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Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Druckversion

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RE: Russland vs. Ukraine - Camarilla - 29.10.2022

(28.10.2022, 08:16)Schneemann schrieb: @Schneemann
1.) Die italienische Armee war faktisch innerlich stark zerrüttet, einerseits von den schweren Verlusten der vorausgegangenen Schlachten, andererseits auch hinsichtlich des Vertrauens in die eigene Führung. Faktisch gab es dieses Vertrauen kaum mehr, da der von Standesdünkeln geprägte Führungsstil Luigi Cadornas nicht nur von technisch-taktischem Unverständnis - da war er allerdings zu der Zeit nicht alleine - strotzte, sondern auch von unsinnigen Anordnungen (z. B. Verbot von Fronttheatern zur Aufmunterung der Truppe, da dies "die Moral untergraben könnte" - es war genau das Gegenteil der Fall), Grausamkeit (hohe Quote an Hinrichtungen von vermeintlichen "Feiglingen") und Überheblichkeit gezeichnet war (er lehnte z. B. direkte Ordensvergaben an normale Soldaten ab).

2.) Hinzu kam, dass auf diese innerlich desolate Armee (die reine Versorgungslage war bei den Italienern sogar gar nicht mal schlecht) nicht nur eine erfahrene und taktisch gut geführte deutsche Armee traf, sondern dass diese ihren Angriff mit einem starken Gasangriff einleitete (sog. "Buntschießen"), der die Italiener völlig überforderte und ganze Verteidigungssysteme ausschaltete. Der (auch moralische) Kollaps war hier nur eine Frage der Zeit - und die Auftragstaktik hat letztlich somit nur dem ganzen die Krone aufgesetzt, sie dürfte aber nicht entscheidend gewesen sein.
[…]
Jetzt überlege ich, wie ich die Kurve zur Ukraine kriege?

Jetzt hat der Quintus Fabius gerade erst vieles in den anderen Thread verschoben, aber deine Reaktion steht noch hier. Tongue Insofern sollten diese beiden Post (deiner und meine Antwort darauf) dann wohl folgerichtig auch noch dorthin verlegt werden. Big Grin

Mein Post liest sich hoffentlich nicht so, dass ich gemeint hätte, dass die Auftragstaktik oder gar speziell das Handeln des jungen Rommel hier den Ausschlag bei den Geschehnissen entlang der Soça Richtung Cividale gegeben haben. Darum ging es mir wirklich nicht. Die von Dir angeführten Punkte 1. und teilweise 2. sehe ich selbstredend auch absolut genauso.
Hinzu kommen noch mindestens drei weitere Punkte, deren herausragende Bedeutung ich erst diesen Sommer in der Gänze verinnerlicht habe, als ich eine kleine Gruppe von Interessierten durch den Frontabschnitte bei Tolmin, auf der Angriffsroute des Württembergischen Gebirgsbataillons, speziell der Grruppe Rommel, geführt habe. Es ist das eine, bestimmte Geschehnisse in der Literatur bzw. den Quellen zu studieren, aber vor Ort die Höhenmeter dieser Soldaten nachempfunden und zumindest teilweise abgeschritten zu haben und dann auch noch einmal das Gelände mit eigenen Augen zu erfahren und verschiedene Aspekte nachzuvollziehen zu versuchen, ist dann doch immer wieder eine sprichwörtlich Augen öffnende Angelegenheit.

1. Grundsätzlich hatte nicht nur Cadorna angenommen, dass es unmöglich wäre in dem Bereich zwischen (grob) Gorizia und Boveç anzugreifen. Die eigene (italienische) Stellung und Kampfkraft wurde schlicht überschätzt und für den Gegenpart entsprechend unterschätzt - hier eine gewisse Parallele zur Invasion der russischen Armee (wenngleich genau andersherum, hier der Angreifer diesem Trugschluss unterlag). Das eigene Selbstbildnis und die Wahrnehmung des Gegners standen ihnen hier schlicht im Wege (nicht nur Oberst Reisner spielt immer mal wieder auf das Hybrisproblem der russischen Armee an).

