Russland vs. Ukraine
(10.08.2024, 12:21)Quintus Fabius schrieb: Selbst im reinen Informationskrieg sind die Geländeverluste meiner Meinung nach weniger relevant als die Verluste an Material und Menschenleben.

Das ist ein sehr nachvollziehbarer Gedankengang in diesem Abnutzungskrieg. Was aber halt trotzdem bedingt, dass man gerade aus diesem Grund in bestimmte Gebiete vorstößt.

Zitat:Aber man sollte sich davor hüten, die Russen zu unterschätzen, so wie man sie vor Kriegsbeginn heillos überschätzt hat.

Den Krieg so lange in die Länge zu ziehen bis sich bei den Russen Bottom-Up eine hinreichende Kriegsmüdigkeit mit Massendemonstrationen einstellt, dem das System nachkommen muss, ist sehr im Bereich des Möglichen. Nur was wird dann passieren? Russland zieht seine Truppen auf Linie x zurück, wie sie das nach fehlgeschlagenen Offensiven vorher auch schon gemacht hatten. Russland zu Fall bringen wird man damit nicht. Es sei denn man setzt dann militärisch seitens der NATO nach, was bei den atomaren Fähigkeiten Russlands so nicht passieren würde. Also geht es am Ende doch um Gebiet: Um Linie X.
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Sehe ich nicht so. Es geht darum, Russland an einen Punkt zu bringen, wo sie den Krieg nicht weiter führen und dann zumindest für etliche Jahre Ruhe geben (müssen). Wo diese Linie X dann liegt, ist dafür irrelevant. Der Zustand des Feindes insgesamt ist dafür relevant, und viel wesentlicher als die Frage was für Gebiete er gerade besetzt hält oder nicht besetzt hält.
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Man könnte die Ukrainer auch aus US Depots adequat ausstatten und die Frontlinien um einige 100km verschieben.
Die Kursk Aktion zeigt schließlich das Bewegungskrieg möglich wäre, wenn man sich von der verqueren Idee verabschiedet, einen Landkrieg gegen Russland mit 30 M1A1 und 6 F-16 positiv entscheiden zu können.
Aber man will ja weiterhin nicht.
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Da wirkt halt die russische Abschreckung dahingehend, dass die Russen es glaubhaft machen konnten, dass sie in der Lage wären ihre immense Übermacht an taktischen Nuklearwaffen einzusetzen um ein solches Vordringen überlegen ausgerüsteter ukrainischer Verbände damit zu zerschlagen und dann zugleich damit den Krieg abzukürzen hin zu einer Niederlage der Ukraine. Und dann ?! Wird der Westen dann Krieg führen, mit nicht mehr kalkulierbaren und nicht mehr beherrschbaren Auswirkungen, für die Ukraine ?!

In diesem Kontext ein Gedanke: die Offensive der Ukrainer könnte sogar primär darauf abzielen, den Westen zu beeinflussen, um die russische Abschreckung gegenüber dem Westen zu vermindern, damit offenkundig wird, dass die Russen eben nicht zu solchen Mitteln greifen, um den Westen dann dazu zu bringen, mehr Waffen zu liefern und sich nicht derart von der Option des taktischen Nuklearkrieges abschrecken zu lassen. Oder (gleicher Mechanismus) um den Westen dazu zu bringen, die Beschränkungen für gelieferte Systeme aufzuweichen.

Bezüglich des Verschiebens von Frontlinien: selbst wenn man die US Depots plündern würde, so dass die Frontlinie um einige 100 km verschoben wird, so wird dies den Krieg nicht beenden und unter Umständen würde es den Krieg nur massiv eskalieren. Die Frage ob die Russen kampfunwillig werden, hängt nicht von der Frage ab, wo die Linie ist oder ob sie verschoben wurde, sondern von ganz anderen Faktoren.

Das sinnvollste wäre daher die Ukrainer aus US Depots adäquat auszustatten, aber trotzdem darauf zu verzichten, die Russen sofort massiv und weiträumig zurück zu drängen, sondern ganz im Gegenteil sie bewusst weiter abzunutzen und dabei mit dem gelieferten Material eine immer stärkere strategische Reserve aufzubauen und vorzuhalten.
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(10.08.2024, 20:20)Quintus Fabius schrieb: In diesem Kontext ein Gedanke: die Offensive der Ukrainer könnte sogar primär darauf abzielen, den Westen zu beeinflussen, um die russische Abschreckung gegenüber dem Westen zu vermindern, damit offenkundig wird, dass die Russen eben nicht zu solchen Mitteln greifen, um den Westen dann dazu zu bringen, mehr Waffen zu liefern und sich nicht derart von der Option des taktischen Nuklearkrieges abschrecken zu lassen. Oder (gleicher Mechanismus) um den Westen dazu zu bringen, die Beschränkungen für gelieferte Systeme aufzuweichen.

Die Grenzen dessen was man ohne Eskalation (Nuklearschlag) machen kann immer weiter zu dehnen gehört ja zu der 'Boiling the Frog'-Strategy. Ob das in diesem Fall die Ukraine ohne Wissens des Westens (USA) gemacht haben oder nicht spielt da keine grosse Rolle mehr. Die Angriffe mit Drohnen immer weiter in das Gebiet Russlands auszudehnen gehört da auch dazu.

(10.08.2024, 20:20)Quintus Fabius schrieb: Das sinnvollste wäre daher die Ukrainer aus US Depots adäquat auszustatten, aber trotzdem darauf zu verzichten, die Russen sofort massiv und weiträumig zurück zu drängen, sondern ganz im Gegenteil sie bewusst weiter abzunutzen und dabei mit dem gelieferten Material eine immer stärkere strategische Reserve aufzubauen und vorzuhalten.

