Wie sich Deutschland von Frankreich entfernt
#19
Ich behaupte nicht, dass kommerzielle Ausrichtung und Kampfkraft im Widerspruch zueinander stehen. Mir geht es nur darum, dass eine Ausrichtung der Rüstungsindustrie auf kommerzielle Exportinteressen dann, wenn dadurch die originären europäischen Interessen in den Hintergrund rücken, nicht erfolgen darf. Das setzt meines Erachtens zwei Dinge voraus, zum einen braucht es auf dieser europäischen Ebene einen Heimatmarkt, der stark genug ist um eine wirtschaftliche Produktion zu garantieren, auf der anderen Seite das politische Bekenntnis zu einer Rüstungsindustrie als Staatsdiener, die nicht als unabhängiger Wirtschaftszweig mit vorwiegend kapitalistischen Interessen agiert.

Um ersteres zu erzielen braucht es ein grundlegendes gemeinsames Streitkräftekonzept und den Verzicht auf willkürliche Individualanforderungen, so dass eine tatsächliche multinationale Kooperation auf europäischer Ebene möglich wird. Da ich eine völlige Aufgabe nationaler wirtschaftlicher Interessen nicht für wahrscheinlich halte, könnte man hier insbesondere in der Anfangsphase ein ausgleichendes Moment durch eine übergeordnete Koordinationsstelle integrieren.
Zweiteres erfordert eine zum Teil massive Reformation nationaler Politiken, kann dann aber durchaus auch wirtschaftsverträglich auf ersteres Folgen, weil durch eine viel klarere Verständigung, einer größeren industriellen Freiheit und höhere Stückzahlen eine stärkere Leistungsorientierung für die Unternehmen und damit letztlich auch für die Nationalstaaten sinnvoll ist.

Dies ist in meinen Augen der wesentlich bessere Weg als eine Lockerung von Exportvorgaben für Rüstungsgüter. Trotzdem würde er insbesondere auch von deutscher Seite aus sehr große Opfer bedeuten. Denn neben dem Verzicht auf die Fokussierung der nationalen Wirtschaftsinteressen müssten nicht nur das Beschaffungswesen sowie das Anspruchsdenken der Bundeswehr, sondern auch die Gesetzgebung hinsichtlich der Anwendung ziviler Vorschriften für militärische Systeme radikal reformiert werden.

Darüber hinaus stimme ich dir hinsichtlich deiner Vision der deutsch-französischen Zusammenarbeit als Kern einer europäischen Idee durchaus zu, ich selbst vertrete diese Ansicht hier schon seit Jahr und Tag. Es darf aber keine elitäre Beziehung sein, vielmehr muss sich auf Augenhöhe mit den anderen europäischen Nationen stattfinden und entsprechende Partnerschaften ermöglichen. Diese mit Verweis auf das Prinzip der "zu vielen Köche" abzuweisen, und dafür lieber in einer trüben deutsch-französisches Süppchen zu rühren, die am Ende niemandem in Europa schmeckt ist schlicht nicht zielführend.
Gerade das MGCS habe ich als Beispiel gewählt, weil es insbesondere ein doch sehr deutlich mit Europa fremdelndes Polen militärisch näher hätte heranführen können, wenn man auf allen Seiten etwas mehr Offenheit für die gemeinsamen sicherheitspolitischen Interessen gezeigt hätte. So ist es eine vergebene Chance, sowohl hinsichtlich der Integrierbarkeit, als auch mit Blick auf den Absatzmarkt. Und wenn man nicht aufpasst, werden weitere Länder folgen (wie dies auch schon in anderen Bereichen passiert ist).
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RE: Wie sich Deutschland von Frankreich entfernt - von Helios - 05.09.2022, 17:54

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