Es wird Zeit, mal wieder etwas Öl ins Feuer der Diskussion zu gießen.
Ich behaupte, dass sich innerhalb der Ukraine der Konflikt zwischen ethnischen Ukrainern und ethnischen Russen genau an den ethnisch kulturellen Bruchlinien abspielt, die eigentlich der natürlichen Grenzziehung zwischen den Bevölkerungsgruppen entsprechen würde.
Und ich behaupte, dass sprachliche-kulturelle Gemeinschaften einerseits ein "verbindendes Element" über die (vielfach nachkolonialen) künstlichen Grenzziehungen sind und andererseits ein Abgrenzungskriterium gegenüber den anderen, den nicht zur Gemeinschaft gehörenden, darstellt.
Daher wären diese Bruchlinien die sinnvollen Grenzziehungen, die sich bei einer von aussen ungestörten Entwicklung durch die freie Entscheidung der Völker herausbilden würden.
Der zwangsweise Zusammenhalt führt dagegen - soweit er nicht zumindest eine kulturelle Autonomie (ähnlich der Südtiroler in Italien) und politischem Minderheitsschutz (wie den Dänen in Schleswig-Holstein) ermöglicht - zu unterschiedlichen Stadien bis hin zu einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung oder dem Auseinanderfallen.
In einem anderen Thread (Iran) habe ich auf eine diesbezügliche Äusserung folgende Antwort erhalten:
Shahab3 schrieb:@Erich
Zitat:Wenn man denn - wie ich - auf die sprachlich-kulturelle Gemeinschaft abhebt, dann zunächst einmal auch, weil "Sprache" das Mittel der geistigen Verständigung ist. Der Mensch "denkt in Sprache". Erst die gemeinsame Sprache ermöglicht einen Austausch von Gedanken und Ideen und führt damit zu einer ideellen Gemeinschaft derjenigen, die sich untereinander sprachlich verständigen können, und der anderen, der "Barbaren".
Von daher haben wir im Umfeld des Iran (mindestens) drei unterschiedliche Sprachgemeinschaften [...]
Deine Theorien dazu sind mir bereits bekannt, Du äußerst Sie ja auch in Form von Aufsätzen auf Globaldefence. Das ist Deine persönliche Vorstellung, die aber nur bedingt fundiert ist. ...
Ich stelle dazu gerade den Balkan als klassisches Beispiel fest:
Mit einem Anflug von Sarkasmus hatte Präsident Tito seine Aufgabe als Staatschef Jugoslawiens so formuliert: «Ich regiere ein Land mit zwei Alphabeten, drei Sprachen, vier Religionen und fünf Nationalitäten, die in sechs Republiken leben, von sieben Nachbarn umgeben sind und mit acht nationalen Minderheiten auskommen müssen.»
1.
Sprachliche Trennung:
Die Loslösung des (überwiegend albanisch besiedelten) Kosovo von Serbien - die wir aus der EU gefördert haben - ist zumindest der sprachlichen Trennung zu verantworten.
2.
Kulturelle Trennung:
Die Albander sind dazu Muslime, die Serben i.d.R. orthodox - und hier kommt die zweite Trennung, die letzendlich zur Auflösung Jugoslawiens geführt hat - die kulturelle Trennung, nicht nur zwischen Muslimen und Christen sondern auch zwischen den unterschiedlichen christlichen Gemeinschaften.
Kroaten, Serben und Bosniaken eint eine im Wesentlichen identische Sprache. Kroatisch, Serbisch oder Bosnisch sind allenfalls Dialektformen der gleichen Sprache.
Dennoch hat sich zwischen diesen Ethnien einer der blutigsten Bürgerkriege der letzten Jahrzehnte - und das auf europäischem Boden - entzündet.
Warum?
Nun, alle drei Volksgruppen unterscheiden sich durch die Religion.
Kroaten sind (i.d.R.) christlich-katholisch,
Bosnier sind (i.d.R.) muslimisch und
Serben sind (i.d.R.) christlich-orthodox.
Diese Religionszugehörigkeit ist Ausfluss einer zweitausendjährigen geschichtlichen Entwicklung.
2.1.
Die Trennlinie zwischen Katholiken und Orthodoxie, zwischen Rom und Byzanz, zwischen Kroaten und Serben entstammt der Teilung des römischen Reiches.
Die Grenzlinie zwischen West- und Ostrohm verlief quer über den Balkan
<!-- m --><a class="postlink" href="http://de.academic.ru/pictures/dewiki/119/westrom_zwischen_450_und_476.jpg">http://de.academic.ru/pictures/dewiki/1 ... nd_476.jpg</a><!-- m -->
Eigentlich müsste man feststellen:
die Grenze Serbiens gegenüber Kroatien, Bosnien und Montenegro entspricht verblüffend genau der alten Grenzziehung zwischen Byzanz und Rom
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/co...empire.png
Quelle der Karte: <!-- m --><a class="postlink" href="http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Theodosius_I%27s_empire.png">http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Theo ... empire.png</a><!-- m -->
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Die (relativ geringen) Verschiebungen sind den seither entstandenenen Bevölkerungsbewegungen geschuldet.
Die von Tito genannten zwei Alphabete - das kyrillische in Serbien - haben auch da ihren Ursprung.
2.2.
Mit der islamisch-osmanischen Eroberung im 15. und 16. Jhdt. kam ein neuer Einfluss ins Spiel. Ein Großteil der Bevölkerung - insbesondere im Grenzgebiet - wurde muslimisiert.
Auf der anderen Seite bildeten entflohene Soldaten wie die
Uskoken die Vorläufer der späteren Wehrbauern an der Militärgrenze von 1739.
Die
österreichisch-osmanische Militärgrenze von 1739 wird auch heute noch in der bosnischen Westgrenze nachgebildet. Statt einen Festungsgürtel zu errichten, siedelte Österreich Wehrbauern mit der Aufgabe an, bei Überfällen die Türken bewaffnet hinzuhalten, bis die österreichischen Truppen anrückten.
Diese erst 1881 aufgehobene Grenze verschärfte die alte, mitten durch das heutige Jugoslawien verlaufende Trennlinie und ist wohl die einschneidendste kulturgeographische Grenze in Europa.
(vgl. Ivo Andric in «Brücke über die Drina»)
2.3.
Nun wird man vielleich noch nach der historischen Differenzierung zwischen Slowenien und Kroatien fragen.
Die bleibende Differenzierung zwischen Slowenien und Kroatien ist möglicherweise der Entwicklung der österreich-ungarischen Doppelmonarchie zuzurechnen, die zu eigenständigen Entwicklungen geführt hat.
Slowenien (Krain) gehörte zu den östereichischen Kernlanden, Kroatien und Slawonien (zu denen sich später noch Dalmatien gesellte) waren dagegen Bestandteil der ungarischen Hälfte des Doppelstaates.
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Resümee:
Das, was im weitestgehend säkulären und verwestlichten Jugoslawien auf europäischem Boden nicht gelangt - das Zusammenklammern von unterschiedlichen Ethnien, die sprachlich und kulturell (wenn auch nur in Graden) verschieden sind, das kann anderswo auf der Welt wohl noch weniger gelingen.
Damit komme ich zur Grundaussage meiner These:
Künftige Konflikte werden überall dort zu erwarten oder befürchten sein, wo unterschiedliche Ethnien mit Gewalt in einem Staat zusammen gepresst werden - oder auch, wo einheitliche Ethnien auf verschiedene Staaten aufgeteilt sind.
Angesichts der weltweilten nachkolonialen Grenzen muss man eigentlich jetzt "schwarz sehen".