Anscheinend ist das ja geschehen. Die Ukraine konnte Reserven aufbauen um diese Angriff durchzuführen. Leider ist die Unterstützung des Westens von der lokalen Politik abhängig, was eine konstante Belieferung der Ukraine durch die USA unterbrochen hat und und die europäische Politik hat auch Richtung 2 Jahre verschlafen um die Munitionsproduktion anzukurbeln oder genug Munition für die Urkaine einzukaufen. Die USA haben sich hier aber auch nicht mit Ruhm bekleckert.

Da die Verbündeten Russlands angeblich auch ich immer mehr an Russland liefern ist hier längerfristig ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland/China/Nordkorea/Iran zu befürchten.
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(10.08.2024, 20:20)Quintus Fabius schrieb: In diesem Kontext ein Gedanke: die Offensive der Ukrainer könnte sogar primär darauf abzielen, ...
Neue These von mir dazu: Die Ukraine zielt bewusst darauf ab, die Frontlinie zu verlängern.

Begründung:
- Bei einer Verlängerung der Front nach Norden haben sie den Vorteil der inneren Linie, und können daher ihre Reserven sehr viel sinnvoller einsetzen als die Russen das können.
- Die Ukrainer müssen die Nordfront ohnehin bemannen, die Russen mussten das bisher nicht in größerem Umfang. Dadurch werden die russischen Kräfte stärker überdehnt als die ukrainischen.
- Die Front im Norden ist weniger befestigt und bietet daher eher Möglichkeiten zu tiefen Vorstößen, bei denen die Russen ihre Reserven zur Verteidigung heranführen und dadurch andere Abschnitte vernachlässigen müssen.
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Zum ukrainischen Vorstoß auf Kursk:

Laut dem (pro-russischen) Telegram-Kanal 'Zwei Majore' hat eine ukrainische Brigade nordwestlich von Sudscha, im Rajon Belowski, eine zweite Angriffsachse eröffnet. (Quelle) 'Rybar' (ebenfalls pro-russisch) relativiert die Meldung als "Flurfunk"; es habe noch keine nennenswerten Kampfhandlungen gegeben; er sieht aber ebenfalls einen Angriff aus dieser Richtung kommen. (Quelle) Die Meldung von 'dva_majors' zeigt, dass die Nerven blank liegen.

'Rybar' zufolge hat sich der ukrainische Vorstoß Richtung Korenewo (hier) festgefahren, auf allen anderen Angriffsachsen bezeichnet er die russische Lage als "schwierig". 76.000 Zivilisten wurden aus dem Gebiet aktiviert. 'Rybar' befürchtet jetzt, dass der Ukrainische Angriff darauf abzielt, Belgorod von den Militärbezirken West und Nord abzuschneiden, nach Süden umzuschwenken und die Stadt einzunehmen, um sie als Faustpfand zu halten.

Wie schon erwähnt, bezifferte 'Forbes' den ukrainischen Geländegewinn auf 1000 km². Es ist zu betonen, dass es sich dabei um die Forward Line of Troops handelt, nicht um die Forward Edge of Battle Area. Das definitiv gehaltene Gelände auf der Lagekarte von 'Rybar' ist etwa 650 km² groß.

Die bildlich bestätigten Verluste beider Seiten (d.h. zerstört, kampfunfähig beschädigt oder aufgegeben) seit Beginn der Offensive (Datenlage 06.-09. August) belaufen sich nach Perpetuas Daten auf:

Hubschrauber: 5 russische
Kampfpanzer: 31 russische, 7 ukrainische
Schützenpanzer: 33 russische, 13 ukrainische
Transportpanzer, Mannschaftstransportwagen: 14 russische, 13 ukrainische
Geschützte Radfahrzeuge (MRAP): 16 ukrainische
Raketenartillerie-Systeme: 2 russische, 1 ukrainisches
Rohrartillerie (Selbstfahrlafette): 10 russische, 3 ukrainische
Rohrartillerie (gezogene): 32 russische, 10 ukrainische
Flugzeuge: 6 russische
Flugabwehrsysteme: 1 ukrainisches
Ungeschützte Transportfahrzeuge (Lastkraftwagen, Geländewagen Quads, Motorräder): 167 russische, 52 ukrainische

Nicht die Mühe des genauen Mitzählens habe ich mir in den letzten Tagen bei Pionier-, Führungsfahrzeugen und so weiter gemacht, da liegen die Verluste jeweils einstellig.

Gesamt: 300 : 116 (2,58 : 1)

Vom 01. bis 06. August lag das Verhältnis bei 2,49 : 1, im Juli bei 2,39 :1.

Kurzfristig scheint sich eine Veränderung zugunsten der Ukrainer ergeben zu haben – eine Momentaufnahme, die ich nur erwähne, weil @alphall31 äußerte, die Ukrainer hätten die Russen nur auf dem falschen Fuß erwischt, und das Verhältnis würde sich mit der Organisation einer Verteidigung nun wenden. Tatsächlich glaube ich aber nicht, dass sich am nun schon sehr langfristigen Trend etwas ändern wird. Dafür ist er einfach zu stabil, außerdem zeigen die Russen keine Anzeichen, mit Mensch und Material schonender umzugehen.
(10.08.2024, 12:21)Quintus Fabius schrieb: Zudem bezweifle ich stark das angegebene Verlustverhältnis von 1 : 5 zugunsten der Ukraine, so erstrebenswert und positiv dies auch wäre.
Anmerkung: Nicht insgesamt 1 : 5, sondern auf der Angriffsachse Awdijiwka. Ich zähle tatsächlich bei Perpetua mit (ich dokumentiere das Kriegsgeschehen für geschichtsforum.de). Trotz der Geländegewinne bei Nju-Jork und Toretsk ist dieser Sektor eine absolute Katastrophe für die Russen, dass ich mich wirklich frage, warum da nicht endlich mal Einheiten gegen ihre Kommandeure meutern. Selbst der fanatischste Nationalist, der aus vollem Herzen an die Kriegsziele glaubt, kann doch nicht in sinnlosen Angriffen verheizt werden wollen, wie die Welt sie vermutlich seit dem Iran-Irak-Krieg nicht mehr gesehen hat.
(10.08.2024, 18:47)Quintus Fabius schrieb: Sehe ich nicht so. Es geht darum, Russland an einen Punkt zu bringen, wo sie den Krieg nicht weiter führen und dann zumindest für etliche Jahre Ruhe geben (müssen). Wo diese Linie X dann liegt, ist dafür irrelevant. Der Zustand des Feindes insgesamt ist dafür relevant, und viel wesentlicher als die Frage was für Gebiete er gerade besetzt hält oder nicht besetzt hält.
Das ist aus militärischer Sicht absolut richtig, aber meines Erachtens nicht aus politischer Sicht beziehungsweise aus Sicht des Informationskriegs.

