China vs. Taiwan
(21.03.2024, 22:47)Quintus Fabius schrieb: Man kann aber auch einen Krieg verfrüht beginnen / mit unzureichenden Mitteln / zu einem noch nicht günstigen Zeitpunkt. Deshalb würde ich den Umstand dass die west-taiwanesischen Streitkräfte noch nicht auf dem Stand sind den sie eigentlich benötigen würden nicht zwingend als Hinderungsgrund sehen für einen Angriff auf Taiwan in Kürze.
Dazu müsste es einen zwingenden Grund geben. Mir erschließt sich nicht, warum China die Taiwan-Frage zwingend in den nächsten drei Jahren lösen muss.

- Das System dort steht nicht unmittelbar vor dem Kollaps, man muss sich jetzt nicht zwangsweise ein vermeidlich stabilisierendes Abenteuer stürzen.
- Das System ist gleichzeitig zu fragil um die Verwerfungen eines ausgewachsenen Krieges unbeschadet zu überstehen.
- Die strategische Abhängigkeit von Importgütern ist noch immer viel zu groß.
- Xi Jingping hat unter normalen Umständen und gemessen am Lebensalter seiner Eltern noch mindestens zehn effektive Regierungsjahre vor sich.
- In Taiwan gibt es keine unmittelbar relevanten Unabhängigkeitsbestrebungen.
- Die strukturellen Probleme der USA hinsichtlich staatlicher Überschuldung bei fortschreitender Verarmung der Bevölkerung werden die USA in der nächsten Dekade zusehends lähmen und in den Isolationismus drängen.
- Die militärischen Fähigkeiten der PLA werden über die nächste Dekade gewaltig wachsen, die Fähigkeiten der möglichen Gegner treten verglichen mit dem chinesischen Aufwuchs auf der Stelle.
- Die USA werden strukturell länger als fünf Jahre benötigen um kritische Systeme und Fähigkeiten (B-21, NGAD, KC-Z, Hypersonics, LR-AAM, Virginia Block V usw.) einzuführen und werden va im maritimen Bereich mittelfristig weiter schrumpfen.
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Das bestreite ich doch alles gar nicht. Kriege können aber auch aus Inkompetenz heraus angefangen werden. Aus einer völligen Verkennung der Lage. Aus falschen Informationen heraus. Und die Wahrnehmung der realen Umstände kann von diesen erheblich abweichen. Und auch das verbrecherische Regime der Volksrepublik könnte schlicht und einfach drastisch Fehler machen.

Es sind schon viele Kriege entgegen jeder Vernunft und Logik begonnen worden.
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Es kann immer vieles passieren. Aber das sind dann Wahrscheinlichkeiten aus denen sich eben keine definitive Aussage im Sinne von 'Krieg mit China in 2026 oder 2027' ableiten lässt.

Ich bin der letzte der eine Konfrontation mit China für unwahrscheinlich hält oder nicht für eine deutliche Intensivierung der Vorbereitung darauf eintritt. Gleichzeitig sehe ich aber keine Anhaltspunkte für eine unmittelbare Chinesische Aggression in den nächsten drei Jahren. Kann dies passieren? Mit geringer Wahrscheinlichkeit sicherlich aber dann auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne Invasion der Insel. Selbst bei offener Kriegsführung (mit pazifischen/westlichen Mächten) ist man dann noch lange nicht.

Für eine größere Krise (die nun mal von der chinesischen Staatsführung sehr bewusst vom Zaun gebrochen werden muss) werden aller Wahrscheinlichkeit nach noch einige Jahre ins Land gehen. Wenn dann jemand die These aufstellt, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass China zwischen 2030 und 2040 eine Lösung der Taiwanfrage / Invasion der Insel plant würde ich mich vorbehaltlos anschließen.
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Werter Nightwatch:

Zitat:das sind dann Wahrscheinlichkeiten aus denen sich eben keine definitive Aussage im Sinne von 'Krieg mit China in 2026 oder 2027' ableiten lässt.

Keine Frage. Aber das hatte ich ja nicht behauptet und so auch nicht geschrieben. Das ist halt seitens von US Militärs eine rein politische Aussage um Druck zu machen, dass man mit den Vorbereitungen voran kommt.

Zitat:Mit geringer Wahrscheinlichkeit sicherlich aber dann auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne Invasion der Insel.

