Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
#40
Werter Nightwatch:

Zitat:Wahrscheinlich für viele überraschend wenige. Die russische Luftverteidigung hinkt strukturell ein bis zwei Generationen hinter der Kampfflugzeugentwicklung des Westens her.

Und exakt das meine ich. Dann kommt es zum Krieg, die USA machen aber nicht mit, die EU steht alleine da und keineswegs werden dann die EU Luftwaffen sich so einfach durchsetzen können.

Im übrigen überschätzt man die Bedeutung von Technik in der Kriegsführung (sie ist natürlich sehr wichtig, aber sie hat nicht das Ausmaß von Wichtigkeit welche ihr heute zu viele zuschreiben).

Beispielsweise hat man mal die Schlacht von 73 Easting als Planspiel immer wieder und immer wieder durchlaufen lassen, und dann die technisch deutlich unterlegeneren T-72 abwärts der Iraker einfach anders eingesetzt, nur ganz wenige Stellschrauben etwas gedreht oder die irakischen Panzer nach US Doktrin eingesetzt usw usf. Mit einer Fülle von Ausgängen, meist mit hohen bis sehr hohen Verlusten für die US Panzer, aber nie mit dem was da real geschehen ist.

Natürlich spielt in der Luft Technik nun noch eine größere Rolle, aber keineswegs wird der Himmel am Tag 1 uneingeschränkt uns gehören und auch noch etliche weitere Tage lang nicht. Da man sich im Luftkrieg höhere Risiken nicht leisten kann, wird man sehr bedacht und vorsichtig vorgehen und die russische Luftraumverteidigung systematisch abbauen. Das dauert.

Und selbst wenn deine These zutreffend sein sollte, dann muss man trotzdem davon aus planen und ausgehen, dass es dauern wird. Man kann nicht von einem Optimalverlauf aus planen und man kann nicht (aus buchhalterischer Vorsicht) davon ausgehen dass der Gegner schwach ist oder so auftritt wie er jetzt aufgetreten ist. Nichts wäre falscher als das.

Hier und heute wäre die Bundeswehr mit dem Geschehen wie es aktuell im Donbas stattfindet vollkommen überfordert und würde insgesamt innerhalb weniger Tage keinerlei Kampfkraft mehr generieren können. Und wie du absolut richtig angemerkt hast, ist dieses Geschehen im Donbas in keinster Weise das was möglich wäre oder dem technischen Stand der Dinge entspricht oder sonstwie militärisch hervorhebenswert wäre, sondern ganz im Gegenteil.

Selbst mit dieser teilweise die Züge einer Farce annehmenden Operation würde die Bundeswehr hier und heute nicht fertig werden. Und ich finde es fatal dann immer zu sagen: unsere Osteuropäischen Nachbarn werden schon aufrüsten, insgesamt sind wir ja überlegen usw, dass ist eben ein völlig falscher Ansatz.

Der Krieg wird mit dem ausgetragen werden, was wir jetzt haben und in den nächsten (wenigen) Jahren dazu beschaffen können. Wir müssen daher so rüsten, dass wir als (Kern) EU selbst mit Russland fertig werden, alles andere wäre sträflicher Leichtsinn.

Beschließend: in keinster Weise will ich auf ein Papier vs Papier Konzept hinaus - das man im Krieg als Schere - Stein - Papier Spiel schlußendlich immer vor allem dadurch einen Vorteil generiert, dass man verschiedene Systeme gegeneinander setzt und dadurch Assymetrien ausnutzt ist völlig klar. Mir geht es bei meiner Forderung nach einer Millionen Artilleriegranaten auch in keinster Weise darum ein Artillerieduell zu gewinnen. Sondern gerade mal darum die Artillerie zumindest halbwegs kriegsfähig zu machen.

Das wird dann darüber hinaus noch zusätzlich eine leistungsfähige Luftwaffe mit erheblichen Luft-Boden Fähigkeiten benötigen ist völlig klar und ebenso dass diese die Hauptwirkung entwickeln würde. Gerade meine Wenigkeit hat hier fortwährend von einem Primat der Luftwaffe und von einem zwingend notwendigen Schwerpunkt bei der Luftwaffe geschrieben. Gab sogar einen eigenen Strang mit Umfrage dazu.

Zitat:selbst wenn man Partner aus Übersee unter welchen Vorwänden auch immer aus der Gleichung nehmen muss – bis die russischen Streitkräfte auch nur im Ansatz wieder soweit sind eine konventionelle Bedrohung für Europa darzustellen (mE eher sehr fraglich ob die jemals wieder ein derartiges Niveau erreichen werden) haben sich die Osteuropäischen Länder soweit aufgerüstet, das wir inklusive unserer neuen Nordeuropäischen Verbündeten sie niederringen können werden.

Meiner Meinung nach ist das exakt diese gefährliche Hybris zur Zeit die meiner Ansicht nach daraus resultiert, dass man die Umstände der Gegenwart zu weitgehend in die Zukunft überträgt und zu sehr den Status quo einfach linear weiter extrapoliert. Es gibt sowohl militärisch wie wirtschaftlich wie politisch fortwährend massive Brüche. Wenn man das ignoriert fällt man genau solchen Umbrüchen zum Opfer.

Hier und heute würde die Bundeswehr beispielsweise nicht mal mit den erbärmlichen russischen Drohnen fertig werden. Und solche Drohnen dann in den nächsten Jahren in Massen zu produzieren ist keine Hochtechnologie, auch die Russen könnten das problemlos. Das ist nur ein illustrierendes Beispiel um darzulegen was ich meine. Auch in der Kriegstechnologie gibt es regelmässige Brüche. Der schlechte Zustand der russischen Streitkräfte - wie auch der schlechte Zustand unserer Streitkräfte sind in Wahrheit auch eine Chance genau solche Umbrüche explizit herbei zu führen und zu explorieren.

Russland hat alle notwendigen Rohstoffe dafür im eigenen Land, die notwendige Technologie ist verfügbar oder kann gestohlen werden oder wird von Dritten (aus welchen Gründen auch immer) zur Verfügung gestellt. Eine rasante Aufrüstung mit Systemen welche schlußendlich als Technologiekiller im Verbund mit einer völlig anderen Vorgehensweise und Art der Kriegsführung für uns zur militärischen Katastrophe führen ist denkbar und gerade für Russland theoretisch jederzeit machbar.

Und ebenso auch für uns, den auch der bizarre Zustand der deutschen Streitkräfte birgt eine Chance auf eine wirklich revolutionäre Umstellung unserer Streitkräfte. Wie bei den Russen auch ist der einzige Hemmschuh hier die Gesellschaft und die politische Führung. Gerade in Russland könnte sich diese aber schneller ändern als uns das lieb sein kann.
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RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - von Quintus Fabius - 01.05.2022, 20:48
RE: Russland vs. Ukraine - von Nightwatch - 30.04.2022, 22:50
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