24.01.2025, 11:26
Zitat:Trotz dieser Relativierung muss man meiner Ansicht nach durchaus festhalten, dass entscheidende strategische Weichenstellungen, welche diese ganzen Fehler im Gesamtsystem nach sich zogen durchaus maßgeblich von Netanyahu her rühren, sei es den Schwerpunkt im Westjordanland zu setzen, sei es die Geheimdienste wie auch die Streitkräfte sehr stark auf die Hisbollah auszurichten (was ja nicht per se falsch war / ist, aber sich halt im Kontext mit der Hamas als eine der wesentlichen Ursachen für das Versagen der israelischen Sicherheitskräfte heraus gestellt hat).Der strategische Schwerpunkt lag nicht auf dem Westjordanland sondern auf der Hezbollah. Das war auch richtig, der Fehler war dann aber die Hezbollah nicht nur zu priorisieren sondern die Hamas weitgehend zu ignorieren. Das sind wir uns einig. Das ist aber höchstens sekundär ein Versäumnis der politischen Ebene, primär liegt hier die Verantwortung bei den Chefs der Nachrichtendienste und der militärischen Aufklärung.
Tiefergehend muss man da auch die Frage stellen, inwieweit die Politische Führung überhaupt operative Kontrolle über die Dienste hat.
Es ist da interessant, das die politische Führung der Nachrichtendienste in Israel trotz der doch recht umfangreichen Community sehr stiefmütterlich organisiert ist.
Das Ministerium für Nachrichtendienste war anscheinend vollkommen zahnlos und wurde letztes Jahr sang- und klanglos aufgelöst. Eine Art Nationaler Geheimdienstkoordinator fehlt. Stattdessen werden die Dienste direkt durch das Büro des Premierministers geführt/überwacht/angeleitet, wie auch immer geartete beratende/koordinierende/unterstützende Stäbe (etwa ein National Intelligence Council) scheinen auch nicht zu existieren.
Ich denke, dass das kein Zufall ist und von den Diensten genau so gewollt ist. Im Ergebnis können sie losgelöst von politischer Koordination nach belieben Schalten und Walten - und im vorliegenden Fall versagen.
Was das Westjordanland angeht gab es vor dem 7. Oktober nur dahingehend eine Priorisierung, das Teileinheiten auch aus dem Verantwortungsbereich der Gaza-Division dorthin verlegt worden sind. Die These, das die Abwesenheit dieser Verbände maßgeblich für die Geschehnisse am 7. Oktober gewesen sind ist allerdings kaum haltbar. Die ungeschönte Wahrheit ist, dass am 7. Oktober Einheiten zu Verfügung gestanden hätten, die in einer Verkennung der Lage nicht vorzeitig verlegt wurden. Wären Einheiten aus dem Bereich der Gaza-Division nicht abgezogen worden wären sie am 7. Oktober genauso inaktiv und die Soldaten zu Hause gewesen (Feiertag!) wie der Rest der Division auch.
Allerhöchstens könnte man postulieren, dass nach dem erfolgreichen Angriff der Hamas schneller mehr Verbände zu Verfügung gestanden hätten, die vielleicht hier und dort mehr hätten retten können.
Das ist dann aber ein Versäumnis, dass in der Kette sehr sehr weit hinter den eigentlichen Fehlern die zu dem Desaster geführt haben steht.
Zitat:Dazu kommt natürlich noch alles mögliche weitere, bis hin zur sozialkulturellen Einstellung, aber die grundlegenge politisch-strategische Ebene wurde meiner Meinung nach durchaus weitgehend von Netanyahu geprägt / mitgeprägt und die entsprechenden strategischen Schwerpunkte führten dann zu einer ganzen Kette von Folgefehlern, welche sich dann im System entsprechend kulminierten.Der Punkt ist aber auch, dass Netanyahu mehr gegen das Establishment regiert hat als mit ihnen bzw. für sie. der Likud Netanyahus Machtbasis (und angeschlossene Parteien sowieso) repräsentieren nicht die linkszionistische Führungselite aus dem europäischen Kulturkreis.
Fun fact: Herzi Halevi wurde von Gantz unter Lapid als Regierungschef bewusst gegen Netanyahus Wunschkandidaten durchgedrückt. Halutz, Ashkenazi, Gantz und Eisenkot stehen deutlich links des Likuds und von Netanyahu. Es ist da schon fraglich inwieweit es Netanyahu überhaupt gelungen sein soll die Institution IDF mitzuprägen.