14.09.2022, 14:11
@Schneemann
Ohne abfällig klingen zu wollen, aber das kann doch nach sechs Monaten der Beobachtung dieses Schauspiels in der Ukraine nicht mehr überraschen. Die russische Armee legt seit Beginn des Krieges eine Disziplinlosigkeit an den Tag, die bei ernsthaften Armeen ihres gleichen sucht und regelmäßig in Zuständen ausartet, die mit Verwahrlosung akkurat umschrieben sind.
Das dann bei einer derart dynamischen Rückwärtsbewegung jede Menge Gerät schlicht stehen gelassen wird ist doch nur eine Fortschreibung dieser Zustände. Erstaunlich für mich eher, dass überhaupt so viele Russen relativ geordnet rausgekommen sind. Das hätte noch ganz anders ausgehen können.
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Weils mir auf den Zeiger geht, der geschätzte Herr Generalinspekteur glänzt mit militärischen Sachverstand. Die Welt zitiert vorab:
Böswillig könnte man behaupten, auf den Spuren eines gewissen Brigadegenerals E. V., ich hoffe doch sehr, dass intern auch noch andere Stimmen Gewicht finden. Wobei es auch die Haltung der politischen Führung ein Stück weit erklärt…
1. Die Operation gegen den Frontbogen vor Izium und die nicht als Offensive, sondern als Gegenstoß zu bezeichnen ist schon eine sehr spezielle Sichtweise. Zwar man es jenseits des taktischen Gegenstoßes im Gefecht auch auf operativer Ebene das Instrument des Gegenstoßes geben, diese Einordnung wird dem Geschehen (Aufgabe einer kompletten Front, Zerschlagung der 1. Garde-Panzerarmee) aber nicht in Ansätzen gerecht.
Es kann dabei auch keine Rede davon sein, dass die Ukrainer lediglich ‚Orte und einzelne Frontabschnitte zurückgewonnen‘ und die Russen nicht ‚auf breiter Front zurückgedrängt‘ haben.
Zumindest wenn man die Begrifflichkeit der Gegenoffensive nicht auf nicht regelrecht vernichtende operative Erfolge wie Bagration oder die Bodenoperationen während Desert Storm reduziert, was grober Unfug wäre.
Die Ukraine hat mit ihrer Offensive im Donbass in weniger als einer Woche mehr Territorium und Ortschaften befreit als die Russen in den letzten fünf Monaten haben einnehmen können. Damit ist dazu eigentlich alles gesagt.
2. Wenn der Generalinspekteur tatsächlich noch vor zwei Wochen gesagt hätte, dass die Russen innerhalb der nächsten sechs Monate den restlichen Donbass würde einnehmen können, ist das in mehrfacher Hinsicht eine sehr irritierende Aussage.
Wahlweise herrscht hier offensichtlich kein Verständnis darüber, welches Gebiet der sogenannte Donbass überhaupt umfasst, wie sich dort in den letzten sechs Monaten die Frontbewegungen entwickelten, welche Reserven die Ukraine im letzten halben Jahr hat generieren können, in welchen Zustand die Russen dort nach der Verlegung an die Kherson Front dort offensichtlich (gewesen) sind und welchen Einfluss das Wetter in der Winterjahreshälfte auf die Operationen dort haben wird.
Ich habe sicherlich nicht die Einblicke des Generalinspekteurs, aber darauf die Gegenoffensive zu verschlafen (interessant mit wem die Ukrainer sich hier bezüglich dem operativen Geschehens so austauschen, die Bundeswehrt ganz offensichtlich nicht) und stattdessen den Fall der Linie Slovyansk – Kramatorsk – Kostyantynivka für möglich zu halten während die Russen seit gefühlt schon immer vor Bakhmut festhängen ist schon speziell.
3. Nicht weniger irritierend (aber damit leider nicht alleinstehend) das der Generalinspekteur das Bonmont der 3 zu 1 Überlegenheit bemüht ohne die eine Offensive nicht möglich sein soll. Mal ungeachtet des Umstandes, dass bei der Offensive im Donbass eine lokale Überlegenheit von 6 zu 1 und mehr erreicht werden konnte – diese Aussage taugt doch bestenfalls als Orientierungshilfe für den angehenden Leutnant als für eine Sachkundige Einordnung der Verhältnisse und Möglichkeiten an den verschiedenen Abschnitten der Front.
