Russland vs. Ukraine
(Vor 7 Stunden)Quintus Fabius schrieb: Ich habe mich heute Mittag mit eine paar Ukrainern unterhalten. Ohne ihnen unsere These ansatzweise darzulegen fragte ich lediglich, warum die Ukrainer so wenig Kriegsverbrechen begehen. Die Antworten im wortwörtlichen Zitat:

1. Wir sind keine Russen. 2. Wir sind doch keine Russen! 3. So was zu machen ist Russisch. 4. Das unterscheidet uns von den Russen.

Es ist geradezu verblüffend, wie sehr diese Antworten im wortlaut unsere These belegen, dass die Ukrainer sich in ihrer Ethnogenese gerade eben dadurch abheben wollen, ihr Nicht-Russisch-Sein belegen, indem sie konträr zu allem handeln was als russisch klassifiziert wird, und entsprechend begehen sie keine Kriegsverbrechen, weil dies sie ja als Russen ausweisen würde.

Kurios und ebenso eigentümlich ist es, wie wenig Kriegsverbrechen durch die Ukraine begangen werden. Denn das sind geradezu extrem wenig im Vergleich zu dem was sonst immer üblich ist. Da begingen ja westliche Einheiten in Afghanistan teilweise mehr Verbrechen (australische SAS etc). Es ist absolut auffällig, wie sauber die Ukraine kämpft - und unnormal ! In jedem Krieg müsste es eigentlich mehr Verbrechen geben, und dass Fehlen dieser auf ukrainischer Seite ist daher eine erstaunliche Abweichung vom Normalzustand.

Aber die Ukrainer wollen halt keine Russen sein, und so ergibt sich das anscheinend wirklich aus der rigiden Abstoßung von allem was ukrainischer Sicht Russisch-Sein ausmacht. Ein Volk in seiner Ethnogenese und seinem Versuch einer Selbstdefinition auf diese Weise zu sehen, ist wirklich hochinteressant.

Das ist die interessanteste Argumentation, die ich je in meinem ganzen Leben gelesen habe. Ich staune.
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Zum ukrainischen Vorstoß auf Kursk:

Das von Präsident Wladimir Putin ausgegebene Ziel der Rückeroberung der Oblast Kursk bis zum 01.10.24 wurde offenkundig verfehlt; der russische Gegenstoß hat sich bei Ljubimowka (hier) festgefahren. 'Soldat + Technik' sieht keine signifikanten Veränderungen, der russische Fokus habe sich auf Wuhledar verlagert. Die Zeitschrift bemerkt sarkastisch, dass Putin, der nach wie vor auf die "Anerkennung neuer Realitäten" durch die Ukraine dringe, dabei wohl eher nicht an die Situation in Kursk gedacht habe. Sie sieht aber auch Risiken für die Verhandlungsposition der Ukraine; ein Gebietstausch würde Putins Ansehen erheblich schmälern und könnte deshalb undurchführbar sein. (Quelle)

Zum ukrainischen Vorstoß auf Kursk, part deux, und zur Gesamtlage:

Das 'Institute for the Study of War' geht davon aus, dass die Ukrainer noch geraume Zeit auf russischem Gebiet stehen werden. Russland bräuchte möglicherweise 15-20 Brigaden, um die ukrainische Offensive abzuweisen, müsste diese aber dem Feldheer in der Ukraine entnehmen. Demnach hätte Kursk den operativen Handlungsspielraum der Russen erheblich eingeengt und die Bildung von Reserven erschwert.

Die Denkfabrik konstatiert, dass die russische Führung sich weiter auf propagandistisch wertvolle Punktziele konzentriere und keine ersichtliche Langfristplanung zeige. Der Kreml stehe nun vor der Wahl, entweder in der Ukraine mit dem Druck nachzulassen, oder weitere Männer zum Wehrdienst einzuberufen, auf die Gefahr hin, dass der wachsende Unmut in der Bevölkerung sich in entsprechenden Reaktionen entlädt. (Quelle)

Zur Lage der russischen Armee (quasi als Antwort auf die Einschätzung der ukrainischen Lage durch Kurt):

Igor Girkin alias Strelkow, einer der Architekten des Krieges von 2014, hat sich wieder aus dem Straflager zu Wort gemeldet. (Link) Er spricht von einer "Wette auf Trump", die für Russland noch die Wende bringen könne, doch das sei nicht ausgemacht. Gelinge es nicht, den Krieg heuer zu beenden, würden die nächsten 12 Monate zu einer "schweren Prüfung" für Russland werden. Er sieht sogar die Möglichkeit eines Umsturzes.