Viel bedeutender dürften allerdings noch die beiden folgenden Punkte gewesen sein:

2. Das Gelände der Isonzofront, mit der hinzu kommenden typischen Vegetation vor Ort, ist mal so beschaffen, das es den Verteidiger und mal wiederum den Angreifer bevorteilt. Das Ganze nun auch noch in Abhängigkeit von den aktuellen Witterungsbedingungen.
Das Wetter war an den ersten und entscheidenden Tagen (auch schon vor dem Beginn der Schlacht) absolut vorteilhaft für die Angreifer. Zuerst verbarg es ihre Bewegungen beim Aufmarsch und erst als die „Stoßtruppen“ sozusagen buchstäblich bereits in die Stellungen einsickerten, wurden sie oft erst wahrgenommen (z.B. beim Aufstieg über den Hlevnik und der Eroberung von Na Gradu). Gerade in den Bergen, wo an manchen Stellen wenige Kämpfer reichen, war das schlicht katastrophal in den Folgen für die Italiener und so konnte die Soldaten des Alpenkorps, hier speziell die Gruppe Rommel, vom Hlevnik kommend den Kolovrat einen Gegner in extremer Überzahl regelrecht aufrollen, ohne dass dies den Italienern überhaupt klar wurde. Die verschiedene Quellen bieten hier reichlich Beispiele. Hier kann man aber auch sehr gut den Nutzen der in Auftragstaktik agierenden Truppe erkennen.

3. Wurden bis buchstäblich unmittelbar in den Angriff der deutschen und österr.-ungar. Truppen hinein noch Truppenverlegungen an selbst vorderster Front vollzogen. Mit anderen Worten: die Italiener tapsten an vielen Stellen vollkommen im „Dunkeln“, während die Angreifer sehr genau wussten, wo sie jeweils waren. Die Italiener kannten oft die eigenen, von anderen Einheiten zuvor angelegten und ausgebauten, und dann wieder geräumten Stellungen nicht bzw. kamen nicht mehr pünktlich dort hinein, z.B. bei Livek (nach dem Abstieg vom Kolovrat Richtung Monte Matajur) beschreibt Rommel genau dies.
Das was da im Vorfeld der Schlacht in der Führung des Commando Supremo (Cadorna), speziell dann wiederum der 2. italienischen Armee (Capello) und der untergeordneten Korps- / Divisionskommandeure alles schief gelaufen war, lässt einem regelrecht die Haare zu Berge stehen. Erst im letzten Moment schien den Verantwortlichen (allen voran Cadorna) klar geworden zu sein, was für ein Ausmaß der bevorstehende Angriff dort anzunehmen drohte. Es wurden genau in den Aufmarsch hinein Einheiten genau in dieser Phase noch umgruppiert und anderen Korps bzw. Abschnitten zugeteilt und so gab es in der Folge zu Beginn der Schlacht sogar Fälle, wo italienische Kommandeure auf einmal vollkommen ohne Truppen dastanden, da diese längst anderswo zugeteilt worden waren.

Kurzum, ein ziemliches Kommunikationschaos herrschte - auch hier wiederum tun sich durchaus Parallelen zu dem auf, was man in den ersten Monaten dieses Jahres von russischer Seite mitbekommen hat. Natürlich ist dies immer alles mit Vorsicht zu genießen und muss auch wieder entsprechend relativiert werden (es war eine ganz andere Zeit, ganz andere Technologien standen zur Verfügung, unterschiedliche geographische Rahmenbedingungen - allein die Topographie war eine völlig andere - und es war Ende Oktober usw. usf.).
Was aber am Ende bleibt ist, dass einige fähige junge Offiziere (z.B. Schörner und Rommel als die wohl bekanntesten in diesem Falle, aber eben nicht die einzigen) in der Lage waren ganz entscheidend im Sinne der Auftragstaktik zu handeln und die sich ändernden Gegebenheiten sofort für entscheidende Durchbrüche auszunutzen - nicht zuletzt weil ihre unmittelbaren Vorgesetzten (das Paradebeispiel schlechthin dürfte hier wohl Major Sprösser sein) erkannt hatten, dass diese jungen Offiziere eine „lange Leine“ zu nutzen wussten, sprich das Vertrauen und das Wissen um ihre Fähigkeiten war da.
Und um jetzt auch tatsächlich wieder „die Kurve“ zur aktuellen Situation „zu kriegen“ Big Grin - es war schon beeindruckend mitzuverfolgen, wie die hochmobilen Ukrainer bei ihren Erfolgen im September in der Gegenoffensive um Charkiv (Richtung Lyman) genau diese Doktrin berücksichtigten und extrem flexibel ihre Stoßrichtungen änderten und damit analog der Gruppe Rommel ein heftiges Chaos im Rücken des Gegners anrichteten (auch die betroffenen italienischen Einheiten wähnten sich ebenfalls längst umzingelt). Auch wenn dieser Vergleich am Ende natürlich wieder - wie so oft - hinkt, da es immer noch andere zu berücksichtigende Aspekte gibt. Das ist mir vollkommen bewusst - ich weiß, dass ich eigentlich nichts weiß. Wink