Zumindest die Beobachtung, dass die Mehrheit der einschlägig bekannten und erfolgreichen Bodenoffensiven der letzten fünfzig Jahre durchaus gegen quantitativ überlegene Gegner durchgeführt wurde sollte auch bis höhere Bundeswehrkreise durchgedrungen sein. Numerische Überlegenheit ist so mitnichten allein entscheidend, Ausrüstung, Führung, Motivation und Gelände können quantitative Vorteile auch in den Offensive sehr schnell negieren. Das ist nicht weniger eine Binsenweisheit als die 3 zu 1 Überlegenheit des Generalinspekteurs, aber ein bisschen mehr kann man auch in einem Interview erwarten.
4. Ich unterstelle dem Generalinspekteur, dass seine Äußerungen hinsichtlich der möglichen Eröffnung einer Front politischer Natur und dazu gedacht sind, der Ministerin in der ‚Panzerfrage‘ den Rücken zu stärken. Wenn er in der jetzigen Lage tatsächlich einen Angriff auf Europa a) für realistisch möglich und b) diesseits des Atomkriegs für irgendwie bedrohlich hält wäre das ein (weiterer) Grund für eine sofortige Ablösung. Mal ganz davon abgesehen, dass ich die Aussage, dass lediglich 60% der russischen Landstreitkräfte mit der Ukraine beschäftigt sind für schlicht falsch halte, jetzt noch weitere Fronten zu eröffnen und die westliche Welt direkt in den Krieg hineinzuziehen ist eine absurde Idee und ziemlich das dümmste was Russland im Moment tun könnte.
5. Selbst im russischen Propagandafernsehen dringt mitunter die Erkenntnis durch, dass eine Generalmobilmachung immense Schwierigkeiten mit sich bringt. Zum einen die Materialfrage, es ist 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion und sechs Monaten Krieg keineswegs gewiss, dass Russland noch über so viel Material verfügt, dass Reserveverbände im nennenswerten Umfang zeitnah adäquat ausstatten und versorgen könnte. Dann die wirtschaftlichen Implikationen. Die Reservisten müssen kommen ja nicht von irgendwo sondern aus der Wirtschaft. Eine Generalmobilmachung hätte erhebliche wirtschaftliche Implikationen um nicht zu sagen, wäre für die russische Wirtschaft wohl der Todesstoß. Womit man dann auch schon beim Hauptargument dagegen wäre - ich glaube nach wie vor nicht, dass das Regime Putin (und nicht nur Putin selbst) bereit ist das Risiko einzugehen die ethnischen Russen in Masse an die Front zu rufen. So schrill die mediale Propaganda zum Teil sein mag, im komfortablen Moskau und St. Petersburg schreit es sich leicht, aber es ist auch in Russland nicht mehr 1914 und die Bereitschaft für einen Opfergang ist insbesondere bei der Jugend sehr übersichtlich.
Insofern, sehr oberflächliche, sehr enttäuschende Einlassung des Herrn Generalinspekteurs. Leider aber auch sehr passend zur Politischen Grundhaltung und damit nicht überraschend.
Ohne abfällig klingen zu wollen, aber das kann doch nach sechs Monaten der Beobachtung dieses Schauspiels in der Ukraine nicht mehr überraschen. Die russische Armee legt seit Beginn des Krieges eine Disziplinlosigkeit an den Tag, die bei ernsthaften Armeen ihres gleichen sucht und regelmäßig in Zuständen ausartet, die mit Verwahrlosung akkurat umschrieben sind.
Das dann bei einer derart dynamischen Rückwärtsbewegung jede Menge Gerät schlicht stehen gelassen wird ist doch nur eine Fortschreibung dieser Zustände. Erstaunlich für mich eher, dass überhaupt so viele Russen relativ geordnet rausgekommen sind. Das hätte noch ganz anders ausgehen können.
