Krieg im 21. Jahrhundert
#84
Helios:

Zitat:Ich weiß, es soll nur etwas demonstrieren, bloß braucht es das nicht. Dieser Punkt ist nicht Grund für unseren Dissens, es geht rein um die Gesamtquantitäten und die Aufstellung der Armee in der Gesamtheit.

Da hast du recht, aber in der Kürze eines Foreneintrages kann ich kaum eine solche ganzheitliche Betrachtung der Armee in ihrer Gesamtheit leisten. Und es ist eben nicht so, dass ich nur einen Typ von Truppen hinaus will und es nur diese gäbe. Selbst beim Heer wäre das nicht der Fall. Aus der Diskussion heraus ist hier vermutlich der falsche Eindruck entstanden, es würde dann nur noch eine Art defensive Hochwert-Guerilla geben, dem wäre aber keineswegs so. Es gäbe auch weiterhin dezidierte Panzerspäher, dezidierte Panzerjäger, Raketenartillerie und vieles weitere.

Zudem ist es das Problem, dass wir hier das zugrundeliegende Konzept de facto im luftfreien Raum ohne konkreten Bezug auf spezifischen Situationen und realen geographischen Räumen diskutiert haben, was viele Problemstellungen nach sich zieht. Ein Beispiel: wenn die geographische Ausgestaltung des Raumes es dem Gegner verunmöglicht mit Bodentruppen zu einem Luftwaffenstützpunkt vorzustoßen, beispielsweise weil diese durch ein nicht allzu breites Seegebiet abgetrennt ist und es daher keinen Landweg dorthin gibt, haben die Luftstreitkräfte von dort auch nicht die von dir hier als Problem benannten langen Strecken. Das ist nur EIN Beispiel - das könnte man so immer weiter fortführen. Die Loslösung von konkreten Szenarien führt auch zu vielen weiteren Fragestellungen, beispielsweise:

Zitat:Mein Gedanke ist eher, warum sollte der Gegner darauf eingehen? Mal abgesehen vom Hinweis meinerseits, dass ich nicht davon ausgehen würde, dass der Gegner sich in einem solchen Szenario hauptsächlich auf schwere mechanisierte Großverbände stützt,

Natürlich könnte der Gegner das skizzierte Netz leichter Kräfte auch mit eigenen leichten Kräften angehen, die Infanterie mit eigener Infanterie binden usw. Alles denkbar. Das alles führt aber zu einer immensen Bindung von Kräften welche der Gegner so überhaupt erst mal aufstellen muss und real (Russland) zurzeit nicht hat. Noch darüber hinaus, und dass ist das entscheidenste, kostet das Zeit. Das ganze Grundkonzept ist eines das auf Zeit spielt. Je länger der Gegner braucht, desto besser, desto weniger erreicht er bis die Sache entweder in einem Verhandlungsfrieden mündet oder real (Russland) nuklear eskaliert. Und selbst bei letztgenanntem Fall wäre es der Vorteil, dass die feindlichen Truppen nur wenig oder gar nicht innerhalb unserer Zivilbevölkerung stehen welche sie gegen nukleare Angriffe zumindest bedingt decken würde. Sie werden daher eher dann unseren Nuklearwaffen zum Opfer fallen.

Zitat:so besteht für ihn meines Erachtens auch keine Notwendigkeit, solche unmittelbar zur Durchdringung des Landes einzusetzen. Er kann ja aus seinem eigenen Raum und damit gesicherten Stellungen heraus auch mit Hochwerteinheiten operieren, was ich insbesondere auf die Flugabwehr beziehe, während wir das bewusst nicht machen, um keine Schwerpunkte anzubieten. ……… Erst wenn der Gegner über diesen gesicherten Wirkradius heraus aktiv werden muss würde sich die von dir skizzierte Gefährdung ergeben, bis dahin wären aber bereits einige Staaten an der Front gefallen (nicht notwendigerweise physisch erobert).

Wenn die angegriffenen Staaten nicht physisch besetzt werden, ist allein das schon die Hälfte der Miete, fehlt doch dann das Gebiet als Faustpfand.

Ein bloßer Schlagabtausch auf Distanz der zu erheblichen Zerstörungen führt wird zudem in jedem Fall stattfinden. Und er wird in jedem Fall gegenseitig sein, denn auch wenn der Feind defensive Schwerpunkte bildet, so werden dennoch die Schäden bei ihm ebenso erheblich sein. Es ist ja meine These, dass der große konventionelle Krieg heute gar nicht mehr lange dauern kann (in seiner heißen Phase), da die Gesellschaften in ihrer heutigen Verfaßheit im weitesten Sinne dies gar nicht leisten können. Sie sind ihrem funktionieren dazu zu abhängig von den Umständen.

Je länger aber der Krieg dauert, desto extremer wird die gegenseitige Zerstörung - unabhängig von der Frage der physischen Besetzung des Landes. Fehl diese als Faustpfand, so erhöht dies die Chance auf einen Verhandlungsfrieden. Noch darüber hinaus erhöht das Heer ohne Schwerpunkt die Chance länger durchzuhalten als der Gegner, wenn dieser an einer konventionellen Kampfweise mechanisierter Verbände festhält. Hat er jedoch andere Streitkräfte, senkt dies das Kriegsrisiko allgemein und erhöht erneut zwingend die Chance auf einen Verhandlungsfrieden, sollte es dennoch zum Krieg kommen.