Achso, die ursprünglich vor allem von italienischer Seite im Nachgang betonte angeblich extrem entscheidende Wirkung der eingesetzten Kampfgase gilt mittlerweile eigentlich als ganz gut widerlegt. Hierzu verweise ich u.a. auf die unbedingt beachtenswerte Arbeit von Torkar (wenn man so will ein slowenisches Gegenstück zum Österreicher Reisner) und Kuhar („Die letzte Schlacht am Isonzo 1917“) aus dem Jahr 2020. Ja, es gab bei Boveç (Flitscher Becken) ein ganzes betroffenes Bataillon, aber just im Norden der Isonzofront kam der Angriff lange nicht so gut voran und z.B. die Edelweißdivision der Österreicher hatte mit wirklichem Hochgebirge und dabei auch noch heftigem Schnellfall zu kämpfen. Gerade im Flitscher Becken, wo der Einsatz des Gases massiv erfolgte, entschied sich die Schlacht aber eher nicht (es wurden natürlich wesentliche Kräfte und Aufmerksamkeit gebunden) und die Österreicher taten sich gegen klug und geschickt verteidigende Italiener in den Höhen bei vorteilhaftem Gelände (den hohen Neuschnee nicht zu vergessen) deutlich schwerer.

Die Italiener waren im übrigen selbst in der Anwendung von Gas am Isonzo ordentlich erprobt. Der Einsatz von Gas auf beiden Seiten der Isonzofront war also nichts neues. Hinterher bemüht man dann gerne mal das böse Feindbild, um über die eigenen Schwächen und Versäumnisse hinwegzutäuschen. Dort wo die wirklich entscheidenden Vorstöße (von Tolmin aus in Richtung Matajur und Caporetto, dann weiter zum Montemaggiore) erfolgten, drangen die Stoßtruppen praktisch unmittelbar nach der letzten Salve bereits in die Gräben der ersten Verteidigungslinie ein - und dabei handelte es sich eben nicht um Gasgranaten. Ja, es gab Gaseinsatz, aber dieser war definitiv nicht so heftig und entscheidend wie u.a. von Cadorna nach dem Krieg angeführt. Der Mann hatte seinen Ruf zu verteidigen.

Andererseits sollte und kann diese historische Schlacht auch noch als Warnung dienen. Diese Schlacht gilt nicht umsonst als herausragend vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs. Und um ein Haar wären die Italiener als kriegsführende Macht ausgeschieden - und wer weiß schon, wo dies noch hätte hinführen können, aber da ist alles hätte, wenn und aber - am Ende standen sie wiedererstarkt vor den nunmehr völlig überdehnten, demoralisierten und unterlegenen Österreichern und dieses Mal kollabierte die Front komplett. Es gab kein Halten mehr. Wie Oberst Reisner dies so schön formuliert hat, „Geschichte verläuft nicht linear“. Wir dürfen gespannt sein, welch unerwartete Wendungen das Geschehen noch nehmen wird.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 29.10.2022

Pogu hat die praktische Realität hier meiner Meinung nach am besten beschrieben:

Zitat:Was man vom Ukraine-Konflikt weiß, und da passt das letzte Verb schon nicht, dürfte die strategische Lenkung durch dichte Vorgaben geschehen, die operative Führung durch Befehlstaktik und das bloße Überleben der Ratlosen ganz unten und ganz vorne durch Auftragstaktik. Womöglich auf beiden Seiten, unterschiedlich gewichtet.

So verhält es sich in jedem Krieg, alles kommt parallel nebeneinander und gleichzeitig vor, in jeweils unterschiedlicher Gewichtung, aber nichts desto trotz nie so wie es in der Theorie als Ideal angedacht wird.

Und meine These dazu ist noch, dass man die Frage was für eine Art von Führungskultur man pflegt nicht überbewerten darf. Denn das ist nur EIN Faktor von vielen. Beispielsweise:

Schneemann:

Zitat:D. h. bei der Gegenüberstellung haben die deutschen Panzer in Nordafrika in etwa ein Abschussverhältnis von 2,5:1 zum Gegner, wobei ein erheblicher Teil der Panzer auch nicht im direkten Duell mit gegnerischen Panzern verloren ging, sondern von Pak oder Flak abgeschossen wurde. Im Sommer 1942 z. B. erlitten die Deutschen die meisten Panzerverluste nicht durch Crusader-, Lee-, Matilda-Tanks und Co., sondern durch Minen und die neuen 6-Pfünder-Pak (57 mm).