Gerade in der Wahrnehmung der westlichen Medien und in der westlichen Politik spielen Gebietsgewinne sehr wohl eine Rolle, und auch die Russen feiern frenetisch jeden Hektar, den sie einnehmen.

Dass diese Wahrnehmung mittelbar Auswirkungen auf die Kampfkraft der Ukraine haben kann, zeigt die – je nach Umfrage – von 40% bis 50% der Deutschen unterstützte Forderung des sächsischen Ministerpräsidenten, die Waffenlieferungen einzustellen, da sich diese angesichts der jüngsten russischen Erfolge als wirkungslos erwiesen hätten.

Dass der Westen nur verzögert liefert, was die Ukrainer objektiv bräuchten, und das Gelieferte mit militärisch unsinnigen Einschränkungen belegt, kommt bei Kretschmer natürlich nicht vor, ändert aber nichts am Grundproblem.

Streiche "aktiviert", setze "evakuiert". Autocorrect, mal wieder. Undecided
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Streiche "Flugzeuge" wegen Doppeltzählung.
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Kos:

Zitat:Da die Verbündeten Russlands angeblich auch ich immer mehr an Russland liefern ist hier längerfristig ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland/China/Nordkorea/Iran zu befürchten.

Es ist aktuell meine These, dass der Krieg dort längst ein Stellvertreterkrieg ist.

muck:

Zitat:dass ich mich wirklich frage, warum da nicht endlich mal Einheiten gegen ihre Kommandeure meutern. Selbst der fanatischste Nationalist, der aus vollem Herzen an die Kriegsziele glaubt, kann doch nicht in sinnlosen Angriffen verheizt werden wollen

Die Russen kämpfen nicht aus fanatischem Nationalismus so verbissen, sondern aus Fatalismus, Lebensmüdigkeit und aufgrund ihres archaischen Volkscharakters. Ganz viele russische Soldaten die an der Front gleich den größten Fanatikern kämpfen, sind trotz ihres Gebarens überhaupt keine Fanatiker, sondern stattdessen allesamt maximal zynisch, verbittert und eher depressiv. Das versteht man nur, wenn man weiß was für ein Volk das ist. Die vorherrschende Haltung gegenüber der Führung ist grenzenloser Zynismus, absolute Gleichgültigkeit gegenüber allem, extremes Misstrauen gegenüber Staat und Führung, allgemein eine Kultur der Gewalt und das Streben nach dem Tabubruch und zügellose Brutalität als grundsätzliche Charaktereigenschaft. Das ist sozialkulturell eine ganz besondere Mischung. Und die praktische Folge ist eine für normale westliche Menschen nicht nachvollziehbare Bereitschaft das eigene Leben regelrecht wegzuwerfen und andersherum eine noch größere Bereitschaft Gewalt gegen alles und jeden auszuüben.
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(11.08.2024, 07:45)Quintus Fabius schrieb: Es ist aktuell meine These, dass der Krieg dort längst ein Stellvertreterkrieg ist.
Trotz der Involvierung v.a. westlicher Regierungen halte ich diese Formulierung für unzulässig, weil sie im allgemeinen Verständnis Fremdbestimmung und einen Mangel an strategischer Autonomie impliziert. Im vorliegenden Fall wäre dies unzutreffend.

Die Ukraine kann diesen Krieg (auf absehbare Zeit) ohne westliche Unterstützung nicht gewinnen, aber das heißt nicht, dass sie ihn ohne westliche Unterstützung verlieren würde. Was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, versteht sich leicht, wenn man an Konflikte wie den Afghanistankrieg denkt. Kriege können auch in einem militärischen Patt enden.

Auch die Kriegsziele selbst werden der Ukraine keineswegs von ihren westlichen Unterstützern vorgegeben, sondern wurden als Fait accompli von Russland selbst herbeigeführt. Sie sind schlichtweg die Antithese der russischen Kriegsziele, und nach der verfügbaren Datenlage steht die überwältigende Mehrheit der Ukrainer hinter ihnen.

Beiden Seiten fehlt die Kraft, eine Entscheidung zu erzwingen, also sind sie in einen Abnutzungskrieg übergegangen, in dem die Offensiven gegen Charkiw und Kursk zu absoluten Ausnahmesituationen geworden sind. Irgendwann wird durch Abnutzung Verhandlungsbereitschaft entstehen, wobei der jeweilige Status Quo eine große Rolle dabei spielen wird, welche Seite von der anderen mehr Konzessionsbereitschaft erhält.

Ohne westliche Unterstützung sänken die Chancen der Ukraine, die Stellung bis dahin zu halten, aber es ist nicht gesagt, dass sie ohne diese Hilfen keine Chance hätte (freilich wären die Verluste sehr viel höher). Tatsächlich sind die westlichen Militärhilfen längst nicht so substantiell, wie vor allem unsere eigenen Regierungen uns gerne einreden. Ein prägnantes Beispiel: Die Ukrainer haben aktuell wohl etwa 350 einsatzbereite Kampfpanzer und insgesamt 883 Stück verloren. Wenn Deutschland fünf bis acht Leopard 1 pro Monat liefert, ändert das an der militärischen Situation überhaupt nichts.