Zitat:Das beraubt uns aber gleichzeitig der Möglichkeit, gegen feindliche defensive Schwerpunkte am Boden vorzugehen.

Das ist so nicht ganz richtig. Das ist eine Frage der Geschwindigkeit, der richtigen Nutzung der Räume geringer Truppendichte und der Vorgehensweise. Bis zu einer gewissen Tiefe wäre durchaus möglich gegen defensive Schwerpunkte des Gegners vorzugehen. Das war ja an sich einer der Ausgangspunkte für die von ObiBiber vorgeschlagene Streitmacht am Boden auf leichten MRAP Fahrzeugen. Es wird aber gar nicht notwendig sein gegen die meisten feindlichen defensiven Schwerpunkte am Boden vorzugehen. Die gleiche korrekte Logik welche du schon genannt hast, dass man diese auch anders zerstören oder ausreichend beeinträchtigen kann gilt auch umgekehrt.

Auch wir können diese Logik gegen den Feind zur Wirkung bringen und die Empfindlichkeit moderner vernetzter Gesellschaften gegen ernsthafte konventionelle Kriegsführung betrifft auch die gegnerische Gesellschaft (wenn dieser eine ernsthafte Großmacht darstellt). Solche Angriffe können zudem auch strategischer Art sein, sowohl am Boden wie auf anderem Wege und die entsprechende Zerstörung der zivilen Grundlagen des Gegenübers auch mit konventionellen Waffen ist heute leichter denn je. Deshalb ist es ja seit jeher meine Forderung, einen so starken Zivilschutz wie möglich aufzubauen.
Ich meine damit eine Luftraumüberwachung, die ist durch leichte Kräfte am Boden nicht in realistischen Größen leistbar (und technisch schwierig).

Zitat:Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist es ja im wesentlich eine hochwertige Form der Guerrilakriegsführung inklusive einer Art Jagdkampf mit vergleichsweise leistungsfähiger Technik,

Dann verstehst du mich da leider nicht richtig. Das wäre nur ein - wenn auch am Boden ein wesentlicher - Anteil. Richtig ist, dass dies nicht der Verzicht auf Hochtechnologie ist, sondern diese wird nur in anderen Systembereichen konzentriert, beispielsweise bei Infanteriewaffen (nur ein Beispiel). Der Jagdkampf kann im weiteren auch offensiv gedacht werden, vor allem im Verbund mit anderen Waffensystemen (beispielsweise der Luftwaffe) und ist eben nicht auf die reine Defensive beschränkt. Das geht eben stark in Richtung der schon in den 90er Jahren postulierten RMA Thesen welche eine solche Kampfweise (ultraleichte Infanterie, Sensorik, Artillerie, Heeresflieger/Drohnen, Luftwaffe) auch offensiv propagierten.

Zitat:Aber mal eine andere Frage, wie soll das Ganze eigentlich koordiniert werden? …….gleichzeitig soll das Netz auch der Aufklärung dienen und braucht diese ja auch selbst, es kann also keine allzu große Unabhängigkeit der einzelnen Zellen geben. Das stelle ich mir durchaus schwierig vor, insbesondere weil die bodengebundenen EloKa-Mittel ja aus Kostengründen auch nicht in der nötigen Quantität zur Verfügung stehen dürften.

Ich verwende ja immer ganz bewusst und betont den Begriff Netz hier. Entsprechend wäre auch die Kommunikationsstruktur nicht so hierarchisch, sondern deutlich horizontaler und netzartiger. In der Defensive gibt es zudem die Möglichkeit bereits im Vorab fest installierte Kommunikationsnetze vorzuhalten, welche gegen feindliche EloKa und andere Eingriffe weitgehend immun sind. Zudem bedarf es eines absoluten Primats militärischer Kommunikation in diesem Fall auch in den zivilen Netzen - insbesondere den Glasfaserleitungen entsprechender ziviler Infrastruktur.

Am wichtigsten aber wäre es, die Menge der transportierten Daten so weit wie möglich zu reduzieren.

Hier und heute ist das Gegenteil der Fall. Stichwort Unabhängigkeit der jeweiligen „Zellen“: diese muss so weitgehend wie möglich machbar sein, allein schon deshalb, damit diese völlig unabhängig davon ob sie koordiniert werden oder nicht weiter handeln und handeln können. Die Zellen bilden dabei auch Relais für das Netz an sich. Fallen hier welche aus, geht die Information eben andere Wege. Hier könnte man vom Internet und manchen seiner heutigen Wege einiges lernen. Stichwort Internet: im Krieg kann verdeckte Kommunikation auch über zivile Wege laufen, und ebenso kann zivile Berichterstattung für einen selbst benutzt werden.

Über Zivilschutz, Milizen und verdeckte Organisationen innerhalb des zivilen Elementes welche bereits im Vorab fertig installiert sind, einschließlich entsprechender Stay-Behind Elemente kann selbst dann noch eine gute Informationsgewinnung und Koordination gewährleistet werden, wenn konventionelle Wege bereits ausgeschöpft sind. Dazu bedürfte das Kommunikationsnetz vor allem auch einer nicht unerheblichen Redundanz, welche aber durch seine Netzwerkstruktur ohnehin befördert wird.

Insgesamt ein sehr schwieriger Punkt, den ich kaum in einem kurzen Forenbeitrag beantworten kann. In der Tiefe fehlen mir gerade hier auch die Fachkenntnisse, wie das technisch genau ausgestaltet werden könnte.
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