Und umgekehrt verloren auch die Briten die meisten Panzer durch Minen, und insbesondere durch deutsche 8,8cm. Es war nicht die deutsche Auftragstaktik welche hier hohe Verluste bei den Briten erzeugte, sondern die überlegene deutsche Feuerkraft (eines der definierenden Merkmale des Abnutzungskrieges), welche in Form der 8,8 die britischen Panzer auf große Distanz zerstörte, noch bevor diese selbst überhaupt so weit heran gekommen wären, dass sie ihre eigenen Waffen hätten einsetzen können.

Die Panzerverluste resultieren also bei beiden Seiten nichtprimär aus der Auftragstaktik oder der Befehlstaktik; nicht aus der Frage der Führungskultur, sondern sind schlicht und einfach technischen Umständen geschuldet.

Im übrigens finde ich es befremdlich die Italiener einfach heraus zu rechnen, als ob sie nicht da gewesen wären. Es ist ziemilch verfälschend, einfach nur Deutsche vs alle Alliierten zu rechnen, als ob dem so gewesen wäre. Die ganze Rechnerei (der ich selbst aber gar nicht diese Bedeutung zumesse) zeigt jedoch schön auf, wie Personen ala Crefeld auf entsprechende Zahlenverhältnisse kommen.

Stichwort Verluste:

es ist einfach rechnerisch falsch beim Sieger die Verwundeten als dauerhaften Ausfall zu rechnen, denn dass sind sie nicht. Ganz allgemein rechne ich daher lieber ohne Verwundete, dafür aber mit Gefangenen. Denn Gefangene fallen beim Verlierer ebenso dauerhaft aus, wie Tote. Während umgekehrt Verwundete beim Sieger keineswegs dauerhaft ausfallen.

Es ist völlig gleich ob ein deutscher Soldat nun Tot ist oder Gefangen ist, auch als Gefangener fiel er dauerhaft aus.

Stichwort Panzer von zweifelhaften Kampfwert:

Auch die Briten hatten Panzermodelle, die einfach nur schlecht bzw. unterlegen waren und ebenso waren auch die deutschen Panzer in keinster Weise querschnittlich so überlegen wie das oft wahrgenommen wird. Aber auch in diesem Aspekt zeigt sich ein Primat der Technik vor irgendwelcher Führungskultur. Die Italiener hätten aufgrund ihrer Ausrüstung, Logistik und der sehr schlechten Qualität ihrer Panzer und der schlechten Moral ihrer Truppen auch mit einer idealen Maßstäben entsprechenden Auftragstaktik in keinster Weise groß etwas reißen können.

Man darf eben die Frage der Führungskultur nicht als alleinigen Faktor so übergewichten!

Rudi:

Zitat:Gefangene zu zählen macht m.E. wenig Sinn.

Es macht absolut Sinn, weil diese Soldaten für die Kriegsführung im Gegensatz zu Verwundeten dauerhaft ausfallen, während viele der Verwundeten wieder in den Kampf geschickt werden können. Es macht daher mehr Sinn Gefangene zu zählen als Verwundete. Aber bei fast allen Rechnungen zählt man Verwundete zu den Verlusten (welche immer aus KIA, MIA und WIA zusammen gesetzt werden), rechnet aber die absolut wesentlichen Zahlen der Gefangenen nicht mit. DAS macht keinen Sinn, weil es völlig das Bild verstellt.

Verwundete und Kranke auf Seiten des jeweiligen regionalen Sieger können zu großen Anteilen wieder einsatzfähig gemacht werden. Gefangene der Verliererseite sind praktisch gleich Toten oder im weiteren kampfunfähig verstümmelten.

Zitat:Der durchschnittliche Kampfwert der deutschen Truppen liegt etwa 23 Prozent höher als der alliierten Truppen.

Es spielt gar keine Rolle ob er 10% höher war oder 30% höher. Die Frage ist, warum er höher war. Und da ist das heute teilweise zur Worthülse verkommene "Auftragstaktik! als Antwort nicht nur unzureichend, ist es ist meiner Meinung nach in etlichen Fällen sogar grob falsch.

Ich bin ja gar nicht dagegen, dass die Auftragstaktik für die Deutschen oft ein Vorteil war, oder das deutsche Truppen querschnittlich oft überlegen waren, darum geht es mir gar nicht! Worum es mir geht ist, dass diese Überlegenheit aus einer ganzen Reihe von Faktoren heraus resultiert, aus einem ganzen Faktorenbündel. Und dass die Frage der Führungskultur nur einer dieser Faktoren ist.

