Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik
#9
Ok, dann lassen wir mal den alten Turin´schen Realismus mit der Wach´schen Komplexitätslehre kollidieren Big Grin

Zitat:Das ist eine wenig haltbare These. Siehe Robert Kagan. So tief verwurzelt ist da gar nichts, und die alten Traditionen Europas sind in Teilen noch funktionstüchtig (Frankreich in Afrika) und werden Stück für Stück revitalisiert.
Haltbarer als den ideologisch motivierten kurzsichtigen Unsinn von Kagan? Mit Verlaub, Kagan ist Ideologe, sein Bias kann man auf 100 Meilen identifiziern und seine These - dass die Machtfülle eines Staates seine Politik und damit seine Wahrnehmung bestimmt - ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Vorallem, da diese These in Sachen Erklärung absolut defizitär war und ist. Wieso hat Europa aufgrund seiner schon lange bestehenden wirtschaftlichen Stärke denn nicht schon längst sich eine dieser Position entsprechende militärische Stärke zugelegt?? Kannst du das wirklich mit der These Kagans erklären? Europa ist nicht schwach udn hat die realistische Denkfähigkeit verlernt, wie du oder Kagan glaubst, Europa hat gelernt und neue Policywege beschritten, Wege für das 21. jahrhundert.
Alte Traditionen existieren sicher noch, nur sind sie in vielen Punkten einerseits überformt mit neueren Einsichten. Sonst wäre die europäische Einigung kaum möglich gewesen. Andererseits sind diese alten Denkweisen eher schwach. Auch dein Beispiel mit Frankreich ist da nicht stichfest: Frankreich Aktionen haben sich in den letzten 20 Jahren eher auf kleinere Engagements beschränkt. Wenn man mich mal richtig lesen würde, würde man doch erkennen, dass Europa im beschränktem Umfang immer noch auf solch alte imperialistische Militärabenteurer setzt. Aber man setzt von vornerein diese Abenteuer auf einem viel kleineren Niveau an. Und warum? Weil wir schwach sind, wie unser neokonservative Chefideologe Kagan behauptet? Dieselben Keokonservativen, die glaubten, dass man den Nahen Osten demokratisieren kann mit Waffengewalt?? :rofl:
Europa hat die Mittel um aktiv zu werden, wie du selbst sagst. Also sind wir doch gar nicht schwach, wie Kagan meint. Oder wie nun?
Ganz einfach, auch wenn du es nicht glauben willst: Die europäischen Gesellschaften haben eine ganz andere Vorstellungswelt, sind pazifistischer, linker, haben eine ganz andere Weltwahrnehmung wie die Amerikaner.
Es ist lachhaft, wenn du davon ausgehst, dass wir einfach zu alten Traditionen zurückkehren würden. Du hast ja auch die Selbstbeschränkung der Europäer im Kalten Krieg nicht weiter kommentiert gehabt: Aus den Lehren des Zweiten Weltkrieges hat das kooperative Staatensystem Westeuropas udn nun Gesamteuropas das Politikverständnis Europas in ipse, in sich selbst geändert und hat die Gesellschaften daher auch pazifistischer werden lassen. Es gibt bei uns keine 50% der Bevölkerung wie in den USA, die an das Sendungsbewußtsein der USA und ihren Präsidenten glauben und ihm auch (fast) beständig folgen würden. Europa ist anders. Europa ist gesellschaftlich gesehen in der großen Breite Postmoderne. Diese Aufgeklärtheit findest du in den USA nur an den Küsten wieder. Ansonsten ist die Einstellung der Amerikaner zu Gewalt und Krieg auch eine ganz andere. Sowas übersieht man in der Denke eines Turins oder eines Kagans nur zu schnell.

Natürlich ist das nicht in Stein gemeißelt. Gesellschaftliche lehren verblassen, ändern sich. Aber diese simple Vorstellung back to the roots, die du hier zeichnest, will ich vehement widersprechen. Einfach auch deshalb, weil simples realistisches oder auch neokonservatives Denkemn in einer überkomplexen vernetzten Welt nur dabenen gehen kann.

