Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik
#7
Sehe ich absolut nicht so. Die realistische Denkweise in allen Ehren, aber sie hat ihre Grenzen.

Wieso sollte man sich zu einem Vergleich mit den USA hinreißen lassen? Zugegeben, die stets und ständig bei NATO-Gipfeln und ähnlichen Anlässen verkündigten gemeinsamen Agenden weltpolitischen Agierens lassen eine Einheit in den Zielvorstellungen und den Interessen als gegeben erscheinen. Laut der gängigen rhetorischen Floskeln mag sicher eine gewisse ähnliche wirtschaftliche und vorallem politische Interessenlage gegeben sein. Aber abseits aller politischer Rhetorik muss man mal deren Substanz sich genauer überlegen. Die politischen Ordnungskonzepte Europas und der USA divergieren nämlich sehr stark, genauso auch die schon historisch begründete Handlungsweise und selbst die Selbstrepräsentanz, die Selbstwahrnehmung divergiert sehr stark. Mögen die Floskeln als ungefähre Zielvorstellungen also recht gleich, so unterscheidet man sich doch in der Ziel-Mittel-Korrelation um Welten, nicht nur jetzt, sondern auch schon mit einem ausgeprägten historischen Prolog. Und dies hat entscheidende und strukturiende Folgen für das Militär. Nimmt man diese Punkte, halte ich einen echten Vergleich mit den USA auch schon politisch für nicht sehr sinnvoll. Realistische Denkweise (PS: damit ist nicht der Realismus als solcher, sondern die Denkschule in der Politik gemeint) hin oder her.
Europa muss man nun nicht überpointiert als Zivilmacht darstellen, als multilateraler Verhandler und Weltdiplomat, als die Soft Power Macht schlachthin und genauso wenig muss man die USA als strenger Imperator, als Hard Power Macht schlechthin und als Kriegsmacht darstellen. Das ist zu schwarz-weiß und geht an der politischen Realität vorbei. Aber in gewissem Umfang ist diese transatlantische Arbeitsteilung nunmal auch Realität. Europa interessiert sich eher für Verhandlungen,für wirtschaftliche Anreize dabei, die USA betonen eher die militärische Komponente. Die Tendenzen unterscheiden sich schon sehr. Und beides liegt tiefer verwurzelt in den beiden Akteuren.
Man schaue sich doch mal die politischen Zielvorstellungen genauer hin in Verbindung mit den Selbstwahrnehmungen: Die USA ist dabei als verkapptes Imperium doch sehr um seine weltweite Vorrangstellung bemüht, sieht sich als den Verbreiter von Demokratie, notfalls auch mit Gewalt. Europa setzt dagegen eher auf korporative Mechanismen, seiner eigenen inneren Gestalt entsprechend und sie nach außen durchaus reproduzierend. Europa will gar kein Imperium sein, will gar keine Diktatoren stützen, wenn es notwendig ist oder will sie mit großen Invasionen und viel Blut ablösen. Diese vergleichsweise amerik. Aggressivität fehlt im politischen Bewußtsein Europas, zumindest in dem Umfang wie in Amerika. Und so schnell wird sich daran auch nichts grundlegendes ändern. Schon im Kalten Krieg zogen die Westeuropäer es vor, sich auf ihre kontinental ausgerichtete Landesverteidigung gegen die Sowjets zu fokussieren. Auch damals verließ man sich weltpolitisch auf die USA. Diese Mentalität, dieses Wissen um die de facto Aufgabenteilung - sehe ich als recht prägend an. In Europa muss man nicht eine um 50% kleinere US-Army nachkonstruieren, weil Europa eben nicht in dieser Art und Weise Politik machen wollte. In gewisser Weise hat ja Kagan auch Recht, wenn er es auch überspitzt und so manche Sache übersieht. Aber Europa handelt und wird auf absehbare zeit nicht so interventionistisch handeln wie die USA. Dazu sind die Bevölkerungen auch zu pazifistisch etc. Außerdem: Europa ist und belibt nunmal nur eine Staatengruppe, kein Staat. Man siehe nur mal bitte auf die Anfangszeit der USA als loose Konföderation. Da sieht man, dass loose Gruppen gar nicht solch zusammenhängende Politik betreiben können.
Bedenkt man nun noch die Unterschiede im Budget, halte ich den Vergleich mit den USA für recht unwichtig.

Zum Thema China haben wir ja schon diskutiert. Meine Position bleibt die alte skeptische: Für mich spricht relativ wenig dafür, ohne eine gute Portion Skepsis, die Wachstumsraten (von Wirtschaft und Militär) der letzten 10 Jahre einfach so in die Zukunft zu verlängern, ohne mal die Rahmenbedingungen, wirtschaftlich, wie politisch zu bedenken. Man weiß eben nicht, wie die Rüstungen tatsächlich 2020 sein werden. Man muss halt vom heutigen Stand aus gehen. Ob das nun blauäugig ist, oder ob es blauäugig ist zu glauben, dass China immer so wachsen wird und immer wird so rüsten können, das lasse ich mal dahingestellt. Ich halte überdies beides kaum für baluäugig, sondern für zwei legitime Herangehensweise. China will sich als globale Nummer zwei etablieren, betätigt sich aber politisch eben nicht als der "responsible stakeholder", wie Rober Zoellick, der US-Vizeaußenminister, es von ihnen forderte im letzten Jahr. Da kann man schon eher mit der EU mal vergelichen, inwiefern denn diese neue Großmacht, dieser neue Hegemon denn militärisch udn politisch fähig ist zu handeln. Und wenn du diues tust, musst du nunmal einerseits die momentane Lage abschätzen udn die zukünftige. Aber bloß nur alte Trends weiterzuverlängern, wie gesagt, halte ich für zu kurz gefaßt. China wird weiter aufrüsten wollen. Das ist richtig. Nur muss man fragen, wie lange denn die chinesische Siebenmeilenstiefel denn halten werden und von welchem Niveau, von welchem eher niedrigen Niveau China jetzt sich weiterentwickelt. Wirtschaftlich muss China nicht ewig wachsen. Auch der Gigant Japan hatte irgendwann mal keine Puste mehr. Und ein Überüsten Chinas hat ja auch bekannte KOnsequenzen. Anderen - ist das auch nicht gut bekommen. Und auch die militärische Entwicklung Europas ist noch nicht völlig gewiss. Eine allmähliche stärkere Betonung des Militärischen, auch bei der Friedens- udn Zivilmacht Europa kann sich weiter verstärken. Ich sehe da absolut keine festen Trends wie du, die nicht in einigen Jahren schon länsgt Schnee von gestern sein können.
Auch sollte man in Europa nicht nur nach mehr geld schreien beim Militär, wie wärs mal mit mehr Effizienz? Wieso gibt es fast immer noch so viele hohe Offziere wie zu Zeiten des Kalten Krieges, fast so viele Generäle, obwohl die Truppenstärke so sehr runtergagangen ist? Man könnte das Geld ja auch effizienter verteilen...
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