23.11.2024, 01:42
(22.11.2024, 20:40)emjay schrieb: Auf X macht eine beschleunigte Wiedergabe der gestrigen Putin-Rede die Runde. […] Wie seht ihr das? Ist jemand vielleicht versiert in Videoanalyse bzw. kennt sich mit eventuell eingesetzten Techniken aus?Ich fürchte, es wird zu viel in Putins Betragen hineininterpretiert. Das ist nur natürlich; der Mann ist enigmatisch. Aber es führt zu nichts.
(23.11.2024, 00:34)Zardo schrieb: Eine Manipulation des Videos selbst ist immer möglich, aber wozu sollte das in diesem Fall gut sein?Denkbar wäre immerhin, dass mit einem AI-Tool etwas entfernt wurde, das im Video nicht zu sehen sein sollte, z.B. ein Teleprompter oder Putins Atomkoffer.
Halte ich aber für unwahrscheinlich.
(22.11.2024, 14:33)Kongo Erich schrieb: diese "Drohung" wirkt nur, solange Biden noch Präsident ist. Ab "Stunde Null" ist mit DT die Seifenblase geplatzt.Ich gehe davon aus, dass die Gefahr für Europa wachsen wird, weil die Rhetorik des neuen alten Präsidenten zu Zweifeln an der Bündnistreue der USA einlädt. Doch auch ein Donald J. Trump kann sich den Gesetzen der Macht nicht entziehen – vor allem, wenn er sich mit China anlegen will, das wesentlich mächtiger ist als Russland.
Und ohne ernsthafte Reaktion ist dann auch die NATO eine verwehende Säule aus Zigarrenrauch.
Jeder einflussreiche Politiker in den USA, der nicht durch und durch ein Nach-mir-die-Sintflut-Isolationist à la Marjorie Taylor Greene ist, wird von Russland vor ein entscheidendes Problem gestellt: Alexander Dugins Drehbuch folgend, betont Wladimir Putin fast tagtäglich, dass er tut, was er tut, um die Amerikaner aus Europa hinauszuwerfen.
Da kann Trump noch so oft sagen, dass ihm Europa egal ist; wenn Putin seinen Willen bekommt und die USA die Sicherheitsarchitektur Europas verlassen, ist es für Uncle Sam ein Schlag ins Kontor. Putin wird auf der Weltbühne als Sieger dastehen, die USA verlieren ihren Status als globale Hegemonialmacht, und werden es künftig schwerer haben, in andere Weltgegenden ihre Interessen durchzusetzen.
Denn Macht kommt allein durch die Wahrnehmung von Macht. Wenn es nicht so wäre, hätte sich die amerikanische Rechte schon 2002/2003 (Stichwort: Freedom Fries) ganz und gar von Europa verabschiedet, diesem Kontinent der undankbaren sozialistischen Schmarotzer.
Trump ist ein eitler Gockel, der zwar die Scheidung von der abgetakelten Europa anstrebt, aber auch nicht zulassen kann, dass sich der reichere, energischere, jüngere Judoka aus Russland an sie heranwanzt und ihn in den Augen der Welt aussticht. Und wenn ihm der Judoka zufällig irgendwo über den Weg läuft, wird er sich genauso gebärden, wie Männer sich immer gebärden: Er wird kräftig den Motor aufheulen lassen und sich produzieren, damit der Rivale als Schwächling dasteht.
Putin hat im Umgang mit Trump auch schon den ersten "Fehler" gemacht, indem er Melanias Nacktbilder im Fernsehen zeigen und Trump wegen des angeblichen Telefonats als Dummschwätzer dastehen ließ.
Natürlich fürchtet Putin weder die USA noch Trump selber, auch wenn der nicht müde wird, das Gegenteil zu behaupten. Wie könnte es auch anders sein? Hier der disziplinierte, stoische, gebildete KGB-Killer; dort der Vietnam-Drückeberger Donald Trump, ein dummes, lautes, hedonistisches Nepo-Baby.
Doch ist Trump auch ein schrecklicher Narzisst, und wenn sich sein Ego an den Worten und Taten eines anderen wundscheuert, schlägt er um sich.