Umgekehrt glaube ich nicht, dass Peking wirklich glücklich ist mit Putins Tun und Lassen. Natürlich gefällt es Xi, dass v.a. der amerikanische Einfluss ins Wanken gerät, und natürlich nutzt man es gerne aus, dass Russland sich gegenüber China durch eigenes Handeln verzwergt. Doch bevorzugt China eine ressourcenschonendere Außenpolitik. Insbesondere der Umstand, dass Putin in Europa und den USA den Drang ausgelöst hat, sich wirtschaftlich zu entflechten, kann Peking nicht recht sein.
(11.08.2024, 07:45)Quintus Fabius schrieb: Die Russen kämpfen nicht aus fanatischem Nationalismus so verbissen, sondern aus Fatalismus, Lebensmüdigkeit und aufgrund ihres archaischen Volkscharakters. Ganz viele russische Soldaten die an der Front gleich den größten Fanatikern kämpfen, sind trotz ihres Gebarens überhaupt keine Fanatiker, sondern stattdessen allesamt maximal zynisch, verbittert und eher depressiv. Das versteht man nur, wenn man weiß was für ein Volk das ist. Die vorherrschende Haltung gegenüber der Führung ist grenzenloser Zynismus, absolute Gleichgültigkeit gegenüber allem, extremes Misstrauen gegenüber Staat und Führung, allgemein eine Kultur der Gewalt und das Streben nach dem Tabubruch und zügellose Brutalität als grundsätzliche Charaktereigenschaft. Das ist sozialkulturell eine ganz besondere Mischung. Und die praktische Folge ist eine für normale westliche Menschen nicht nachvollziehbare Bereitschaft das eigene Leben regelrecht wegzuwerfen und andersherum eine noch größere Bereitschaft Gewalt gegen alles und jeden auszuüben.
Ich kenne Russland und spreche ein bisschen Russisch. Ich habe für die Friedrich-Naumann-Stiftung dort gearbeitet und war 2008 Wahlbeobachter. Der Georgienkrieg war ein Fanal. Seinerzeit begann eine verhängnisvolle Entwicklung, die in Westeuropa lange niemand wahrhaben wollte. Damals wurden die Ansichten eines Alexander Dugin gesellschaftsfähig. Die russische Gesellschaft begann, nicht mehr in die Zukunft zu blicken, sondern Selbstvergewisserung durch Abgrenzung zu betreiben.

2009 habe ich auf whq-forum und militaryimages.net die Abrüstung Deutschlands als schweren Fehler bezeichnet, da Russland abermals als Aggressor auf der Landkarte auftauchen werde, und wurde dafür ausgelacht.

Ich bin wirklich der Überzeugung, dass die Sprachbarriere in Deutschland viel Ungutes erzeugt. Sprächen mehr Menschen russisch, oder würden wenigstens mittels Google Translator und Co. ab und an einen russischen Zeitungsartikel lesen, ihnen würde der Arsch auf Grundeis gehen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland haben, da gehe ich mit Timothy Snyder d'accord, das Stadium des Faschismus erreicht – ein Begriff, der im Westen leider durch inflationären Gebrauch ein bisschen von seinem Schrecken verloren hat.

Der Putinismus ist gekennzeichnet von virulentem Nationalismus, Militarismus, einem Führer- und Totenkult, und im Äußeren betreibt er einen Ethnoimperialismus. Was Du über die Verhältnisse in der russischen Gesellschaft sagst, ist wahr; das heißt aber nicht, dass der Putinismus nicht mehrheitsfähig wäre.

Ist jeder russische Soldat, oder auch nur die Mehrheit der russischen Soldaten, ein Fanatiker? Natürlich nicht. Allein auch in der Effektivität von Kombattanten gibt es eine Pareto-Verteilung. Eine kleine Minderheit trägt aus eigenem Antrieb bzw. aufgrund ihres Naturells die Hauptlast der Kämpfe, und die große Mehrheit beteiligt sich kaum an den Kämpfen. Und diejenigen, die die Hauptlast tragen, sind eben v.a. die politischen Fanatiker.
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es ist doch bemerkenswert, dass die Ukraine bei Kursk mit mehreren - auch mit westlichen Waffen - gut ausgestatteten Einheiten vorgeht, während Russland dort nur Wehrpflichtige stationiert haben soll. 'Und die Russen haben den "weiteren Bogen", während die Ukraine auf der Innenseite des Kampfgebietes dort die kürzere Linie hat.
https://www.google.com/maps/d/u/0/viewer...1&entry=yt

Mich erinnert die Situation übergeordnet an die letzte erfolgreiche große Offensive.
Damals hat die Ukraine bei Charkiw im Norden (ähnlich nun zwischen Sumy und Kursk ?) fast wie in einem "Blitzkrieg" Boden gewonnen, während im Süden bei Cherson (wie jetzt zwischen Kramatorsk, Donezk ?j ein sehr zähes Ringen geherrscht hat.
Wobei Russland dort zwar Boden gut macht, aber etwa bei Niu-York und Nowhorodske auch ukrainische Gegenvorstöße angezeigt werden.
https://www.google.com/maps/d/u/0/viewer...5&entry=yt
Dazu kommen die zunehmenden Erfolge der Ukraine im Gebiet des Schwarzen Meeres - alles in allem also kein "Zuckerschlecken" für die russischen Truppen, die wohl oft regelrecht verheizt werden.