Zitat:Danach war die WH den Westallierten auch in der Endphase trotz der materiellen Überlegenheit immer noch qualitativ überlegen.

Nein war sie nicht. Weil die erdrückende Luftüberlegenheit der Westalliierten, ihre Überlegenheit was die Artillerie angeht und ihre immense Überlegenheit was die Logistik angeht jedweden kämpferischen Vorteil auf der bloßen taktischen Ebene mehr als zunichte machten.

Meiner Meinung nach ist ein typisches Problem hier, dass man zu sehr auf die bloße taktische Ebene blickt, zu sehr nur auf den Kampf selbst (der nur ein Teil des Kriegsgeschehens ist) und zu sehr auf die Frage ob auf der untersten taktischen Ebene irgend ein deutscher Panzerzug äußerst geschickt viel mehr westalliierte Panzer abschoss als diese umgekehrt deutsche Panzer. Das ist im Gesamtgeschehen zum einen gar nicht so relevant, und ist zum anderen eben eine problematische Sichtweise, weil es den Blick darauf verstellt, was über die bloße Frage der materiellen Ausstattung hinaus bei den Deutschen alles schlecht lief.

Das Narrativ, welches hier ja auch einige bedienen ist:

Die deutschen Soldaten waren überlegen, der Feind siegte obwohl er unterlegen war nur aufgrund seiner immensen materiellen Überlegenheit.

Dieses Narrativ ist einfach unzureichend, um das militärische Geschehen damals wirklich zu verstehen. Es ist für den Verlierer natürlich bequem, den Sieg der Alliierten einfach auf ihre materielle Überlegenheit zu reduzieren. Noch darüber hinaus ist die dann stets stereotyp hervor geholte Aussage: die Auftragstaktik machte die Deutschen damals so überlegen einfach nicht haltbar.

Es ist einfach völlig irrelevant, ob in einem Gefecht eine deutsche Panzerkompanie weit über ihrer Gewichtsklasse boxte und irrelevante taktische Erfolge erzielte.

Zitat:Hast Du dafür ein Beispiel ? Ich gehe bisher davon aus, daß die Auftragstaktik so tief im Wesen deutscher Armeen und den Vorschriften verwurzelt ist, das sie eigentlich immer, mehr oder weniger angewandt wird.

Vorschriften und Auftragstaktik sind zwei Begriffe die sich beißen.

Aber nehmen wir mal als Beispiel den Haltebefehl vor Dünkirchen, oder die starren Haltebefehle an der Ostfront. Nun kann man argumentieren, dass diese ja nicht von der Wehrmacht ausgegangen wären, sondern ihr künstlich übergestülpt wurden.

Das ist auch eines dieser bequemen und gerade im Deutschen Raum so viel vorgetragenen Narrative: die Wehrmacht war herausragend gut und Hitler ist Schuld dass die Wehrmacht verloren hat, weil seine Befehle so schlecht waren und man sie halt befolgen musste, oder sonst. Man hätte ja gewonnen und alle Siege und alle militärische Leistung der Wehrmacht waren das Verdienst der Generale, und alle Niederlagen und alles Versagen kamen halt einfach nur von Hitler her. Dieses Narrativ ist von vielen deutschen Generalen nach der Niederlage systematisch gestrickt worden. Selbst von Manstein war sich nicht zu schade genau dieses Narrativ überall aktiv zu verbreiten.

Entsprechende Haltebefehle wurden von oben bis unten steif befolgt. Das war Befehlstaktik von der Spitze der Wehrmacht über die mittleren Ebenen bis hinunter auf die taktische Ebene. Und dadurch wurden in etlichen Situationen erhebliche militärische Nachteile eingegangen und das völlig unnötig. Oder einfacher gesagt: die Wehrmacht konnte durchaus auch Befehlstaktik.

Dass es auch anders hätte gehen können, Führerbefehl hin oder her zeigt neben vielen anderen weniger bekannten Fällen das Beispiel von Paul Hausser bei den Kämpfen um Charkow.

Allgemein:

Und um aus all dem mal wieder einen Bogen zur Ukraine zurück zu spannen:

Die Ukrainer sind nicht überlegen weil sie "Auftragstaktik" befolgen, solche kommt zwar bei ihren Verbänden öfter vor als bei den Russen, aber keineswegs ist sie bei den Ukrainern dominierend. Und umgekehrt gibt es auch russische Einheiten die so oder so ähnlich kämpfen.

Und auch wo eine solche Führungskultur in der Ukaine angewendet wird, ist sie nur ein Faktor von vielen.