"Der Stil der Führung und Verwaltung, sich auf Imitation zu konzentrieren", so Girkin, habe dazu geführt, "dass die russische Föderation zwar 'auf dem Papier' in jeder Hinsicht beeindruckend aussieht, auch militärisch; doch tatsächlich erwies sich ein (mitunter sehr) beträchtlicher Teil unserer Macht als hohl. Nun übersteigen die Erfordernisse des Krieges bei weitem die Kapazität unseres militärisch-industriellen Komplexes."

Der Krieg habe "längst alle Bestände an neuen Waffen aufgefressen", moniert Girkin, mehr noch: "Das Gleiche gilt für die Ressourcen an ausgebildeten Menschen, mit denen seit zweieinhalb Jahren umgegangen wird, als seien sie unendlich und unerschöpflich – während der Krieg bereits jene restlos vertilgt hat, auf die die Wirtschaft halbwegs schmerzlos verzichten konnte."

Girkin weiter: "Die Armseligkeit (bzw. das völlige Fehlen) von strategischem Denken und die Unzulänglichkeit der taktischen Planung haben bereits zum Verlust der Initiative und zum strategischen bzw. taktischen Stillstand geführt, bis hin zu einem amöbenhaften Reagieren auf äußere Reize – d.h. die Rädchen im Getriebe von Militär und Industrie drehen sich erst, wenn die Probleme existenzbedrohend gefährlich werden."

Auch nach zweieinhalb Jahren gebe es keine langfristige Perspektive, so Girkin, das sei aber "nicht verwunderlich", denn: "An allen wichtigen Stellen, außer vielleicht (teilweise) im Verteidigungsministerium, sitzt immer noch das alte, "zuverlässige" Personal, das auf wundersame Weise an der Macht geblieben ist. Entweder wird überhaupt nicht nach einem Ausweg gesucht (was nur logisch ist, schließlich würde das eine Intelligenz und Kompetenz erfordern, die dem "zuverlässigen" Personal fehlt), oder wir sind einfach unfähig, ihn zu sehen."

Girkin schließt mit den Worten: "Die Gelegenheit zur Fehlerkorrektur, die uns die Inkompetenz und Attrition unserer Feinde im Westen und der sogenannten Ukraine freundlicherweise gewährt hat, ist nicht einmal vertändelt worden – sie wurde schlicht übersehen. Und jetzt ist das Zeitfenster zu. Die allgemeine systemische militärisch-politische Krise wird sich sehr bald in eine militärisch-wirtschaftliche Krise verwandeln.

Vielleicht nach dem Vorbild von 1917; dann wird die Ermüdung der Bevölkerung durch einen sinnlosen und (in Bezug auf die Ziele) unverständlichen Krieg alles überlagern. Ohne wirkliche strategische Veränderungen und Maßnahmen (also nicht wie jetzt, nur nach dem Vorbild von Trischkins Kaftan) werden wir mit äußerst unangenehmen, an Qualität und Quantität wachsenden Folgen für das ganze Land konfrontiert sein."

Deutlicher konnte er nicht sagen, dass Russland seine Unterschicht verheizt … Nebenbei, wer Krylows Fabel nicht kennt: Trischkin fürchtet, für die Löcher in den Ärmeln seines Kaftans ausgelacht zu werden, also flickt er sie mit Stofffetzen, die er unten an seinem Kaftan abschneidet.

Zur geostrategischen Lage:

Die russische Regierung hat einen Versuch der Kontaktaufnahme durch Bundeskanzler Olaf Scholz zurückgewiesen. Regierungssprecher Dimitri Peskow sagte, es gebe nichts zu bereden. Gleichwohl betonte er die Dialogbereitschaft seines Landes. (Quelle)

Zu Ereignissen im Westen mit möglichen Auswirkungen auf die Unterstützung der Ukraine:

Mehrere tausend Menschen haben in Berlin gegen weitere Unterstützungsleistungen protestiert. Allgemeine Aufrufe zum Frieden und für Diplomatie mischten sich mit politisch radikalen Botschaften, etwa der Forderung, die Ukraine müsse "genauso befriedet werden wie vor 79 Jahren". Als der SPD-Politiker Ralf Stegner, selbst Kritiker der Unterstützungsleistungen, in seinem Redebeitrag von einem Angriffskrieg Russlands und dem Recht der Ukrainer auf Selbstverteidigung sprach, wurde er von den Kundgebungsteilnehmern ausgebuht und ausgepfiffen. (Quelle)
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