einzelwaffe, dass ist exakt das Spiel welches die Russen uns aufzwingen wollen. Und genau deshalb sollten wir uns nicht darauf einlassen.

Sollte es aber unumgänglich sein (je nach den exakten Umständen), kann man auch eine eigene strategische Waffe zünden. Auch hier ist die Zielauswahl viel relevanter als die Frage der kT.


Aegrotare:

Zitat:Also sehen taktische Kernwaffen für mich als die billigere und einfachere Option aus.

Nuklearstreitkräfte sind immer immens teuer. Und sie schrecken keineswegs sicher konventionelle Angriffe ab. Eine entsprechende massive konventionelle Kapazität ist daher keineswegs die teurere Option, und würde noch über die bloße Frage der Nuklaren Abschreckung hinaus Wirkung haben.

Dessen ungeachtet und damit man mich hier richtig versteht: strategische Atomwaffen benötigen wir so oder so, ich argumentiere hier nur über dezidierte taktische Atomwaffen. Schlussendlich sind das drei Fehler: Konventionell - Taktisch Nuklear - Strategisch Nuklear. Wenn ich von diesen dreien eines einsparen kann, ist das kostengünstiger als wenn ich alle drei bestellen muss.


Broensen:

Zitat:darum geht es in dem Beispiel bzw. bei der "taktischen" Abschreckung: Der Angreifer muss wissen, dass sein Angriff ihm mindestens den gleichen Schaden zufügt wie seinem Gegner, zugleich aber auch Eskalationspotential birgt.

Die gleiche Bombe mit der gleichen kT Zahl gegen das gleiche Ziel mit dem gleichen Schaden wäre aber ein Sieg für die Russen und eben nicht symetrisch. Und dann stellt sich die Frage, ab welcher Größenordnung des Schadens die Russen tatsächlich abgeschreckt werden diesen Weg weiter zu gehen und dann landet man so oder so bei strategischen Waffen. Denn wir sprechen hier dann von über 200 kT.

Das heißt, wir benötigen für eine Antwort welche abschreckend wird keine dezidierten taktischen Waffen ! Sondern dann ist die Frage der Zielauswahl viel relevanter.

Dessen ungeachtet: das Eskalationsrisiko wäre in jedem Fall gewaltig, selbst wenn von den Russen nur EINE Bombe eingesetzt wird und sie dann abwarten. Das setzt alles so schnell Spiralen in Gang die man dann nicht mehr einfangen kann.

Der mindestens gleiche Schaden ist also exakt der Fehler, zu welchem uns die Russen verleiten wollen ! Genau darauf wollen sie hinaus. Richtet man aber mehr Schaden an, ist bei Verwendung von Atomwaffen das Eskalationsrisiko nochmal höher.

Entweder also richtet man mehr Schaden konventionell an, indem man die konventionelle Kriegsführung dereguliert und dann bestimmte Ziele, politische Führung, Kommandozentren, Eliten usw gezielt und weitgreifend angreift. Dazu noch kritische Infrastruktur (Strom, Wasser etc), oder man verwendet eine strategische Waffe gegen ein militärisches Ziel, aber wie man es dreht und wendet, sind eigene taktische Waffen sinnlos, und nur zum Vorteil der Russen sollten wir uns auf einen solchen begrenzten Atomkrieg einlassen.

Mit gezielter Tötung der Elite meine ich übrigens keineswegs nur die Spitze, sondern ganz allgemein und breitflächig und im Bereich von zehntausenden alle die zu den Oberen Klassen gehören, vom leitenden Mananger über sonstige Reiche bis hin zu höheren Beamten, Politikern aller Art usw.

Um den für mich wesentlichsten Punkt nochmal zu wiederholen: Wir müssen assymetrisch antworten und wir müssen anders antworten. Die Aktion mit der exakt gleichen Reaktion zu beantworten - 1 Atomwolke der Größe X vs 1 gleiche Atomwolke der Größe X, wird weder abschrecken, noch funktionieren, noch etwas bringen, nicht einmal das Eskalationsrisiko wird dadurch gesenkt. Also benötigen wir ganz andere, vorher klar und eindeutig kommunizierte und glaubhafte Unkonventionelle Antworten. Wir müssen also auf die Reaktion A nicht mit A antworten, sondern mit MWX2ß. Je mehr sich unsere Antwort von der russischen Frage unterscheidet, desto besser, und sie muss deutlich massiver ausfallen, was mit Atomwaffen ohne unkalkulierbares Risiko für die Eskalation gar nicht machbar ist.
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