Die Auftragstaktik darf nicht weiterhin so überhöht werden, dass man sich geradezu magische Wunder von ihr erwartet. Denn wenn man sich selbst gedanklich so begrenzt, dann ist der Weg in die militärische Niederlage vorprogrammiert.

Kriege sind viel zu komplex und zu dynamisch um durch einen Faktor derart dominiert zu werden, sie können auch nicht durch eine Monokausale Erklärung begriffen werden. Jede monokausale Erklärung (Auftragstaktik = Grund für Überlegenheit) muss daher falsch sein.

Beschließend ist noch eine Henne - Ei Frage zu klären:

Auftragstaktik, oder Mission Command, oder jede Kampfweise dieser Art völlig gleich wie sie heißt ist oft auch einfach eine Folge der Umstände. Je weniger Ressourcen man im Verhältnis zum Gegner hat, je größer und massiver das militärische Geschehen ist, je schwieriger der Kampf und je gewaltiger der Krieg, und je größer das Chaos, die Unbestimmtheit und die Unbeherrschbarkeit der Situation sind - desto mehr neigt die unterlegene Seite ganz von selbst zu solchen Kampfweisen. Und wenn die Führung es zulässt, dann greifen solche Systeme dann von unten her immer weiter nach oben um sich. Wenn die Führung es nicht zulässt, bleiben sie auf die unteren Ebenen beschränkt.

Und wenn eine Seite sich oft in einer solcher Situation befunden hat, wie beispielsweise Preußen, wird diese aus der Not heraus geborene Führungskultur dann irgendwann institutionalisiert. Und schon landen wir bei der typisch "deutschen", genauer genommen preußischen Auftragstaktik.

Die Ukraine setzt(e) eine solche Vorgehensweise / Führungskultur daher nicht zuletzt auch deshalb querschnittlich mehr als die Russen ein, weil sie die unterlegene und eigentlich überforderte Partei ist. Und umgekehrt ist ein solches System bei den Russen rar, weil die Führung es dort aktiv bekämpft, obwohl es im Feld auch unter russischen Soldaten immer wieder neu entsteht. Es wird deshalb dort aktiv bekämpft, weil man dort selbstständig denkende und eigeniniatiativ handelnde Soldaten als erhebliches politisches Problem begreift.

Entsprechend werden sogar hochrangige Offiziere / Generäle in Russland nach Kriegen oft systematisch ermordet. Beispielsweise sind viele hochrangige Offiziere nach den Tschetschenienkriegen ermordet wurden, von der Geheimdienstkamarilla welche Russland beherrscht. Und zwar gerade eben die, welche aufgrund der Umstände dann zunehmend in Richtung Auftragstaktik gingen.

Je chaotischer, unbeherrschbarer und größer ein Krieg, desto mehr greift ein solches System ohnehin um sich, ganz von selbst, es sei denn die jeweilige Führung geht aktiv dagegen vor.

Wie es auch die deutsche Führung dann an der Ostfront getan hat. Man ging in der Verteidigung nach der Schlacht am Kursker Bogen immer mehr zu immer rigiderer Befehlstaktik über, und endete schließlich bei starren Haltebefehlen.

Ganz beschließend noch eine amüsante Bewertung durch Moltke den Älteren nach dem Kriege 1866:

Zitat:Bei fast nur glücklichen Gefechten ist 1866 der Mangel an Leitung von oben, das selbständige Handeln der unteren Kommandobehörden ohne erheblichen Nachteil geblieben; in einem neuen Feldzug könnte dieses Gewähren lassen von bedenklichen Folgen sein.



RE: Russland vs. Ukraine - Camarilla - 29.10.2022

(27.10.2022, 22:25)Quintus Fabius schrieb: Camarilla:
[…]
Die russische Armee vertritt in etlichen Punkte eine vollständig andere Ansicht vom Krieg, weil sie bis heute sehr stark von den Ideen Jominis geprägt ist (dieser beendete sein Leben und sein Wirken in Russland als eine Art höchstrangiger Militärberater und persönlicher Lehrer des jungen Zaren in militärischen Angelegenheiten). Deshalb nahm die russische Armee einen vom Westen getrennten Sonderweg. Gröbst vereinfacht gesagt wird in den russischen Streitkräften deshalb bis heute die Auffassung vertreten, dass die westliche Auftragstaktik in einem ernsthaften Krieg der länger andauert nicht aufrecht erhalten werden kann, dass der Abnutzungskrieg in Wahrheit vorteilhaft ist und umso vorteilhafter wird, je länger ein Krieg andauert, dass man alle Strukturen, alle Ausbildung und die Doktrin sowie auch die Ausrüstung daraufhin ausrichten muss, auch unter den widrigsten Umständen immer weiter zu funktionieren, und dass die höhere Quantität sich langfristig gesehen durchsetzen wird (ein geistiges Erbe der napeleonischen Ära), was aber zur Folge hat, dass eine solchermaßen auf Quantität ausgerichtete Armee eben nicht querschnittlich eine hohe Qualität haben kann und diese auch nicht aufrecht erhalten werden kann, womit sich der entsprechende Kreis schließt.
[…]