(22.11.2024, 23:38)Quintus Fabius schrieb: Das Problem damit ist, dass solche Systeme die als Träger von Nuklearwaffen in Frage kommen fast schon automatisch einen Nuklearschlag auslösen, wenn man sie auf NATO Gebiet abfeuert und zwar noch unmittelbar während des Angriffes. Denn man kann nicht abwarten ob eine solche Rakete dann bestückt ist oder nicht. Die Anflugzeiten sind von Russland nach Europa zu kurz, dass führt zwingend Kurzschlussreaktionen herbei.Die Gefahr der Eskalation besteht in der Tat, aber ich fürchte, Du überschätzt hier den Mut unserer Regierenden. Um es plakativ zu formulieren: Bis 1990 konnten wir Russland Paroli bieten, obwohl unsere Regierenden keine rücksichtslosen Autokraten waren, weil sie immerhin selbst erlebt hatten, was Krieg und Leid bedeuten. Dem Mafiosi-Zar jedoch haben ein Olaf Scholz, ein Keir Starmer, ein weinerlicher Justin Trudeau nichts entgegenzusetzen.
Stellen wir uns folgendes Szenar vor: Putin macht auf Iran und lässt in Berlin ausrichten, dass er jetzt einmal zu oft provoziert wurde, sein Prestige verteidigen muss und deswegen in einer Stunde eine Oretschnik ohne Sprengköpfe auf die Rheinmetall-Fabrik in Unterlüß abschießen wird. Er verspricht, es dabei bewenden zu lassen, wenn der Westen nicht reagiert.
Glaubst Du wirklich, dass irgendwer in Deutschland, Europa oder NATO bereit wäre, deswegen auf den roten Knopf zu drücken und in den Dritten Weltkrieg zu ziehen? Das ist keine rhetorische Frage. Ich glaube es nicht. Ich glaube, dass der Westen umgekehrt auf Israel machen, den Angriff hinnehmen, seine Bedeutung herunterspielen und sich künftige Vergeltung rhetorisch vorbehalten würde. Und dann geht das Spiel auf der Eskalationswippe aufs Neue los.
Man sollte auch bedenken, dass Putin durch und durch sowjetisch geprägt ist, und der Warschauer Pakt in den 1980ern ernsthaft von der Planungsgrundlage ausging, einen konventionellen Krieg gegen die NATO führen zu können, ohne dass es zum nuklearen Schlagabtausch käme.
(22.11.2024, 23:38)Quintus Fabius schrieb: Allein so etwas anzudrohen ist so vollkommen schwachsinnig und jenseitig, dass eine Person die dergleichen verkündet eliminiert werden muss. Es wird anscheinend einfach allgemein nicht mehr verstanden, wie extrem problematisch das ist.Putin hat ein Problem: Ausgenommen einige wenige Kandidaten wie Olaf Scholz, nehmen die westlichen Staatenlenker seine roten Linien nicht mehr ernst. Das ist die unweigerliche Folge, wenn man bei jeder Kleinigkeit mit apokalyptischen Konsequenzen droht. Und wenn du $40 Milliarden auf der hohen Kante hast, und in den schicksten Palästen wohnst, glaubt dir einfach niemand, dass du selbstmörderische Tendenzen hast.
Andererseits hat es Putins Ansehen in Russland und seinem Standing im Kreise der Autokraten dieser Welt bisher auch nicht geschadet, dass seine roten Linien ignoriert wurden. Und er hat sich in seiner Ansprache so viele Hintertürchen offengehalten, dass man sich fragen kann, ob dies nicht sogar eine Geste der Deeskalation war.
Russland setzt eine neue Superwaffe ein? — Doch sie ist gänzlich unbewaffnet, und die Amerikaner werden vorgewarnt, damit es ja nicht zu Missverständnissen kommt.
Russland droht, im Falle künftiger Eskalation Ziele im Westen anzugreifen? — Doch wird wohlweislich nicht definiert, vor welcher Eskalation gewarnt wird. Putin steht also nicht unter Zugzwang, seine Drohungen wahrzumachen.
Auch dass eine "spiegelbildliche" Reaktion in Aussicht gestellt und versprochen wird, Zivilisten vorzuwarnen, damit sie sich in Sicherheit bringen können, zeigt keinen unbedingten Willen zur Eskalation. Vor einer Woche hätte ich zwar überhaupt nicht mit einer Reaktion auf die Freigabe von ATACMS und Storm Shadow gerechnet, denn zumindest ATACMS kam bereits während der Verteidigung von Charkiw auf russischem Boden zum Einsatz, aber man wird konstatieren können, dass die tatsächliche Reaktion das absolute Minimum des Möglichen war, ein Scheinriese mit eingebauter Exit-Strategie.
Vielleicht ist das der wahre Grund, warum die westlichen Staaten ostentativ gelassen reagiert haben. Die Gefahr der Eskalation besteht nun zwar, aber nicht durch das, was am 21.11. geschehen ist, sondern durch das, was künftig daraus folgen könnte.