Deutsche Kolonien
#57
(31.05.2021, 14:31)Schneemann schrieb: Weil ich ja die Verantwortlichen benennen können muss, gerade auch wenn ich Kriegsverbrecher und somit die Täter eines Genozids verfolgen will.

Dafür sind aber genauso wie für Absicht und Ausführung die Strukturen der Täter irrelevant, wichtig sind letztere nur für die Feststellung der Täterschaft als solche, nicht für die Definition des Verbrechens.

Zitat:Um von der Theorie wieder etwas abzukommen: In der Praxis stand hinter quasi jedem bekannten und größeren Genozid eine staatliche Autorität (inwieweit sie dann ihre Verantwortung eingeräumt haben, steht wieder auf einem anderen Blatt), lokale oder nichtstaatliche Gruppen haben zumeist gar nicht die Möglichkeiten, eine solche konzertierte Aktion umzusetzen. Gerade deswegen muss in der Definition auch die staatliche Verantwortung bei einer Anerkennung unbedingt berücksichtigt werden - und diese fehlt eben bzgl. Deutsch-Südwest, auch wenn Deutschland nun in einer Art moralischem Verantwortungsbewusstsein so gehandelt haben mag.

Das ist doch schon rein logisch ein Zirkelschluss: weil hinter den bekannten Völkermorden eine staatliche Autorität stand, kann ein Verbrechen, bei dem das nicht der Fall ist kein Völkermord sein, womit dauerhaft gesichert ist, dass hinter jedem Völkermord zwingend eine staatliche Autorität steht. Auch die Erkenntnis, dass bspw. nichtstaatlichen Gruppen zumeist die Möglichkeiten zum Völkermord fehlen (was in Anbetracht von Massenvernichtungswaffen keinesfalls sakrosankt ist), erklärt vielmehr das Fehlen eines größeren Anteils solcher Verbrechen, als dass es einen Einfluss auf die Definition sinnvoll erscheinen lässt.

Durch die UN-Definition ist jedenfalls eine Regierungsbeteiligung oder eine andere Form von staatlicher Autorität nicht notwendig, um ein Verbrechen als Völkermord zu betiteln. Du darfst selbstverständlich trotzdem eine solche für zwingend erachten, ich tue es nicht, weiter werden wir nicht kommen.

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(31.05.2021, 11:34)Quintus Fabius schrieb: Als Quellen für meine Aussagen verweise ich hier erneut auf die Arbeiten von Brigitte Lau, Matthias Häussler, Isabel Hull und Schneider-Waterberg, welche ganz klar beweisen, dass das heutige Narrativ welches einzig und allein auf der Arbeit Drechslers (eines kommunistischen DDR Historikers) beruht vor den historischen Tatsachen nicht standhält.

Die Bedeutung von Drechslers Arbeit als wesentlich für das Narrativ der heutigen Geschichtsschreibung wird überhöht, weil er der erste war, der die Ereignisse in Deutsch-Südwestafrika als Völkermord bezeichnete und damit die Aufmerksamkeit deutschlandweit (in Ost und West) auf diese Geschehnisse lenkte (und letztlich mit seiner Kolonialforschung ja weltweiten Ruhm erntete, deutlich über den kommunistischen Dunstkreis hinaus, der ja stets als Hauptargument gegen ihn verwendet wurde, du führst das ja auch extra nochmal an). Dass es nicht von Trothas Absicht war, die Herero aus dem Kessel von Waterberg entkommen zu lassen ist inzwischen Konsens, und dass der Vernichtungsbefehl in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer als der Hauptbeweis Verwendung findet liegt mehr an der sehr plakativen, direkten Ausdrucksweise als an seiner ideologischen Wirksamkeit.

Und natürlich ist es bedauerlich, dass Quellensammlungen wie jene von Lau oder Schneider-Waterberg (oder auch das Archiv Trothas), auch wenn diese primär aus subjektiven Eindrücken bestehen, zu wenig Berücksichtigung finden. Aber es ist falsch anzunehmen, dass dies die einzig richtigen Quellen sind, die einzigen, die das Geschehen wahrhaftig widergeben. Wenn du beispielsweise Matthias Häussler und Isabell Hull als Quellen für deine Aussagen nennst, beide haben dafür gesorgt, einen anderen Blick auf die Geschehnisse zu werfen, beide aber vertreten die Ansicht, dass es sich dabei um einen Völkermord handelte und führen sogar explizit aus, warum das Aussortieren fehlerhafter früherer Begründungen keinen Einfluss hat - eben weil die Quellenlage eindeutig genug ist.

Insofern beschreiben deine Beiträge hier zum Ablauf und zur Bewertung von Absicht und Ausführung nicht das, was tatsächlich passiert ist, sondern drücken vielmehr deine Meinung aus, darüber, was zu berücksichtigen ist und was nicht. Zitiert etwa Schneider-Waterberg aus dem privaten Tagebuch von Trothas, so hat das relevant, während die im Bundesarchiv lagernden privaten Aufzeichnungen verschiedener Offiziere (die etwa die Sicherung von Wasserlöchern anders beschreiben) keine Relevanz besitzen.

Jetzt könnte man natürlich, so wie das auch im von dir verlinkten Spiegel-Artikel gemacht wird, darauf verweisen, dass die Fachleute sich wohl nie einigen können und in zwei Lager gespalten sind - bloß ist das nicht der Fall. Denn das Groß an verfügbaren Quellen zeichnet doch ein eindeutiges Bild hinsichtlich der Absichten, und das von Anfang an, und ohne irgendeine ideologische Verfälschung. Schwieriger wird es wegen der Ausführung, weil es da vermeintlich widersprüchliche Angaben gibt, die aber in Anbetracht der sich stark unterscheidenden Erlebnisse und der fehlenden Kommunikation und Koordination vielleicht gar nicht so widersprüchlich sind, nämlich dann, wenn Einzelaussagen auch als solche Berücksichtigung finden? Bloß wären wir dann wieder beim aktuellen Stand, der aufzeigt, wie nach dem fehlgeschlagenen Plan von Trothas bei Waterberg die Hereros im Sandveld festgesetzt wurden mit dem Ziel, möglichst viele von ihnen umkommen zu lassen.
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