Tatsächlich ist inzwischen - nach zwei einhalb Jahren ununterbrochener schwerer Kämpfe und 10 Jahren seit der Invasion ukrainischer Teilgebiete - längst ein Abnützungs- oder Erschöpfungskrieg in Gange. Den wird die Seite endgültig verlieren, der als erstes die Resourcen ausgehen. Und gerade auch wenn man die engen Verbündeten beider Seiten - Nordamerika mit den USA sowie Kanada und der EU hier, China mit Iran und Nordkorea dort - ansieht, dann dürfte auf Dauer gesehen eher die westliche Wirtschaftsmacht dominieren.
Natürlich wird das langwierig, je intensiver China sich unterstützend engagiert - aber gegen die vereinte Wirtschaftskraft von EU und USA steht China tatsächlich hinten an. Und dann frage ich mich, welches Interesse die Unterstützer beider Seiten antreibt.
Man kann sich also durchaus auch fragen, ob Chinas Interesse auch darin liegt, Russland noch mehr erschöpfen zu lassen und letztendlich vom Juniorpartner (der Russland inzwischen ist) zum Satelliten zu degradieren.

Mir tut das für jeden Toten leid, auch für die Russen, die ich privat als überaus herzlich kennen gelernt habe.
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Ich würde mal anzweifeln, dass Russland überhaupt so wirklich aktive Unterstützer in diesem Konflikt hat.
Weder glaube ich dass Russland Waffen geschenkt bekommt, noch größere öffentliche Unterstützung für das Vorgehen in der Ukraine erhält. Es ist schlicht "Russlands Krieg". Nordkorea verfügt über überschüssige Munition, aber kaum Öl. China ist ebenfalls sehr froh, dass russisches Gas und Erdöl sanktionsbedingt in ihre Hemisphäre mit ordentlichen Rabatten seitens des Anbieters abfließen muss. China hat seinen Energiebedarf strategisch mit Russland, Venezuela und Iran gedeckt und solange sich diese Partner isoliert vom westlichen Markt bewegen, kontrolliert die chinesische Nachfrage den Preis. Die Energievorräte Chinas reichen damit länger als dem Rest der Welt. Der ja dann bis dahin vielleicht aus Wind und Sonne hinreichend Energie erzeugt, ggf. chinesische Elektroautos und Solarmodule verwendet. Es wäre nicht chinesische Politik, nicht ihr Stil, hier in Europa eine sichtbare politische, militärische Karte zu spielen. Wir sind der Markt. Wir lieben chinesische Produkte und Händler. Waren wir aus chinesischer Sicht immer. Von einer militärischen Allianz, wie sie seitens Ukraine, EU, NATO besteht, kann auf russischer Seite nicht die Rede sein. Den Abnutzungskrieg in der Ukraine führt die westliche Allianz sicherlich zu >90% gegen Russlands alleinige Kapazitäten. China und Iran binden Ressourcen woanders. Das könnte für Russland am hilfreichsten sein. Aber koordiniert ist das in dem Sinne nicht denke ich. Darin liegt am ehesten die Stärke der NATO gegenüber dem Rest der Welt und insbesondere auch in diesem Abnutzungskrieg in der Ukraine.
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(11.08.2024, 10:27)Kongo Erich schrieb: es ist doch bemerkenswert, dass die Ukraine bei Kursk mit mehreren - auch mit westlichen Waffen - gut ausgestatteten Einheiten vorgeht, während Russland dort nur Wehrpflichtige stationiert haben soll. Mich erinnert die Situation an die letzte erfolgreiche große Offensive. Damals hat die Ukraine bei Charkiw im Norden (ähnlich nun zwischen Sumy und Kursk ?) fast wie in einem "Blitzkrieg" Boden gewonnen, während im Süden bei Cherson (wie jetzt zwischen Kramatorsk, Donezk ?j ein sehr zähes Ringen geherrscht hat [.]
Nun, wie erwähnt, sind die Russen bereits dazu übergegangen, Infanterieregimenter aus Luftwaffenpersonal zu bilden, selbst aus Bordtechnikern und Piloten. Auch sind die Verpflichtungsprämien in die Höhe geschossen, in Moskau bspw. betragen sie mittlerweile das Zehnfache eines durchschnittlichen Jahreslohns.

Mit anderen Worten: Es herrscht ein akuter Mangel an Soldaten. Der freilich auch mit der Rechtslage zu tun hat. Noch scheut der Kreml die Kriegserklärung und Generalmobilmachung; bis dahin stehen die Wehrpflichtigen nur im Inland zur Verfügung. Also liegt es nahe, sie im Grenzschutz einzusetzen.

Mich wundert auch nicht mehr, dass man so kalt erwischt wurde.

Ich bin mittlerweile der Ansicht, dass die Überfälle auf Grenzposten in den Oblasten Belgorod und Kursk, die in den letzten neun Monaten von der Russischen Legion, dem Sibirischen Bataillon und anderen pro-ukrainischen russischen Freiwilligenverbänden verübt wurden, der Vorbereitung dieser Offensive dienten.

Ich weiß, ich habe neulich über Gerassimow gespottet, aber eigentlich überrascht es mich nicht, dass er, als mal wieder ein, zwei ukrainische Kompanien auf seiner Seite der Grenze auftauchten, dem Vorgang offenbar keine Bedeutung beigemessen hat. Es war nach meiner Zählung der achte Vorfall dieser Art.
(11.08.2024, 10:27)Kongo Erich schrieb: Tatsächlich ist inzwischen - nach zwei einhalb Jahren ununterbrochener schwerer Kämpfe und 10 Jahren seit der Invasion ukrainischer Teilgebiete - längst ein Abnützungs- oder Erschöpfungskrieg in Gange. Den wird die Seite endgültig verlieren, der als erstes die Resourcen ausgehen.
Vor dem Ausgehen der Ressourcen könnte ein Erlahmen des Kampfeswillens erfolgen. Die Ukrainer sind, obwohl als Verteidiger naturgemäß leichter zu motivieren, in dieser Hinsicht etwas gefährdeter; denn die ukrainische Gesellschaft ist offener als die russische, regierungskritischer, und die Regierung verfügt weder de jure noch de facto über die Mittel, die Fortführung des Krieges zu erzwingen.