Dies war und ist mir durchaus klar. Deswegen hatte ich da auch von einer „rhetorischen Frage / Problemstellung“ geschrieben, aber mir war daran gelegen bei dieser mich beschäftigenden komplexen Problematik noch ein wenig mehr Input bzw. neuere Impulse zu erhalten. Gerade auch der Einblick in andere Quellen und / oder Sichtweisen bringt einen doch enorm weiter. Dieses Forum verfolge ich genau deshalb sehr gespannt, obwohl ich ja Historiker bin und kein Militärwissenschaftler. Mit der sowjetischen / russischen Armee als solcher habe ich mich, was die Zeitgeschichte angeht (also nach WK2) immer nur sehr rudimentär und eher im Allgemeinen befasst. Sie interessierte mich nie wirklich in der Tiefe, also vom Standpunkt aktueller militärwissenschaftlicher Entwicklungen heraus. Insofern bin ich über jeden Anstoß froh.

Bei der Gelegenheit möchte ich unbedingt auf das Ukraine Spezial des Panzermuseums Munster aufmerksam machen - die Links habe ich hier bislang noch nirgends gepostet gesehen. Wie ich finde, auch ausgezeichnet. Wer diese fünf Teile noch nicht kennen sollte, unbedingt anschauen.

Ukraine-Special 1: Die T-Panzer in der Ukraine
https://www.youtube.com/watch?v=qNw4AVATU34

Ukraine-Special 2: Panzereinsatz nach sowjetischer Doktrin?
https://www.youtube.com/watch?v=Wkb3Tb3ayk0&t=8s

Ukraine Special 3: Ein gescheiterter Blitzkrieg?
https://www.youtube.com/watch?v=nBtauTdpxPw&t=6s

Ukraine Special 4: Das Ende der Panzer?
https://www.youtube.com/watch?v=lZ9WLnVFxLI&t=18s

Ukraine Special 5: Clausewitz und eine "indische Lösung" für den Ukraine-Krieg?
https://www.youtube.com/watch?v=8Ls399CAAkw&t=24s

Diese von Raths und seinem Team produzierte Reihe ist in jedem Falle empfehlenswert und öffnet noch einmal sehr plastisch den Blick auf die russische Armee als eine „Verschleißarmee“, egal ob nun materielle oder humanitäre Ressourcen betreffend.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Rudi - 29.10.2022

Ich bin momentan den ganzen Tag in der Sauna und jetzt abends zu verzaubert um antworten zu können. Aber ich möchte gerne mal betonen, wie wohltuend es ist, sachlich zu argumentieren statt der persönlichen Angriffe, wie sonst oft in Foren. Also strenges Lob allen !


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 14.11.2022

Zu den seltenen Kämpfen Panzer vs Panzer in der Ukraine:

https://www.youtube.com/watch?v=Z1Fkf7OvKoo

Erstaunlich ist auch, dass hier fast immer Einzelne Panzer gegen Einzelne Panzer kämpfen, oder noch sehr viel seltener kleine Gruppen von Panzern gegen andere kleine Gruppen. Das bleibt üblicherweise sogar immer unter Zuggröße.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Falli75 - 14.11.2022

(14.11.2022, 10:21)Quintus Fabius schrieb: Zu den seltenen Kämpfen Panzer vs Panzer in der Ukraine:

https://www.youtube.com/watch?v=Z1Fkf7OvKoo

Erstaunlich ist auch, dass hier fast immer Einzelne Panzer gegen Einzelne Panzer kämpfen, oder noch sehr viel seltener kleine Gruppen von Panzern gegen andere kleine Gruppen. Das bleibt üblicherweise sogar immer unter Zuggröße.


