Droht ein Polexit?
#1
Im Rahmen des EU-Haushaltsstreits wird jetzt in Polen vermehrt über einen Austritt aus der EU debattiert. Nach meinen persönlichen Schätzungen wären aktuell maximal 30% der Polen dafür zu begeistern, allerdings halte ich es für möglich dass der Wind sich da sehr schnell drehen könnte wenn die EU den polnisch/ungarischen Forderungen nicht nachgeben wird. Theoretisch würde eine einfache Mehrheit im Parlament ausreichen um aus der EU auszutreten. Eine Volksabstimmung wäre rechtlich gesehen nicht notwendig, was diese Option zumindest als weitere Drohung möglich erscheinen lässt. Interessant daran ist auch dass es aus bestimmten Teilen der Wirtschaft inzwischen große Sympathien für einen Polexit gibt, da es in Polen in einigen Bereichen inzwischen einen eklatanten Fachkräftemangel durch Abwanderung in die westlichen EU-Staaten gibt. Dieser Argument ist relativ neu. Ich habe dies bis vor einigen Monaten eigentlich noch nie bei Geschäftsreisen in Polen gehört, deshalb gehe ich davon aus dass dieses Problem bisher unter den Teppich gekehrt wurde da man anderweitig stark von der EU profitierte. Ich bin hier sehr gespannt wie es weitergeht.
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#2
Ich halte das für bloßes Theater, um in der derzeitigen Situation noch mehr für Polen herausschlagen zu können.

Was hätte Polen denn schon vom Polexit?

- Keinen Ärger um irgendwelche Rechtsstaatsquerelen - außer dass dann eventuell statt Verfahren in Brüssel gleich richtige Sanktionen verhängt würden
- Theoretisch etwas mehr Flexibilität in Wirtschaftsfragen (kommt auf die Post-Polexit-Verhandlungen an, siehe Brexit)
- Die Möglichkeit, bestimmte Erzkonservative Gesetzgebungen ohne den lästigen EUGH durchsetzten zu können
- Grenzschließungen, falls Deutschland mal wieder ein paar Millionen Migranten ins Schengengebiet lockt
- Keine Teilhabe an einer ausgebauten Umverteilungsunion (in der man derzeit der größte Profiteur ist, also von daher...)

Was würde Polen verlieren?
Eigentlich alles, was die Briten jetzt auch verlieren - und zusätzlich noch so etwa 12 Milliarden Euro jährlich aus EU-Transfers (zum Vergleich: Der Haushalt lag 2019 bei etwa 100 Milliarden)

Die Fachkräfteabwanderung würde in einem Wirtschaftlich nach dem Polexit am Boden liegenden Polen wohl eher noch zunehmen, zumal viele Polen eh im UK und nicht in der EU arbeiten.

Insgesamt: Wenn die Polen wirklich ernsthaft mit etwas drohen wollen, dann eher damit, dass sie in der Union bleiben und dort Sand ins Getriebe streuen wo es nur geht.
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#3
@Nelson: Sehe ich genauso.

Fast alle, die für Wertschöpfung sorgen, werden abhauen.
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#4
@Nelson und Mondgesicht, hier mal ein Artikel mit einer anderen Sichtweise. Ist zwar schon etwas älter aber trotzdem sehr interessant.
https://www.manager-magazin.de/politik/e...88230.html
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#5
Diese Entscheidung könnte schwerwiegende Folgen für die EU haben. Auch das rumänische Verfassungsgericht hat vor Kurzem ähnlich entschieden.

https://www.zeit.de/politik/ausland/2021...tenteilung
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#6
Eine notwendige Zuspitzung. Wir werden sehen was genau dabei herauskommt, Vorhersage schwierig, Regierungswechsel ist in Polen eine der Möglichkeiten. Ein Polexit halte ich für unwahrscheinlich, denn die polnische Bevölkerung würde zu erheblichen Teilen auf die Barrikaden gehen, und abgesehen davon wird die Regierung nicht auf Finanzhilfen und Freizügigkeit verzichten wollen und können.
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#7
(17.07.2021, 11:16)Ottone schrieb: Eine notwendige Zuspitzung. Wir werden sehen was genau dabei herauskommt, Vorhersage schwierig, Regierungswechsel ist in Polen eine der Möglichkeiten. Ein Polexit halte ich für unwahrscheinlich, denn die polnische Bevölkerung würde zu erheblichen Teilen auf die Barrikaden gehen, und abgesehen davon wird die Regierung nicht auf Finanzhilfen und Freizügigkeit verzichten wollen und können.

