Luftmobilität
#34
(30.12.2020, 00:17)Quintus Fabius schrieb: Es ist doch eigentlich egal wo die zusätzlichen Hubschrauber sind, ob in einer eigenen Brigade (erzeugt nur weiter überflüssige Führungsstrukturen, Stäbe, hochrangige Offiziere) oder direkt in den Verbänden verteilt (geringerer Wasserkopf) - die Zahl der Helis ändert sich dadurch ja nicht.

Es wäre egal, wo sie wären, wenn es einen unmittelbaren Austausch auch zwischen den einzelnen Verbänden gäben könnte. Natürlich wirkt es auf den ersten Blick so, als würde es nur darum gehen den nominellen Klarstand der kämpfenden Einheiten zu erhöhen, ohne dass sich dadurch eine substanzielle Veränderung der realen Kampfkraft ergibt. Es ist aber genau umgekehrt, es geht darum die Kampfkraft der Verbände auch bei Ausfällen möglichst lange auf einem möglichst hohen Niveau zu halten, was im Falle der Ausgliederung zu einem nominell höheren Klarstand führt. Natürlich ließe sich das theoretisch auch auf Verbandsebene durch entsprechende Ersatzmuster erzielen, das Problem dabei ist in der Praxis aber die Dimensionierung dieser Reserve. Denn die ist aufgrund der Vielzahl an zu berücksichtigenden Faktoren kaum vorhersehbar und damit, wie du selbst gesagt hast, tendenziell immer zu gering. Daran ändert natürlich auch die Milchmädchenrechnung nichts, weil sich an der Gesamtheit nichts ändert, aber der Kurvenverlauf verändert sich, weil die insgesamt vorhandenen Mittel besser verteilt werden können.

Das klingt nach einem geringen Vorteil in Anbetracht des Preises, nämlich dem von dir erwähnten (und auch von mir ja immer wieder kritisierten Wasserkopf). Das betrachtet aber nur, wie groß der Mehraufwand in der zusätzlichen Brigade wäre, nicht, wie groß der Aufwand durch die steigenden Reserven in den jeweiligen Verbänden ausfällt. Das Problem liegt nämlich nicht nur in der schwierigen Dimensionierung dieser Reserven, sondern auch in der stark schwankenden Verfügbarkeit aufgrund des hohen Anteils nichtperiodischer Ausfälle, so dass entsprechendes Personal und Technik auch ungenutzt in den Verbänden vorgehalten werden muss. Soll heißen, von wenigen Posten abgesehen ergibt sich der "Wasserkopf" nicht aus den doppelten Strukturen, sondern aus der Notwendigkeit zur Verwaltung und Pflege der Mehrausrüstung.

Jetzt kommt der kritische Punkt:
"Meiner rein persönlichen Meinung nach sollte es im Militärischen ein Primat der Effektivität vor der Effizienz geben."

Das hast du hier im Forum schon mehrfach gesagt, und ich werde das gleiche wie immer antworten: das klingt in der Theorie gut, ist aber in der Praxis meines Erachtens so nicht möglich. Effizienz bedeutet nichts anderes als Effektivität geteilt durch Kosten, und letztere sind in der Realität eine weitgehend feststehende Größe. Eine größtmögliche Effizienz bedeutet damit im bestehenden Kostenrahmen auch eine größtmögliche Effektivität. Und genau da liegt der Kern des Gedankens. Durch die Bündelung der Reserven (abgesehen von den für den normalen Tagesbetrieb notwendigen zusätzlichen Einheiten natürlich) ergeben sich wahlweise geringere Kosten oder ein größeres Volumen, letzteres bewirkt direkt eine Steigerung der Kampfkraft, ersteres kann dafür genutzt werden.

Zitat:Deine Rechnung ist also: 95 ist besser als 70. Dass lässt aber eben außer Acht, dass ich immer einen Verband mehr habe. Diese zusätzlichen 70 Einheiten können einen weiteren Auftrag übernehmen - oder sie können auch jeweils einen anderen Verband unterstützen (95 ist nicht besser als 140). Darüber hinaus kämpfen ja nicht alle Untereinheiten eines solchen Verbandes.