Zitat:Aufgrund von 50 Jahren relativer außenpolitischer Impotenz. Europa ist es gewesen, das diese Handlungsweise geprägt hat, Stichwort Kolonialismus. Und Imperium wollte man in den USA auch nie so recht sein, du übersiehst konsequent die Evolution und die jeweiligen Grundvorraussetzungen von 150 Jahren US-Außenpolitik. Klar, wenn man es so selektiv zusammenfassen will wie Rhetorikbolzen á la Chalmers Johnson, dann mag man diesen Eindruck vielleicht gewinnen.
Halte ich für wenig aussagekräftig. Wie erklärst du dir die außenpolitische Zurückhaltung Europas, seine selbst auferlegte (!!) Impotenz denn? Seö´lsbt in den Achtigern begannen die Europäer unter dem amerik. Schutz ihre militärischen Kapazitäten zu vernachlässigen. Mit Impotenz hat das wenig, an sich gar nichts zu tun. Es war die bewußte Entscheidung heraus aus de rpolitischen sozialdemokratischen Politikultur für rein defensive Ausrichtung ihres Militärs, für ein nur was unbedingt sein mus. Mit deinem Verständnis kann man das nämlich nicht erklären... Europa hat sich nunmal bewußt von seiner alten Handlungsweise distanziert. Wie gesagt, die EU wäre sonst nicht möglich gewesen! Und zum US-Imperium, über die widerstreitenden isolationistischen und expansionistischen Bestrebungen mußt du mir nichts erzählen. Ich schrieb ja auch vom verkappten Imperium. Nichts desto trotz, muss man die Ergebnisse der letzten 100 Jahre nunmal anerkennen. Das das kein europäischer Reinimperialismus war, darüber müssen wir nicht reden. Aber nun jedwege Aggresivität, jedwedes Sendungsbewußtsein, jedwege Expansion zu bestreiten, ist auch nicht gerade sehr sinnvoll. Die USA hat sich zu einem Imperium entwickelt, einem Imperium eigener Art, auch wenn es sich dessen nicht immer bewußt ist (dies sagt auch mein amerik.Prof.). Aber nichtsdestotrotz versucht die USA diese Position auch entsprechend zu halten. Man lese nach bei Mearsheimer...

Zu den Trends:

Bevor du alles verdrest: ich sage ganz einfach, dass man heutige Trends immer unter den entsprechenden Rahmenbedingungen sehen muss. Ohne die näher zu betrachten, kann man sie nicht einfach so in die Zukunft verlängern. Man muss da die Wahrscheinlichkeit ihres Anhaltens eruieren. Die chin. Wirtschaft kann sich durchaus auch mal überhitzen und die Möglichkeit weltweiter Krisen dürfte auch China sehr hart treffen können.
Gerade China. da gibt es diverse Momente, die China ins Schwimmen bringen können.

Zitat:Eine chinesische Überrüstung halte ich für gewagte Spekulationen angesichts der Transformation, die die PLA durchmacht. Wenn sie ihre alten Jets 1:1 (oder selbst 2:1) ersetzen würden, wenn sie ihre riesenhaften SSK oder MBT-Bestände in dem gleichen Verhältnis erneuern würden...ja dann würde ich eine Überrüstung anerkennen. Das ist bei der derzeitgen Planung absolut nicht der Fall. Das Fazit daraus lautet, dass sich China durchaus ökonomischer Zwänge bewusst ist, im übrigen mehr aus seinem Überschuß in die weitere ökonomische Modernisierung steckt (Stichwort Infrastruktur, Energiewirtschaft) und damit ein Totrüsten höchstens ein feuchter Traum kalter Krieger in Washington ist.
Tja, und wieso mlast du dann Chinas militärisches Potenzail beständig als so drohend und so groß aus?? Eigene politische Vorstellung bzw. Legitimation, um beständig mehr geld zu fordern für die eigene Armee?

Zitat:Wäre mir neu, dass sich Japan überrüstet, aber du weißt da offenbar mehr?! Der japanische Haushalt ist m.E. zwar beträchtlich und etwas mehr als das, was ich für die europäischen Staaten, bes. Deutschland für erstrebenswert halte, aber insgesamt doch mehr im Einklang mit der weltoplitischen Realität als das, was wir tun.
Hier ging es allein um Japan als Wirtschaftsgiganten.