Die Frage dürfte aber auch sein über welche effektiven Sanktionsmöglichkeiten die EU verfügen könnte. Die polnische Regierung wird sicher nicht von selbst die EU verlassen. Andererseits glaube ich auch nicht dass sie in diesem Fall noch nachgeben werden, denn das wäre das Ende der PiS.
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#8
Druckmittel ist das Sperren von Geldern.
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#9
(17.07.2021, 23:30)Ottone schrieb: Druckmittel ist das Sperren von Geldern.

So einfach ist das juristisch gar nicht mal eben alle Gelder für Polen zu sperren. Hinzu kommt dass Polen dann immer die Möglichkeit hat von seinem Vetorecht gebrauch zu machen, so daß die EU zumindest teilweise lahmgelegt wäre.
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#10
Ich widerspreche nicht.
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#11
In Rumänien liegt ein ähnlicher Fall vor https://adz.ro/artikel/artikel/berufungs...-urteil-an
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#12
Zitat:Die EU-Kommission hat Polen aufgefordert, ein EuGH-Urteil zu seiner Justizreform bis Mitte August umzusetzen. Andernfalls würden finanzielle Sanktionen beantragt.

https://www.zeit.de/politik/ausland/2021...ter-justiz

Ich stelle es vorerst mal hier rein, auch wenn ja ein Polexit aktuell ja absolut unwahrscheinlich ist.
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#13
Ich denke auch, dass ein Polexit sehr unwahrscheinlich ist. Und sind wir doch mal ehrlich: Das ganze Gejammere, dass die EU sich wie die Sowjetunion verhalte (laut Orban), ist ein Jammern auf erbärmlich niederem Niveau. Man mag es erklären können oder wollen mit der Psyche der mittelosteuropäischen Staaten, mit ihren Traumata, die sie in der Vergangenheit erlitten haben, entweder von den Russen oder von den Deutschen, mit ihrem Gefühl einer föderalen Zweiklassengesellschaft etc., aber das legitimiert nicht die Unterwanderung grundlegender Verträge - also völkerrechtlich bindender bzw. supranationaler Abkommen -, zu denen man sich bekannt hat. Man wusste, was man unterzeichnet, und man wusste, dass es eben Bedingungen zu erfüllen und zu akzeptieren gilt, wenn man dem illustren Club EU beitreten will, und man wusste, dass man es will, d. h. man hat sich bewusst darauf eingelassen.

Hinterher in Selbstmitleid zu versinken und lamentierend herumzulungern im Dunstkreis einer diffusen Mischung aus rechtem Populismus, Minderheitenschelte, halbautokratischem Isolationismus und teils neoeurasistischem Politrassismus ist an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten. Und ehrlich gesagt auch nicht zu tolerieren. Wenn ich mich in eine Ehe begebe, dann weiß ich, worauf ich mich einlasse, und ich kann nicht hinterher schmollend in der Ecke hocken, nur weil ich eigentlich der Polygamie frönen wollte und man mir nun sagt, dass das leider nicht erlaubt ist.

Schneemann.
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#14
Ich denke nicht dass jeder Ungar der in der Volksabstimmung vor 18 Jahren für den EU-Beitritt gestimmt hat sich auch der gesamten Tragweite bewusst war. Auch war LQBT usw. vor 20 Jahren noch kein so großes Thema. Homoehe, Gender, mehr als 2 Geschlechter usw. war vermutlich auch kein Inhalt der EU-Beitrittsverträge.
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#15
Da es hier aber um die Unabhängigkeit der Justiz geht, glaube ich schon das dies vor 18 Jahren den Ungarn und Polen bewusst war, das die eine dauerhafte Voraussetzung für einen EU Beitritt ist.
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