Ein wesentlicher Punkt ! Man reduziert aktuell alles meiner Meinung nach zu sehr auf die Idee einer Invasion und Eroberung der Insel in Form einer ganz klassischen konventionellen Besetzung.

Ein Konflikt mit Taiwan könnte jedoch auch völlig anders geführt werden und extreme Konsequenzen haben, ohne dass ein einziger Soldat der Volksrepublik die Insel betritt. Er kann vollständig mit unkonventionellen Mitteln geführt werden, indirekt geführt werden usw.

Der Schaden für die Welt wäre ähnlich hoch, selbst wenn man den Konflikt knapp unterhalb des militärischen Horizontes halten würde. Und solche indirekten Methoden sind nun mal von der strategischen Kultur her genuin chinesisch.
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Bin hier zwiegespalten: Meiner persönlichen Meinung nach sollten und müssen wir uns auf einen Konflikt dort einstellen - grob in den nächsten zwei Jahren -, ob 2026 oder 2027 ist hierbei dann eher marginal wichtig.

Und selbst dann, wenn gewisse Ausbauabsichten beim Militär noch nicht abgeschlossen sind oder Xi noch längere Zeit im Amt bleiben könnte, so ist das keine Garantie dafür, dass kein Angriff auf Taiwan stattfindet. Dazu sind mir die Töne eine Nuance zu schrill und das Auftreten zu aggressiv - beinahe täglich sieht man Übungen um Taiwan herum. Eine Fragilität des chinesischen Systems, die einen Waffengang verhindern könnte, sehe ich so auch nicht, trotz aller Immobilienblasen, Jugendarbeitslosigkeit und strukturellen Probleme. Eher könnte sogar die Unruhe im Inneren zu einem Waffengang inspirieren, wobei dann die Propaganda die Menschen inkl. der Kritiker hinter der roten Fahne zu vereinen sucht. D. h. ein erzeugter Konflikt kann auch dazu genutzt werden, jedweden inneren Streit im Pathos zu ertränken - und Nationalismus in China gibt es zuhauf.

In jedem Fall sollte sich die deutsche Wirtschaft - ich glaube meine 29. Wiederholung - endlich entflechten von Rotchina. Sollte dies nicht geschehen und sollten wir wieder einmal, ähnlich wie bei der Russlandpolitik, ins kalte Wasser fallen, dann werden die Folgen für die deutsche Wirtschaft wesentlich gravierender sein als dieses Affentheater in der Ukraine.

Was nun die Inkompetenz angeht: Ich erachte die Chinesen als deutlich kompetenter als den Kreml. Zumindest sind sie berechnender und pragmatischer - das macht sie aber nicht weniger gefährlich. (In punkto Skrupellosigkeit schenkt man sich sicher wenig.) Während die Moskauer Führung vermutlich tatsächlich an die "bombastische eigene Überlegenheit" und den eigenen Propagandasermon glaubt, wissen die Machthaber in Peking sehr wohl, dass die Propaganda lügt und eben schlicht Propaganda ist. Aber sie sagen das nicht offen, auch nicht gegenüber den Russen, sondern lächeln doppeldeutig in die Kamera und setzen die Politik um, die sie für richtig halten. Was aber nicht bedeuten muss, dass sie nicht gefährlich wären oder nicht genauso brutal losschlagen würden, wenn sie es nicht irgendwo für notwendig erachten sollten.

Schneemann
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Ich war schon in der Volksrepublik, und habe dort auch schon mal mehrere Monate verbracht (in der Mandschurei). Ist zwar etliche Jahre her, aber ich habe die schon gut kennen gelernt. Man überschätzt meiner Meinung nach die Chinesen was ihre Klugheit und Gerissenheit angeht. Das liegt auch daran, wie sie sich geben um nicht das Gesicht zu verlieren / aufgrund ihrer Kultur usw. und dadurch erscheinen sie oft undurchschaubar und deshalb unterstellt man ihren Handlungen zu schnell irgendwelche hinterlistige durchtriebene Hintergründigkeit. Und ja, dass ist bei denen öfter so, aber eben nicht grundsätzlich. In der Volksrepublik läuft sehr viel falsch, gibt es immens viel Inkompetenz und ist keineswegs alles so durchdacht wie man sich das hierzulande so denkt.

Die kochen auch nur mit Wasser - aber gerade darin liegt hier meiner Meinung nach die besondere Gefahr.
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Was ist eigentlich im öffentlichen Informationsraum über mögliche Angriffsszenarien der VR China auf Taiwan bekannt? Die US Militärs haben ja ihre eigenen "Planspiele" und simulieren.