Zitat:Auch hier verweise ich auf die Indikatoren. Und die sprechen eine deutliche Sprache. Europa entwickelt sich qualitativ schleppend weiter, tut nichts für die quantitative Rüstung und wenn man sich den deutschen Haushalt ansieht, dann ist gar keine Steigerung zu erkennen, eher das Gegenteil. Dass der Haushalt bis 2009 zb. um eine Milliarde wächst, ist bedeutungslos, denn das wird durch Mehrkosten (Inflation, Lohnsteigerung) aufgefressen. Nach aktuellen (!) Trends gemessen ist Europa weiter ein kranker Mann. Klar, wenn die Russen wieder einmarschieren wollen, ändert sich das sicher, aber solche einschneidenden Ereignisse sind, wenn auch nicht gänzlich auszuschließen, so doch unwahrscheinlich und daher bewegen wir uns beim Einschluß solcher Schlüsselereignisse wieder gänzlich im Bereich der Kristallglasleserei, wogegen die Beachtung von gegenwärtigen Entwicklungen wiederum vorzuziehen ist.
Na und??
Wozu - bitte mal ganz ehrlich - wilst du eine große quantitative Rüstung haben? Wir waren quantitativ doch erst so stark, was auch nicht sonderlich viel heißen will. Und bei unserer sich mehr udn mehr herauskristallisierenden weltpolitischen Aktionsrahmen, wüßte ich gerne, wieso wir überhaupt da so eine quantitaive Rüstungsstegerung haben sollten? Willst du den Nahen Osten besetzen können?

Zitat:Sorry, aber das ist m.E. genau der naive oder politisch motivierte Blick von Friedenspolitikern, die die BW schon die letzten fünfzehn Jahre kaputtgespart haben.
Wenn du mir überzeugende Zahlen präsentieren kannst, wie man dadurch entscheidend (!!) Kosten einsparen kannst, wäre ich bereit, das zu akzeptieren. Allerdings sehe ich die dadurch entstehenden Einsparungen als absolut marginal an. Davon kann man vielleicht zehn Dingos mehr kaufen, damit hat sichs aber auch. Im übrigen hat die BW, wie ich mich erst letztens habe informieren lassen, kein unwesentlich schlechteres Verhältnis von Offiziers-Planstellen zu Truppenstärke als etwa die USA, die trotzdem Kapazitäten aufbringen, die einen galaktischen Maßstab größer sind. Und woran liegt das? Es lässt sich kaum bestreiten, dass die Rufe nach mehr Geld für die BW absolut berechtigt sind, wenn man sich ansieht, wo wir ausgabenmäßig derzeit herumkrebsen...und das als ein Staat, der 1. immer noch drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt ist und 2. als extrem importabh. Staat ein sehr dringendes Interesse an der Sicherung seiner Zufuhrwege für Ressourcen haben muss.
Naja, man kann sich sicher darüber streiten, was nun naiv ist: Zu glauben, dass man Ressourcenquellen direkt militärisch absichern kann, wie auch deren Zufahrtswege. Oder dassman viel eher versucht präventiv auch politisch zu agieren...
Erstens wäre der Abbau der Generalsstellen eine gute Symbolik, mit der man auch der Bevölkerung mehr Geld besser verkaufen kann. Andererseits könnte und müßte man auf europäischer Ebene stärker bündeln, auf diese Weise nämlich könnte man die Effgizienz weiter stärken. Sehr viel weiter stärken. Denn - man muss es ganz nüchtern betrachten - sehr viel Geld wird es kaum für das Militär in Zukunft geben. Da sind die politischen Zwänge bei uns nunmal andere, aufgrund unserer politischen Kulturen. Die USa oder Ostasien/Südostasien mögen ja gravierende soziale Schieflagen einigermaßen lange wegstecken können bis sie implodieren, aber bei uns geht das nicht ewig gut. Und die Stabilität unserer Gesellschaften ist wohl etwas wichtiger als die feuchten Träume der genräle. es wird sicher in Zukunft mehr geld geben, aber eher marginal.

Und eins mal ganz ehrlich: Wenn es soweit kommt, dass man Zufuhrwege für Ressourcen militärisch gesichert werden müssen, wenn Ressourcenquellen militärisch abgesichert werden müssen in Form von Protektoraten usw. Kriege um Ressourcen mehr und mehr zur Realität werden, Völkerrecht gar nicht mehr zählt, dann wird unsere Wirtschaft eh sehr sehr schnell ins Truddeln kommen und der Strudel ins Nichts immer größer werden. Mehr Konflikte, mehr Kriege, sowas hat dann Multiplikatoreffekte und die ganze internationale Ordnung kracht zusammen. Denn diese Probleme lassen sich allein mit Gewalt nicht lösen, mit Macht. Das endet nur in einer sukzessiven Selbstvernichtung und da braucht man irgendwann die Ressourcen nur noch für den Krieg...
Militär ist gut und wichtig, aber alles wird man damit nicht lösen können, schon gar nicht anhand von kurzfristigen Kosten-Nutzen-Kalkulationen...
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