Aber ein solcher Zusammenbruch ist alles andere als wahrscheinlich, sogar im Falle steigender Verluste, die durchaus auch vereinend und verhärtend wirken könnten. Ehrlich gesagt, ich sehe in der Annahme vieler deutscher Politiker, Journalisten und Experten, dass der ukrainische Widerstand ohne westliche Hilfe rasch zusammenbrechen werde, eine Fortsetzung dessen, was Snyder einst den "kolonialen Blick" der Deutschen auf die Ukraine nannte.

Verhandlungen wird es geben, wenn die Ukrainer verhandeln wollen oder die Russen verhandeln müssen. Aktuell geht es eindeutig darum, sich in die bessere Ausgangslage zu bringen. Ironischerweise kann der von manchen Politikern als Eskalation gegeißelte Vorstoß auf Kursk in diesem Sinne sogar kriegsverkürzend wirken. Denn klar ist, dass selbst die russischen Minimalforderungen für die Ukraine unannehmbar sind.

Was die Dynamik anlangt, droht hier im Endeffekt ein aus dem Haus in den Garten vertriebener Einbrecher damit, dem Hausbesitzer die Bude anzuzünden, wenn er ihm nicht die Schlüssel und alle Küchenmesser aushändigt – auf dass er morgen wiederkommen und das Haus ein für alle Mal ausräumen kann.

Das ist keine Grundlage für einen Frieden.
(11.08.2024, 10:27)Kongo Erich schrieb: Und gerade auch wenn man die engen Verbündeten beider Seiten - Nordamerika mit den USA sowie Kanada und der EU hier, China mit Iran und Nordkorea dort - ansieht, dann dürfte auf Dauer gesehen eher die westliche Wirtschaftsmacht dominieren.
Die Abhängigkeit der Ukraine von westlichen Hilfslieferungen sinkt allmählich, wie das 'ISW' vor ein paar Wochen schrieb. Ende 2025 könnte das Land in der Lage sein, seinen Munitionsbedarf zu wesentlichen Teilen selbst zu decken – ausgenommen einige Systeme westlicher Provenienz. Auch Russland kann durchaus noch zu mehr Autarkie gelangen. Es hängt alles davon ab, wie viel man der eigenen Bevölkerung zumuten will.

Vor diesem Hintergrund halte ich übrigens die Hoffnung auf politische Umwälzungen in Russland selbst für nicht ganz so naiv, wie es scheinen könnte. Nach wie vor scheut man nämlich die Mobilmachung und versucht, die Kriegsfolgen auf die armen, nicht-slawischen Föderationssubjekte abzuwälzen, damit die slawische städtische Mittelschicht ihre Ruhe hat. Das ist für mich ein Hinweis, dass man dieses demographische Segment nicht verärgern will.
(11.08.2024, 10:27)Kongo Erich schrieb: Natürlich wird das langwierig, je intensiver China sich unterstützend engagiert - aber gegen die vereinte Wirtschaftskraft von EU und USA steht China tatsächlich hinten an. Und dann frage ich mich, welches Interesse die Unterstützer beider Seiten antreibt.

Man kann sich also durchaus auch fragen, ob Chinas Interesse auch darin liegt, Russland noch mehr erschöpfen zu lassen und letztendlich vom Juniorpartner (der Russland inzwischen ist) zum Satelliten zu degradieren.
Nach meinem Kenntnisstand leistet China Russland bislang auf militärischem Gebiet keine nennenswerte Hilfe. Weißt Du mehr?

Und was die Motive des sogenannten Westens anlangt, tja, da rätseln wir alle. Denn klar ist, dass viele Regierungen (vor allem die deutsche!) nicht das militärisch Gebotene und fiskalisch sowie rechtlich Mögliche tun. Wozu also? Das Spektrum reicht von einem Masterplan, Russland weichzukochen, bis hin zu einem schnöden Verwalten des Problems. Ich muss sagen: Ich glaube, dass gerade Olaf Scholz keinen Plan für die Beendigung dieses Krieges und eine Zukunftsvision für Osteuropa hat, und er vor allem verwaltet. Die Politik der Bundesregierung scheint mir ein Kompromisskurs zu sein, der darauf abzielt, es den Verbündeten und den Pro-Ukrainern im Land rechtzumachen, ohne die Pro-Russen komplett zu vergraulen.

Das eine gelingt kaum, das andere gar nicht.
(11.08.2024, 10:27)Kongo Erich schrieb: Mir tut das für jeden Toten leid, auch für die Russen,
Mir auch.

Wobei ich gestehen muss, dass ich weniger Mitleid mit den russischen Soldaten habe – oder anders formuliert, ich hätte mehr Mitleid mit ihnen, wenn ich wüsste, dass es Wehrpflichtige sind, die zur Teilnahme an den Kämpfen gezwungen sind. Die Teilnehmer der "speziellen Militäroperation" sind freilich sämtlich Freiwillige, die sich in Kenntnis der Sachlage freiwillig meldeten. Letzteres kann man nicht genug betonen. Durch Milblogger und Flurfunk verbreitet sich noch ein recht zutreffendes Bild von der Situation an der Front; und der Durchschnittsrusse weiß durchaus auch um die Dedowschtschina und die eigenen Kriegsverbrechen. Er tritt bewusst in ein System ein, das man als verbrecherisch bezeichnen kann.
(11.08.2024, 10:27)Kongo Erich schrieb: die ich privat als überaus herzlich kennen gelernt habe.
Ich auch, und deswegen ist es umso trauriger, dass @Quintus Fabius' Schilderung zutrifft.

In Russland erlebst Du überall eine Gastfreundschaft, die Du in Deutschland vielleicht allenfalls in sehr ländlichen und isolierten Regionen wie auf Halligen oder in Alpendörfern finden kannst. Es sind herzliche, feierlustige Menschen, aber mit zwei Gesichtern – eines, das sie Freunden und Familie zeigen, und einem, das Staat und Gesellschaft zu sehen bekommen.