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Weils mir auf den Zeiger geht, der geschätzte Herr Generalinspekteur glänzt mit militärischen Sachverstand. Die Welt zitiert vorab:
Zitat: Bundeswehr-Inspekteur General Eberhard Zorn warnt vor zu viel Euphorie beim deutschen Blick nach Kiew. Er könne derzeit keine echte Gegenoffensive der Ukrainer erkennen: „Ich bin mit den Begriffen vorsichtig“, sagte er in einem Gespräch mit dem Magazin „Focus“, das am Samstag erscheinen wird.https://www.welt.de/politik/ausland/arti...folge.html
Stattdessen sehe er allenfalls „Gegenstöße, mit denen man Orte oder einzelne Frontabschnitte zurückgewinnen, aber nicht Russland auf breiter Front zurückdrängen kann“. Auch der herannahende Winter werde „das Leid nicht mindern – im Gegenteil“.
Die ukrainische Armee agiere zwar „klug, bietet selten eine Breitseite und führt souverän und sehr beweglich die Operationen“. Und „noch vor zwei Wochen hätte ich gesagt, dass der gesamte Donbass in sechs Monaten in russischer Hand ist. Heute sage ich: Das werden sie nicht schaffen.“
Aber ob die Ukrainer wirklich die Kraft für eine Gegenoffensive hätten, bezweifelt Zorn, der ranghöchste Soldat der Bundeswehr: „Sie bräuchten eine Überlegenheit von mindestens 3 zu 1.“
In dem Interview bekräftigte Zorn zudem seine Befürchtung, dass Russland eine zweite Front aufmachen könnte und nannte mögliche Angriffsorte: „Kaliningrad, die Ostsee, die finnische Grenze, Georgien, Moldau… es gibt viele Möglichkeiten. Die Fähigkeiten hätte Putin. Auch wenn etwa 60 Prozent seiner Landstreitkräfte im Ukraine-Krieg gebunden sind, verfügen die Landstreitkräfte sowie vor allem die russische Marine und Luftwaffe noch über ungebundene Kapazitäten. Würde Putin eine Generalmobilmachung anordnen, hätte er auch keine Personalprobleme.“
Böswillig könnte man behaupten, auf den Spuren eines gewissen Brigadegenerals E. V., ich hoffe doch sehr, dass intern auch noch andere Stimmen Gewicht finden. Wobei es auch die Haltung der politischen Führung ein Stück weit erklärt…
1. Die Operation gegen den Frontbogen vor Izium und die nicht als Offensive, sondern als Gegenstoß zu bezeichnen ist schon eine sehr spezielle Sichtweise. Zwar man es jenseits des taktischen Gegenstoßes im Gefecht auch auf operativer Ebene das Instrument des Gegenstoßes geben, diese Einordnung wird dem Geschehen (Aufgabe einer kompletten Front, Zerschlagung der 1. Garde-Panzerarmee) aber nicht in Ansätzen gerecht.
Es kann dabei auch keine Rede davon sein, dass die Ukrainer lediglich ‚Orte und einzelne Frontabschnitte zurückgewonnen‘ und die Russen nicht ‚auf breiter Front zurückgedrängt‘ haben.
Zumindest wenn man die Begrifflichkeit der Gegenoffensive nicht auf nicht regelrecht vernichtende operative Erfolge wie Bagration oder die Bodenoperationen während Desert Storm reduziert, was grober Unfug wäre.
Die Ukraine hat mit ihrer Offensive im Donbass in weniger als einer Woche mehr Territorium und Ortschaften befreit als die Russen in den letzten fünf Monaten haben einnehmen können. Damit ist dazu eigentlich alles gesagt.
2. Wenn der Generalinspekteur tatsächlich noch vor zwei Wochen gesagt hätte, dass die Russen innerhalb der nächsten sechs Monate den restlichen Donbass würde einnehmen können, ist das in mehrfacher Hinsicht eine sehr irritierende Aussage.
Wahlweise herrscht hier offensichtlich kein Verständnis darüber, welches Gebiet der sogenannte Donbass überhaupt umfasst, wie sich dort in den letzten sechs Monaten die Frontbewegungen entwickelten, welche Reserven die Ukraine im letzten halben Jahr hat generieren können, in welchen Zustand die Russen dort nach der Verlegung an die Kherson Front dort offensichtlich (gewesen) sind und welchen Einfluss das Wetter in der Winterjahreshälfte auf die Operationen dort haben wird.