Wenn du die Einheiten eh für untereinander austauschbar hältst, spielt es gar keine Rolle, ob es nun drei oder vier Verbände sind. Mein Problem bei dieser Rechnerei ist allerdings ein anderes, denn die Zahlen sind nicht fix, sondern hochgradig variabel, nicht nur im Zuge der Einsätze, sondern dauerhaft. Diese Variabilität sorgt für eine geringere bzw. kompliziertere Planbarkeit der Einsätze, bis hin zu dem Punkt, an dem ein Einsatz nicht mehr möglich ist. Vielleicht sind es 70, 70, 70, 70, vielleicht aber auch 95, 80, 65 und 40? Dann beginnt die große Rotiererei, und jeder Verband wird begeistert seine einsatzbereiten Maschinen abgeben.

Ja, für mich geht es primär um eine Friedensverwaltung der Reserven, daraus mache ich keinen Hehl, aber für eine realistische Betrachtung ist das in meinen Augen notwendig, weil der Friedenszustand der Normalzustand ist. Und auch wenn du das nicht gerne hörst, wenn durch eine entsprechende Maßnahme im Frieden gespart werden kann ohne Nachteile bei der Kampfkraft zu erzeugen ist es das für mich Wert. Vielleicht kommen wir bei der Frage nicht auf einen Nenner, vielleicht definieren wir aber auch nur Effizienz anders. Für mich bedeutet das nämlich nicht per se einen Kompromiss aus Kampfkraft und Kosten, sondern nur eine realistische ökonomische Einordnung der Kampfkraft. Letztlich also genau das, was du mit Blick auf die schweren Transporthubschrauber immer wieder genannt hast: ist ihre Kampfkraft die Kosten wert oder nicht? Das ist ganz grundsätzlich eine Bewertung der Effizienz, nicht der Effektivität an sich.

Zitat:Untersuchungen bei Boden-Einheiten haben ergeben, dass bei Großkampfverbänden meist nur 1 oder 2 der Untereinheiten tatsächlich kämpften, also tatsächlich gleichzeitig eingesetzt waren. Nehmen wir an, die 100 Systeme teilen sich in 4 Untereinheiten auf. Dann sind bei dir wie bei mir 25 bis 50 Systeme gleichzeitig im Einsatz, während der Rest nichts zur Kampfkraft beiträgt.

Woran liegt das, und auf welche Einheiten (bzw. welche Einsätze) bezieht sich das? Für das fliegende und schwimmende Großgerät trifft dies ja nicht zu, daher wäre es für mich interessant die Hintergründe zu kennen, denn bei der Kooperation zwischen beidem wird dies ja relevant.

Zitat:Damit wird deine Lösung eines maximalen Klarstandes folglich nicht effizienter sein, den während bei mir (Annahme 2 Untereinheiten werden eingesetzt) nur 20 einsetzbare Maschinen zu viel sind, wären es bei dir 45 welche nicht zum Zug kommen würden.

Naja, und wenn bei mir im Einsatz alle Einheiten verloren gehen, steht trotzdem noch nahezu die gleiche Kampfkraft zur Verfügung, während es bei dir die halbe wäre. In meinen Augen bringt einer Rechnung so gar nichts, und wenn der geringe Bedarf tatsächlich ein Dauerzustand ist, wären die generellen Dimensionen zu hinterfragen.

Zitat:Das scheinbare Problem der Führung solcher umfangreicherer Verbände ist meiner Meinung nach vor allem eine Frage der Struktur der Führung und der militärischen Kultur.

Es geht mir dabei nicht um den Führungsaspekt, sondern um den individuellen Aufwand im Einsatz - für jeden einzelnen Piloten. Du hast vor Ort einen ungeregelten Luftraum dutzenden Luftfahrzeugen, einem je nach Einsatz mehr oder weniger hohem Bedrohungspotenzial und sollst dabei deine Mission erfüllen, neben dem Absetzen/Aufnahmen der Infanterie also auch der Kampf selbst. Auch ohne die Frage von Führung und Autonomie ist das problematisch.

Zitat:Umgekehrt erzeugt eine deutlich größere Zahl von Hubschraubern aber auch mehr Möglichkeiten.

Wie gesagt bis zu dem Punkt, an dem man sich selbst mangels Alternativen den Möglichkeiten beraubt. Wenn man erstmal oben ist stellt man fest, dass da gar nicht so viel Platz am Himmel existiert.

Zitat:So wie auch ein Schützenpanzer gegenüber einem Kampfpanzer eingeschränkter ist, dennoch bezweifelt niemand seinen Nutzen und seinen Beitrag zur Kampfkraft.