Russland hat niemals Demokratie und Diskurs gelernt. Wie weiland die Deutschen verbinden viele Russen mit dem Wort 'Demokratie' Begriffe wie "Chaos" und "Armut". Und dank des kommunistischen Kollektivismus konnte sich in Russland auch niemals jener Individualismus entwickeln, der für eine gesunde Zivilgesellschaft nötig ist, indem er das Anspruchsdenken schafft, dass sich die Regierung auch vor dem Einzelnen zu verantworten hat.

Nur wenige Menschen dort machen sich Gedanken über Russlands Verhältnis zu seinen Nachbarn, und nur die zwischen ca. 1980 und 2000 geborenen Russen haben überhaupt genug Freiheit erlebt, als dass sie in Erfahrung gebracht hätten, warum viele ihrer Nachbarn Vorbehalte gegen sie hegen.
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(11.08.2024, 07:45)Quintus Fabius schrieb: Es ist aktuell meine These, dass der Krieg dort längst ein Stellvertreterkrieg ist.
Ich würde vielleicht eher von einem "Quasi-Stellvertreterkrieg wider Willen" sprechen. Keiner der beiden Pole USA und China haben ein Interesse daran, dass dieser Krieg geführt wird, aber sie verfolgen in diesem Krieg durchaus ihre eigenen Interessen und nutzen ihn auch für diese. Das ist aber dadurch trotzdem noch kein klassischer Stellvertreterkrieg.
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muck:

Zitat:Trotz der Involvierung v.a. westlicher Regierungen halte ich diese Formulierung für unzulässig, weil sie im allgemeinen Verständnis Fremdbestimmung und einen Mangel an strategischer Autonomie impliziert. Im vorliegenden Fall wäre dies unzutreffend.

Nordvietnam war trotz aller Waffenlieferungen aus der Sowjetunion und der VR China und der Präsenz von Militärberatern dort auch keineswegs fremdbestimmt und man kann beispielsweise weder in Bezug auf die Nordvietnamesen noch auf den Vietcong im Süden von einem Mangel an strategischer Autonomie sprechen. Das gleiche beispielsweise in Afghanistan zur Zeit der sowjetischen Besatzung usw. Würde man diese Formulierung so eng fassen, wie du es hier implizierst, gäbe es praktisch kaum echte Stellvertreterkriege.

Zudem müssen nicht beide Seiten gleichermaßen fremdbestimmt / strategisch nicht-autonom sein - und die Ukraine ist beides beispielsweise in signifikantem Ausmaß, weil sie derart abhängig von der westlichen Unterstützung ist, welche man auch nicht auf die bloßen Waffensysteme reduziert betrachten sollte. Das reicht ja viel weiter.

Zitat:Die Ukraine kann diesen Krieg (auf absehbare Zeit) ohne westliche Unterstützung nicht gewinnen, aber das heißt nicht, dass sie ihn ohne westliche Unterstützung verlieren würde.

Meiner Überzeugung nach würde die Ukraine diesen Krieg ohne die westliche Unterstützung verlieren, und zwar gesichert.

Zitat:Tatsächlich sind die westlichen Militärhilfen längst nicht so substantiell, wie vor allem unsere eigenen Regierungen uns gerne einreden.

Doch sind sie, und du betrachtest das ganze meiner Meinung nach viel zu beschränkt auf die Großsysteme. Bei diesen Hilfen sind nicht die Zahl der gelieferten Kampfpanzer oder F-16 relevant, sondern die gelieferte Artilleriemunition, der gelieferte Treibstoff, die gelieferten Handgranaten, die gelieferte Mörsermunition, die gelieferten Drohnen, der vom Westen bezahlte Sold, die vom Westen bezahlten Beamtengehälter, Ersatzteile, und dann vor allem anderen auch die ganzen immateriellen Unterstützungsleistungen, insbesondere was den Informationsraum angeht (man soll nicht glauben, der Krieg im Informationsraum würde durch die Ukraine allein derart brilliant geführt werden) und die ganze militärische Aufklärung, Spionage, zur Verfügung gestellte Satellitennetzwerke, zur Verfügung gestellte strategische Aufklärung von Satelliten, strategische Informationen von westlichen Nachrichtendiensten usw usw

Zitat:2009 habe ich auf whq-forum und militaryimages.net die Abrüstung Deutschlands als schweren Fehler bezeichnet, da Russland abermals als Aggressor auf der Landkarte auftauchen werde, und wurde dafür ausgelacht.

Ich erinnere mich sogar noch an deine Einträge dort. In diesem Kontext könnte ich nun ausholen und darlegen, dass ich schon 2003 exakt das gleiche schrieb, sowohl in anderen heute nicht mehr existierenden Foren als auch dann hier im Forum. Aber ich leide ganz grundsätzlich unter einem Kassandra Komplex Wink

Zitat:Ich bin wirklich der Überzeugung, dass die Sprachbarriere in Deutschland viel Ungutes erzeugt. Sprächen mehr Menschen russisch, oder würden wenigstens mittels Google Translator und Co. ab und an einen russischen Zeitungsartikel lesen, ihnen würde der Arsch auf Grundeis gehen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland haben, da gehe ich mit Timothy Snyder d'accord, das Stadium des Faschismus erreicht

Kann ich voll zustimmen. Das ist ein eindeutig und absolut glasklar faschistischer Staat. Mit allen Eigenheiten die da so zum Faschismus gehören. Im übrigen würde es schon reichen, wenn man hierzulande mal regelmässig russisches Staatsfernsehen mit Untertiteln zeigen würde. Wäre mal eine Aufgabe für die von unseren Rundfunkzwangsabgaben finanzierten "Staats"sender. Da würden die Zuschauer vermutlich regelmässig nicht mehr aus dem Staunen heraus kommen.

Zitat:Ist jeder russische Soldat, oder auch nur die Mehrheit der russischen Soldaten, ein Fanatiker? Natürlich nicht. Allein auch in der Effektivität von Kombattanten gibt es eine Pareto-Verteilung. Eine kleine Minderheit trägt aus eigenem Antrieb bzw. aufgrund ihres Naturells die Hauptlast der Kämpfe, und die große Mehrheit beteiligt sich kaum an den Kämpfen. Und diejenigen, die die Hauptlast tragen, sind eben v.a. die politischen Fanatiker.

