(Allgemein) [CTF Baltic] Commander Task Force Baltic
#6
(23.10.2024, 09:20)emjay schrieb: Da würde ich gerne wissen, könnte man Leuten wie Warweg mit klarer Argumentation entgegentreten oder ist das wirklich eine grenzwertige Sache mit bereits jetzt in der deutschen Kommunikation erkennenbaren Unklarheiten/Unsicherheiten?

Nein, da ist nichts grenzwertig. Allerdings lohnt es sich auch nicht, "Leuten wie Warweg" mit einer klaren Argumentation entgegen zu treten, diese würden sie ja eh nicht akzeptieren weil es nicht um das Argument selbst geht, sondern um die Vermittlung einer Deutungshoheit. Und dafür eignen sich Rechtsfragen immer sehr gut, insbesondere Völkerrechtsfragen, weil das konkrete Wissen darüber wenig verbreitet ist, sich aber jeder unter bestimmten Begriffen etwas vermeintlich eindeutiges vorstellen kann.

Rein zum Inhalt sei gesagt, "NATO-Hauptquartier" (oder ähnliches) ist kein Rechtsbegriff und Bezeichnungen sind juristisch allenfalls ein Indiz, letztlich aber für sich genommen völlig irrelevant. Wie die Medien, die Bundeswehr, die NATO oder Russland das neue Hauptquartier nennen spielt dementsprechend keine Rolle. Relevant wäre in einem ersten Schritt hingegen, wie es betrieben wird. Und da ist die Situation eindeutig, es wird von der Bundeswehr eingebettet in NATO-Strukturen betrieben und arbeitet letzteren zu. Das ist völlig zulässig und verstößt gegen keinerlei internationale Vereinbarung. Explizit heißt es dazu im Zwei-plus-Vier-Vertrag (Artikel 5 Absatz 3):

Zitat:Nach dem Abschluß des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins können in diesem Teil Deutschlands auch deutsche Streitkräfteverbände stationiert werden, die in gleicher Weise militärischen Bündnisstrukturen zugeordnet sind wie diejenigen auf dem übrigen deutschen Hoheitsgebiet, allerdings ohne Kernwaffenträger.

https://www.bpb.de/themen/deutsche-einhe...artikel-5/

Es verbleibt also nur die Frage der ausländischen Soldaten, die innerhalb dieses Hauptquartiers eingebettet in die deutsche Strukturen (auch wenn sie beispielsweise dieses HQ führen) ihren Dienst verrichten. Es wird dann gern auf den letzten aus dem zuvor zitierten Artikel verwiesen:

Zitat:Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.

Was unterschlagen wird ist allerdings die Protokollnotiz explizit zu dieser Aussage, die da lautet:

Zitat:Alle Fragen in bezug auf die Anwendung des Wortes "verlegt", wie es im letzten Satz von Artikel 5 Abs. 3 gebraucht wird, werden von der Regierung des vereinten Deutschland in einer vernünftigen und verantwortungsbewußten Weise entschieden, wobei sie die Sicherheitsinteressen jeder Vertragspartei, wie dies in der Präambel niedergelegt ist, berücksichtigen wird.

https://www.bpb.de/themen/deutsche-einhe...mber-1990/

Alle unterzeichnenden Nationen haben sich also darauf geeinigt, dass hinsichtlich der konkreten Anwendung von Artikel 5 Absatz 3 die Deutungshoheit in einem sehr relevanten Punkt bei der deutschen Regierung liegt.

Die eigentliche Frage wäre also, ob die deutsche Regierung bei der Abwägung von "Sicherheitsinteressen jeder Vertragspartei, wie dies in der Präambel niedergelegt ist" versagt hat?

Mit der entsprechenden Formulierung wollte die Sowjetunion sicherstellen, dass trotz Wiedervereinigung Ostdeutschland als Puffer zu den Außengrenzen des Warschauer Pakts bestehen bleibt und keine NATO-Truppen, insbesondere keine Kernwaffen (deshalb werden sie auch explizit erwähnt, obwohl das unnötig wäre), zur eigenen Grenze nachrücken. Aus damaliger Sicht ist das eine nachvollziehbare Forderung, in Anbetracht der politischen Veränderungen in Europa seitdem ist dies hingegen irrelevant geworden. Deutschland liegt nicht mehr an der NATO-Außengrenze, eine entsprechende Positionierung besitzt also kein besonderes Potenzial für die Beeinflussung von fremden Sicherheitsinteressen mehr. Aus diesem Grund, und weil es sich bei einem Hauptquartier wie diesem um ein reines Führungsinstrument handelt, dass mit Blick auf die modernen Möglichkeiten zur Führung statt in Rostock genauso gut auch in Kiel oder Danzig sitzen könnte, ohne dass dies irgendeinen operativen Unterschied macht, kann diese Frage letztlich verneint werden. Für die Sicherheitsinteressen der Vertragsparteien ist der Standort irrelevant, insbesondere der Standort Ostdeutschland stellt dabei keine Besonderheit dar, und eine internationale Vereinbarung, die gegen den generellen Aufbau eines solchen Koordinationszentrums spricht, gibt es nicht. Insofern verstößt Deutschland ganz eindeutig nicht gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag.

Im übrigen, selbst wenn Deutschland gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag verstoßen würde, hätte dies keinerlei unmittelbaren Konsequenzen. Weder würde irgendein vorheriger Rechtszustand wieder eintreten, noch ergäbe sich daraus irgendeine einseitige Kündigungsmöglichkeit. Beides wäre auch nicht mit dem eigentlichen Kern des Vertrags, dem Erhalt der vollen Souveränität, in Einklang zu bringen.

Es bleibt also nur der rein pathetische, moralische Zeigefinger einer Nation, die sich in Rechtsnachfolge zur Sowjetunion sieht (sollen wir die Diskussion noch einmal eröffnen, die Ukraine würde sich freuen?!), sich allerdings ihrerseits nicht dem verpflichtet fühlt, was mit der Präambel ausgedrückt wurde und was den Geist des Vertrags darstellt:

Zitat: in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen

Sicherheitsinteressen sind keine Einbahnstraße, Herr Putin.
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RE: [CTF Baltic] Commander Task Force Baltic - von Helios - 23.10.2024, 11:42

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