Ich habe sicherlich nicht die Einblicke des Generalinspekteurs, aber darauf die Gegenoffensive zu verschlafen (interessant mit wem die Ukrainer sich hier bezüglich dem operativen Geschehens so austauschen, die Bundeswehrt ganz offensichtlich nicht) und stattdessen den Fall der Linie Slovyansk – Kramatorsk – Kostyantynivka für möglich zu halten während die Russen seit gefühlt schon immer vor Bakhmut festhängen ist schon speziell.
3. Nicht weniger irritierend (aber damit leider nicht alleinstehend) das der Generalinspekteur das Bonmont der 3 zu 1 Überlegenheit bemüht ohne die eine Offensive nicht möglich sein soll. Mal ungeachtet des Umstandes, dass bei der Offensive im Donbass eine lokale Überlegenheit von 6 zu 1 und mehr erreicht werden konnte – diese Aussage taugt doch bestenfalls als Orientierungshilfe für den angehenden Leutnant als für eine Sachkundige Einordnung der Verhältnisse und Möglichkeiten an den verschiedenen Abschnitten der Front.
Zumindest die Beobachtung, dass die Mehrheit der einschlägig bekannten und erfolgreichen Bodenoffensiven der letzten fünfzig Jahre durchaus gegen quantitativ überlegene Gegner durchgeführt wurde sollte auch bis höhere Bundeswehrkreise durchgedrungen sein. Numerische Überlegenheit ist so mitnichten allein entscheidend, Ausrüstung, Führung, Motivation und Gelände können quantitative Vorteile auch in den Offensive sehr schnell negieren. Das ist nicht weniger eine Binsenweisheit als die 3 zu 1 Überlegenheit des Generalinspekteurs, aber ein bisschen mehr kann man auch in einem Interview erwarten.
4. Ich unterstelle dem Generalinspekteur, dass seine Äußerungen hinsichtlich der möglichen Eröffnung einer Front politischer Natur und dazu gedacht sind, der Ministerin in der ‚Panzerfrage‘ den Rücken zu stärken. Wenn er in der jetzigen Lage tatsächlich einen Angriff auf Europa a) für realistisch möglich und b) diesseits des Atomkriegs für irgendwie bedrohlich hält wäre das ein (weiterer) Grund für eine sofortige Ablösung. Mal ganz davon abgesehen, dass ich die Aussage, dass lediglich 60% der russischen Landstreitkräfte mit der Ukraine beschäftigt sind für schlicht falsch halte, jetzt noch weitere Fronten zu eröffnen und die westliche Welt direkt in den Krieg hineinzuziehen ist eine absurde Idee und ziemlich das dümmste was Russland im Moment tun könnte.
5. Selbst im russischen Propagandafernsehen dringt mitunter die Erkenntnis durch, dass eine Generalmobilmachung immense Schwierigkeiten mit sich bringt. Zum einen die Materialfrage, es ist 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion und sechs Monaten Krieg keineswegs gewiss, dass Russland noch über so viel Material verfügt, dass Reserveverbände im nennenswerten Umfang zeitnah adäquat ausstatten und versorgen könnte. Dann die wirtschaftlichen Implikationen. Die Reservisten müssen kommen ja nicht von irgendwo sondern aus der Wirtschaft. Eine Generalmobilmachung hätte erhebliche wirtschaftliche Implikationen um nicht zu sagen, wäre für die russische Wirtschaft wohl der Todesstoß. Womit man dann auch schon beim Hauptargument dagegen wäre - ich glaube nach wie vor nicht, dass das Regime Putin (und nicht nur Putin selbst) bereit ist das Risiko einzugehen die ethnischen Russen in Masse an die Front zu rufen. So schrill die mediale Propaganda zum Teil sein mag, im komfortablen Moskau und St. Petersburg schreit es sich leicht, aber es ist auch in Russland nicht mehr 1914 und die Bereitschaft für einen Opfergang ist insbesondere bei der Jugend sehr übersichtlich.
Insofern, sehr oberflächliche, sehr enttäuschende Einlassung des Herrn Generalinspekteurs. Leider aber auch sehr passend zur Politischen Grundhaltung und damit nicht überraschend.