19.10.2024, 22:53
Meiner Auffassung nach hängt alles davon ab, ob Russland mobilisiert oder nicht. Solange dies nicht geschieht, sind die Ukrainer wohl personell im Vorteil, da sie bereits einen Volkskrieg führen, Russland jedoch nicht. Trotz Einbußen durch die Fluchtbewegung von 2022 (und in geringem Maße auch Korruption, d.h. unzulässige Freistellungen) ist der ukrainische Wehrersatz durch Wehrpflicht und Freiwillige offenbar noch sichergestellt.
Vor kurzem habe ich eine Einschätzung von Generalmajor Freuding verlinkt, wonach die Rekrutierungsinitiative anzieht; und die 'Ukrajinska Prawda' berichtete im September, dass sich monatlich knapp 7.000 Freiwillige zum Heer und nochmals 2.000 zur Territorialverteidigung melden. Das wären etwas unter 110.000 Freiwillige im Jahr; heuer wurden außerdem die Jahrgänge 1998 und 1999 zum Fronteinsatz eingezogen. Selbst wenn man unterstellt, dass nur ein Viertel davon zur Verfügung steht, wären das rechnerisch um 300.000 Rekruten.
Zum Vergleich: Das 'Wall Street Journal' meldete im September als Gesamtverluste 80.000 Gefallene und 400.000 Verwundete auf ukrainischer Seite, sowie 200.000 Gefallene und 500.000 Verwundete auf russischer Seite. Diese Zahlen stützten sich auch auf die von 'Mediazona' entwickelte und in der Schlacht von Bachmut verifizierte Methode, Gefallene anhand der Testamentsvollstreckungen von Männern im wehrfähigen Alter zu schätzen.
2024 ist bisher das verlustreichste Kriegsjahr. 'Mediazona' gibt die russischen Verluste mit 250 Gefallenen pro Tag an. Milchmädchenrechnung zur Veranschaulichung: Nach den o.g. Verhältnissen hätten die Ukrainer täglich 100 Gefallene und 500 Verwundete zu beklagen, also für 2024 knapp 40.000 Gefallene und 180.000 Verwundete. Das von der Bundeswehr doktrinär angenommene Verhältnis (80% Leichtverwundete) wird auch hier jedenfalls grob zutreffen, sodass zum bloßen Erhalt des Personalstands gut 80.000 Rekruten nötig wären.
So erklärt sich, wie es den Ukrainern nach wie vor gelingt, neue Großverbände aus frischen Rekruten aufzustellen. Während Russland schon dazu übergegangen ist, Infanterieverbände aus technischem Fliegerhorstpersonal, Besatzungen außer Gefecht gesetzter Kriegsschiffe und Nordkoreanern zu bilden. Solange der Kreml nicht zur Mobilisierung bereit ist, kann Russland seinen quantitativen Vorteil nicht ausspielen. Es stellt sich die Frage, wie lange man sich noch eine Hand auf den Rücken binden wird.
Die Ausrüstung ist aus ukrainischer Sicht das größere Problem, zumal man die bestehenden Mängel nicht mit Infanteriewellen substituieren kann und will. 2025 werden die Ukrainer wohl weitgehende Autarkie bei der Versorgung mit Munition in Ostkalibern sowie bestimmten Waffensystemen (wie Drohnen) erlangen; doch bei den westlichen Waffen sieht es weniger gut aus, und ebenso bei Gefechtsfahrzeugen für den Bewegungskrieg.
Wie ich die Lage einschätze, ist eine militärische Entscheidung des Krieges zugunsten der Ukraine extrem und zugunsten Russlands sehr unwahrscheinlich. Aktuell sieht es für mich danach aus, dass es in den nächsten zwölf Monaten zu Verhandlungen kommt, deren Ausgang weniger von der Situation im Feld abhängen wird (an der sich bis dahin nicht allzu viel verändert haben dürfte), sondern vor allem davon, wer verhandelt und worüber. Die US-Wahl wird eine sehr große Rolle spielen; sollte der Krieg dann noch andauern, wird auch die Bundestagswahl 2025 einen gewissen Einfluss haben.
In jedem Fall, fürchte ich, wird das Verhandlungsergebnis ein vorläufiges bleiben. Wenn Putin seine Ziele nicht im Feld oder am Verhandlungstisch erreichen kann, wird er wieder angreifen.