Naja, du bezweifelst den Sinn von leichten luftlandenden Panzern, insofern ist es nur eine Frage des Vergleichsmaßstabs. Für mich ergibt die Übertragung des Einsatzes eines Schützenpanzers auf bewaffnete Hubschrauber wenig Sinn, für die ist sie elementar für dein Konzept.

Zitat:Meiner Ansicht nach verbessern sie die Operationsfreiheit, da man in dem Fall dass die Einheiten mit einer Sache gebunden sind noch direkt eigene Reserven hat welche weitere Sachen übernehmen können.

Wir sprechen hier von unterschiedlichen Aspekten. Mit einem Hubschrauber am Himmel kannst du machen was du willst, ab zwei Hubschraubern musst du dich koordinieren, und das bedeutet immer auch Einschränkungen. Diese potenzieren sich hoch mit der Zahl der Hubschrauber, die im gleichen Luftraum agieren müssen. Das reduziert die Operationsfreiheit von jedem einzelnen.
Auf der Planungsebene, bei der Missionsgestaltung, usw. - da gebe ich dir recht, da werden die Möglichkeiten erhöht. Aber wie du mir zuvor schon klargemacht hast, mehr Optionen bedeuten nicht zwingend auch mehr Kampfkraft, wenn dadurch andere wichtige Aspekte hinten an stehen müssen. Man müsste daher schon genau untersuchen, welche Freiheiten überhaupt realistisch umsetzbar sind und wie groß der Vorteil überhaupt ist. Dass es sie gibt will ich gar nicht in Abrede stellen.

Zitat:Es ist ja nicht so, dass ich keine Kampfhubschrauber vorsehen würde. Im Gegenteil wären sie bei mir ja zwingend auch ein organischer Teil des Großkampfverbandes, also der Luftsturm-Brigade, während du sie ja explizit extern in selbstständigen Einheiten zusammen ziehen würdest.

Ja, weil die Einsatztaktiken von Kampfhubschraubern, bewaffneten Transporthubschraubern, Transporthubschraubern und Aufklärungshubschraubern sehr unterschiedlich ausfallen, wenn es um die maximale Effektivität geht. Das heißt nicht, dass dort nicht Kooperationspunkte bestehen, aber diese sind nicht grundsätzlich vorhanden. Deshalb ziehe ich ja auch bewaffnete Transporthubschrauber aus der Gleichung, für dich sind sie primär eine Erhöhung der Kampfkraft durch eine Erhöhung der Zahl an Waffenträgern, für mich reduzieren sie tendenziell eher (nicht immer allerdings) die Kampfkraft der Kampf- und Unterstützungshubschrauber. Letztere stellen für mich die Basis der Kooperation mit den Infanterieeinheiten dar.

Zitat:Das primäre Problem was ich dabei habe ist, dass gerade die Zusammenarbeit zwischen Helis und Infanterie entscheidend von der Vertrautheit beider Seiten miteinander abhängt und davon ob sie organisch zusammen gehören. (...) Gerade bei dir sehe ich aufgrund dieser Trennung Probleme mit der gegenseitigen Koordination, mit der Führung eines solchen Verbandes und vor alle mit der Frage der Geschwindigkeit aller Entscheidungs-, Handlungs- und Informationsgewinnungsprozesse.

Ich sehe einen großen Vorteil in der engen Kooperation zwischen der Infanterie am Boden und den Unterstützungs- und Aufklärungshubschraubern in der Luft, dort braucht es in meinen Augen eine enge Vertrautheit und kurze Wege auf der Entscheidungsebene, deswegen bilden diese den Kern in meiner Betrachtung. Für die Kampfhubschrauber gilt das nicht, weil ich diesen wie bereits angesprochen eine andere Rolle zuteile. Eher noch wäre zu überlegen, in wie weit Erdkampfflugzeuge eine Rolle spielen könnten.

Zitat:Erstaunlich dass jemand mit deiner profunden Kenntnis in diesem Bereich da noch überhaupt noch Hoffnungen hat. Das macht ja glattwegs mir wieder Hoffnung.

Naja, was bleibt uns, wenn wir die Hoffnung verlieren?

Im Falle des mittleren Tranporthubschraubers gehe ich aber fest davon aus, dass es diesen als europäisches Projekt geben wird. Allerdings dürfte er zumindest nicht deinen Vorstellungen entsprechen. Wink
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