Aber was kann ich als interessierter Laie davon einsehen? Ich möchte mir gerne ein eigenes Bild machen. Wo fange ich da an?

Ich finde es unbefriedigend zu sagen oder zu hören "Die Chinesen greifen bis 2027 an". Was bedeutet das genau und konkret? Was sind unsere Erwartungen? Welche Szenarien sind wahrscheinlich? usw. usf.
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Zitat:Wo fange ich da an?
US amerikanische Think Tanks veröffentlichen eine Vielzahl an Artikeln und Studien zu solchen Themen.

Zu Taiwan gab es vor einem Jahr ein sehr umfangreiches Planspiel des CSIS:
https://www.csis.org/analysis/first-batt...ion-taiwan

Noch umfangreicher:
https://ndupress.ndu.edu/Publications/Bo...he-Strait/

Oder grundsätzlicher:
https://www.rand.org/pubs/research_repor...658-1.html

Alternative Gedankenspiele:
https://www.brookings.edu/wp-content/upl...wan-v5.pdf
https://www.atlanticcouncil.org/in-depth...ed-states/

Reuters hat eine schöne graphische Aufbereitung:
https://www.reuters.com/investigates/spe...-wargames/
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(27.03.2024, 13:26)Hinnerk2005 schrieb: Was ist eigentlich im öffentlichen Informationsraum über mögliche Angriffsszenarien der VR China auf Taiwan bekannt? Die US Militärs haben ja ihre eigenen "Planspiele" und simulieren.

Aber was kann ich als interessierter Laie davon einsehen? Ich möchte mir gerne ein eigenes Bild machen. Wo fange ich da an?

Ich finde es unbefriedigend zu sagen oder zu hören "Die Chinesen greifen bis 2027 an". Was bedeutet das genau und konkret? Was sind unsere Erwartungen? Welche Szenarien sind wahrscheinlich? usw. usf.

Ich verstehe nicht warum die Szenarien alle von einer Eroberung Taiwans durch Bodentruppen ausgehen. Eine Seeblockade durch China + strategische Bombardierung wäre vom Kräfteverhältnis her wesentlich leichter umsetzbar und Taiwan könnte dies auch nicht sehr lange durchhalten, da es auf Nahrungs- und Energieimporte angewiesen ist.
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Zitat:Ich verstehe nicht warum die Szenarien alle von einer Eroberung Taiwans durch Bodentruppen ausgehen.
Was sollte denn sonst die Option sein, wenn man eine Wiedervereinigung anstrebt? Und das genannte Blockade-Beispiel würden die Rotchinesen weniger lange durchhalten als die Taiwanesen - wenn es ein größerer Konflikt wäre.

Schneemann
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Danke für euren Input.
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(27.03.2024, 17:48)Schneemann schrieb: Was sollte denn sonst die Option sein, wenn man eine Wiedervereinigung anstrebt? Und das genannte Blockade-Beispiel würden die Rotchinesen weniger lange durchhalten als die Taiwanesen - wenn es ein größerer Konflikt wäre.

Schneemann

Auch wenn die neuesten Entwicklungen die Annahme bestätigen dass die USA bei einem Angriff auf Taiwan in den Krieg auf Seite Taiwans eintreten würden glaube ich persönlich nicht daran dass es dazu kommt. Im obigen Szenario müsste die US-Flotte eine chinesische Blockade aktiv aufbrechen. Dazu wäre wenn es die Chinesen ernst meinen wohl eine mächtige US-Flotte nötig. Vermutlich mehrere Trägergruppen, wobei auch dann das Risiko erheblich wäre dass es China gelingt einen Träger zu versenken. Ob die USA das Risiko im Ernstfall wirklich eingeht für Taiwan?

https://www.bild.de/politik/ausland/poli....bild.html
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Für die USA wäre das geradezu ein ideales Szenario - die PLAN wäre damit beschäftigt Taiwan abzuriegeln, man könnte ihnen mit der nötigen Vorlaufzeit sehr entspannt in den Rücken fallen, die Blockade brechen und den Sieg erklären.
Ein Szenario das mit chinesischen Erstschlägen gegen US-Basen in der Region beginnt und zeitnah in einer Invasion Taiwans mündet sähe da ganz anders aus.
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