Die größten Unbekannten und potentiellen Wendepunkte bis Ende 2025 sind vermutlich:
Vor kurzem habe ich eine Einschätzung von Generalmajor Freuding verlinkt, wonach die Rekrutierungsinitiative anzieht; und die 'Ukrajinska Prawda' berichtete im September, dass sich monatlich knapp 7.000 Freiwillige zum Heer und nochmals 2.000 zur Territorialverteidigung melden. Das wären etwas unter 110.000 Freiwillige im Jahr; heuer wurden außerdem die Jahrgänge 1998 und 1999 zum Fronteinsatz eingezogen. Selbst wenn man unterstellt, dass nur ein Viertel davon zur Verfügung steht, wären das rechnerisch um 300.000 Rekruten.
Zum Vergleich: Das 'Wall Street Journal' meldete im September als Gesamtverluste 80.000 Gefallene und 400.000 Verwundete auf ukrainischer Seite, sowie 200.000 Gefallene und 500.000 Verwundete auf russischer Seite. Diese Zahlen stützten sich auch auf die von 'Mediazona' entwickelte und in der Schlacht von Bachmut verifizierte Methode, Gefallene anhand der Testamentsvollstreckungen von Männern im wehrfähigen Alter zu schätzen.
2024 ist bisher das verlustreichste Kriegsjahr. 'Mediazona' gibt die russischen Verluste mit 250 Gefallenen pro Tag an. Milchmädchenrechnung zur Veranschaulichung: Nach den o.g. Verhältnissen hätten die Ukrainer täglich 100 Gefallene und 500 Verwundete zu beklagen, also für 2024 knapp 40.000 Gefallene und 180.000 Verwundete. Das von der Bundeswehr doktrinär angenommene Verhältnis (80% Leichtverwundete) wird auch hier jedenfalls grob zutreffen, sodass zum bloßen Erhalt des Personalstands gut 80.000 Rekruten nötig wären.
So erklärt sich, wie es den Ukrainern nach wie vor gelingt, neue Großverbände aus frischen Rekruten aufzustellen. Während Russland schon dazu übergegangen ist, Infanterieverbände aus technischem Fliegerhorstpersonal, Besatzungen außer Gefecht gesetzter Kriegsschiffe und Nordkoreanern zu bilden. Solange der Kreml nicht zur Mobilisierung bereit ist, kann Russland seinen quantitativen Vorteil nicht ausspielen. Es stellt sich die Frage, wie lange man sich noch eine Hand auf den Rücken binden wird.
Die Ausrüstung ist aus ukrainischer Sicht das größere Problem, zumal man die bestehenden Mängel nicht mit Infanteriewellen substituieren kann und will. 2025 werden die Ukrainer wohl weitgehende Autarkie bei der Versorgung mit Munition in Ostkalibern sowie bestimmten Waffensystemen (wie Drohnen) erlangen; doch bei den westlichen Waffen sieht es weniger gut aus, und ebenso bei Gefechtsfahrzeugen für den Bewegungskrieg.
Wie ich die Lage einschätze, ist eine militärische Entscheidung des Krieges zugunsten der Ukraine extrem und zugunsten Russlands sehr unwahrscheinlich. Aktuell sieht es für mich danach aus, dass es in den nächsten zwölf Monaten zu Verhandlungen kommt, deren Ausgang weniger von der Situation im Feld abhängen wird (an der sich bis dahin nicht allzu viel verändert haben dürfte), sondern vor allem davon, wer verhandelt und worüber. Die US-Wahl wird eine sehr große Rolle spielen; sollte der Krieg dann noch andauern, wird auch die Bundestagswahl 2025 einen gewissen Einfluss haben.
In jedem Fall, fürchte ich, wird das Verhandlungsergebnis ein vorläufiges bleiben. Wenn Putin seine Ziele nicht im Feld oder am Verhandlungstisch erreichen kann, wird er wieder angreifen.
Die größten Unbekannten und potentiellen Wendepunkte bis Ende 2025 sind vermutlich:
- US-Wahl: Trump oder Harris? Insbesondere der erratische Trump ist absolut nicht einzuschätzen.
- Pokrowsk (weniger der mögliche Fall der Stadt als das Danach, denn aktuell sieht es nicht danach aus, als könnten die Russen nach einem eventuellen Sieg schnell weiter vorrücken)
- Kursk: Kann die Ukraine das Gebiet als Ass im Ärmel behalten?
- Und eben: Mobilisierung. Wenn Girkin Recht hat, schließt sich das Fenster für diese Entscheidung rasch. Es könnte sein, dass die kolportierten Nordkoreaner der letzte Versuch des Kremls sind, sich um den Entschluss zu drücken.