Die Leistungsträger in diesem Krieg sind auf russischer Seite keine politischen Fanatiker. Glaub mir oder nicht, ich kenne die einfachen Russen - insbesondere die vom Lande jenseits des Ural - sehr gut. Ich verstehe sie sogar besser als die meisten heutigen Deutschen in dieser Bundesrepublik. Die Bereitschaft zu immer weiterer grenzenloser Gewalt resultiert hier eben nicht aus politischem Fanatismus, sondern aus ganz anderen Faktoren und völlig anderen Denkweisen. Und ich kann diese selbst sehr gut nachvollziehen.

Zitat:Mit anderen Worten: Es herrscht ein akuter Mangel an Soldaten. Der freilich auch mit der Rechtslage zu tun hat. Noch scheut der Kreml die Kriegserklärung und Generalmobilmachung; bis dahin stehen die Wehrpflichtigen nur im Inland zur Verfügung.

Es gibt Reihenweise in die Ukraine gepresste "Freiwillige", insbesondere aus den Reihen der Wehrpflichtigen.

Darüber hinaus hat die Rekrutierungswut nicht primär mit einem Mangel an Soldaten zu tun, sondern damit, dass man die Zahl der Soldaten in der Ukraine immer weiter steigern will, damit der Feind irgendwann aufgrund der zu groß werdenden Quantität zerbricht. Denn trotz aller russischen Verluste steigt die Zahl der in der Ukraine stehenden russischen Soldaten durchgehend an. Die werden trotz aller Verluste immer mehr.

Die aktuelle strategische Zielsetzung der Russen ist dabei eindeutig: man will den Krieg mittelfristig für sich entscheiden, weil man einen Rüstungswettkampf mit dem Westen langfristig nicht gewinnen kann. Also will man durch bloße Masse den Sieg erzwingen, noch bevor der Westen ihn tatsächlich verhindern kann / wird.

Zitat:[Nach meinem Kenntnisstand leistet China Russland bislang auf militärischem Gebiet keine nennenswerte Hilfe. Weißt Du mehr?

Es fahren eine Menge / Unmenge von vollbeladenen Zügen über den Amur nach Norden. China liefert aber nicht nur Munition, Ersatzteile usw in rauhen Mengen, die dann in Russland zu in der RF hergestelltem Militärmaterial umdeklariert werden, sondern vor allem auch Drohnen und die ganzen Elektronikbauteile für diese. Militärisch äußerst relevant sind zudem die Geldzahlungen von China an die Russen für deren Rohstoffe. Denn damit finanziert Putin den Krieg in wesentlichen Teilen.

Zitat:Russland hat niemals Demokratie und Diskurs gelernt. Wie weiland die Deutschen verbinden viele Russen mit dem Wort 'Demokratie' Begriffe wie "Chaos" und "Armut". Und dank des kommunistischen Kollektivismus konnte sich in Russland auch niemals jener Individualismus entwickeln, der für eine gesunde Zivilgesellschaft nötig ist, indem er das Anspruchsdenken schafft, dass sich die Regierung auch vor dem Einzelnen zu verantworten hat.

Man sollte hier noch stark zwischen den Großstädten und dem Land, dann zwischen allem westlich des Ural und östlich des Ural unterscheiden sowie der Kaukasus-Region als ebenfalls seperatem Gebiet. Im weiteren besteht zwischen der russischen Armee / den Gesellschaftsschichten und Gruppen aus welchen sie sich primär rekrutiert und der russischen Gesellschaft insgesamt ebenfalls noch eine erhebliche Lücke. Die russische Armee ist eine Schule der Sklaven, des Zynismus und der Barbarei.

Zitat:ich hätte mehr Mitleid mit ihnen, wenn ich wüsste, dass es Wehrpflichtige sind, die zur Teilnahme an den Kämpfen gezwungen sind. Die Teilnehmer der "speziellen Militäroperation" sind freilich sämtlich Freiwillige, die sich in Kenntnis der Sachlage freiwillig meldeten. Letzteres kann man nicht genug betonen.

Das stimmt so nicht in dieser Ausdrücklichkeit. Es gibt jede Menge gezwungene oder sonstwie dorthin getriebene "Freiwillige" in der Ukraine.

Zitat:der Durchschnittsrusse weiß durchaus auch um .... die eigenen Kriegsverbrechen. Er tritt bewusst in ein System ein, das man als verbrecherisch bezeichnen kann.

Das ist übrigens für viele einer der wesentlichsten Gründe warum sie in die Ukraine ziehen. Der Sold allein ist es bei sehr vielen nicht, sondern der hohe Sold in Kombination mit der Möglichkeit zum genehmigten Verbrechen. Der Tabubruch ist für Russen hochgradig anziehend. Man hört beispielsweise von vielen Freiwilligen dass sie zum einen wegen dem Geld dorthin gehen, zum anderen aber weil sie einfach Töten wollen ohne dafür bestraft zu werden (und damit meinen die keine feindlichen Soldaten) und auch ganz offen, dass sie schöne junge Mädchen vergewaltigen wollen oder das sie foltern wollen. Oft so von der Aussage her, dass man hofft, noch dazu zu kommen dies zu tun, bevor man dann getötet wird.


KongoErich:

Zitat:Man kann sich also durchaus auch fragen, ob Chinas Interesse auch darin liegt, Russland noch mehr erschöpfen zu lassen und letztendlich vom Juniorpartner (der Russland inzwischen ist) zum Satelliten zu degradieren.

Meiner Überzeugung nach ist dies Chinas primäres Interesse. Und längerfristig spekuliert man darauf die Mongolei und die Äußere Mandschurei heim ins Reich zu holen.
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