Ganz abgesehen davon, dass wir eh nur das sehen , das wie sehen sollen, hat genau diese Tatsache mich auch schon fragen lassen, inwieweit wir überhaupt diesen Krieg als Ausgang für eigene Überlegungen heranziehen dürfen.
Ohne deinen Link angesehen zu haben, habe ich bereits dutzende Aufnahmen gesehen, welche immer nur einzelne Kpz, SPZ oder höchstens drei vier SPZ und vielleicht zwei Kpz zeigen, welche eine Stellung an einer Feldwegkreuzung angreifen.
Mein Verständnis: Die Gruppe Infanterie in der Stellung umgehe ich in der Nacht mit Infanterie in tiefster Gangart und schalte sie aus, wenn ich den Angriff schon mit einer Drohne filme, warum nicht einfach Artillerie, oder ich presche mit SPZ und Kpz definitiv nicht frontal darauf zu, weil Kette und genug Manöverraum durch riesige Felder drumherum ( die Chance da eine Mine zu treffen dürfte alleine dadurch um den Faktor 1000 verringert werden, als durch draufpreschen auf die Stellung über den Feldweg den Infanterie dort ja verteidigt).
Nur Mal als weiteres Beispiel, die Ukraine setzt z.B. unsere Exkalibur(? , oder wie heißt die Variante nochmal von Leonardo) ein um einzelne Panzer auszuschalten.Huh
Vielleicht sinniger um Brücken, Munitionslager oder Radar auszuschalten, nur so als Idee...
Ganz generell scheinen fast alle Gefechte dort fast ausschließlich aus beschränkten "Geplänkel" zu bestehen. Meine Auffassung eines Angriffes, sollte eine Truppenmassierung auf einen beschränkten Bereich sein. Panzer an der Spitze, begleitet durch SPZ, gefolgt von Motinfanterie und Logistik. Gefolgt von weiteren Truppen die vorher umgangen Befestigungen dann freikämpfen. Das heißt der eigentliche Angriff, geht an allem vorbei, das aufhält. Im " Vorbeigehen" zerstört er die Kommandostruktur des Abschnittes, Artillerie u.ä. aber nur mit der Spitze dicht folgenden Einheiten. Dieser Vorstoß geht so tief bis er ein wichtiges Angriffsziel trifft, erobert und mit nachfolgender Truppe sichert.
Dieses Ziel ist aber keine Stadt, eher eine Brücke und ein dahinterer gut zu verteidigender Kopf, eine Hügelkette hinter einer zu erobernder Stadt, durch welchen die Hauptader dieser Stadt durchläuft, oder ähnliches. Teilweise sieht man ähnliches, aber der Hauptteil sind sinnlose Geplänkel.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Ottone - 14.11.2022

Erklärungen für das Geplänkel: Die Fronten sind sehr lang und Truppen dünn verteilt, und beiden Seiten fehlen Soldaten.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 14.11.2022

Falli75:

Um deine Wahrnehmungen noch weiter zu visualisieren:

https://twitter.com/DefMon3/status/1591849879776931840?s=20&t=cOf7Y9PRgz1h4B2QJqmsyA

Die angreifenden Ukrainer wurden hier nur ganz knapp von einer Panzerfaust verfehlt wenn man genau hinsieht. Auch ansonsten ist das auf beiden Seiten gelinde gesagt unterirdisch was die da treiben.

Gleiche Stellung, etwas südlicher davon:

https://twitter.com/PaulJawin/status/1577499469137838080


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Pogu - 14.11.2022

Ein Vorgehen entlang des Windschutzes als einzigen bewachsenen Streifen ist ein doch recht leichthändiges Vorhaben. Nichts leichter als sich auf diesen superschmalen und sogar einzigen markanten Geländeabschnitt einzuschießen.

Und offensichtlich findet ein Absitzen derart verfrüht statt, daß sie der Gegner ungestraft mit Granaten belegen kann.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Falli75 - 14.11.2022

(14.11.2022, 11:48)Falli75 schrieb: Ganz abgesehen davon, dass wir eh nur das sehen , das wie sehen sollen, hat genau diese Tatsache mich auch schon fragen lassen, inwieweit wir überhaupt diesen Krieg als Ausgang für eigene Überlegungen heranziehen dürfen.
Ohne deinen Link angesehen zu haben, habe ich bereits dutzende Aufnahmen gesehen, welche immer nur einzelne Kpz, SPZ oder höchstens drei vier SPZ und vielleicht zwei Kpz zeigen, welche eine Stellung an einer Feldwegkreuzung angreifen.
Mein Verständnis: Die Gruppe Infanterie in der Stellung umgehe ich in der Nacht mit Infanterie in tiefster Gangart und schalte sie aus, wenn ich den Angriff schon mit einer Drohne filme, warum nicht einfach Artillerie, oder ich presche mit SPZ und Kpz definitiv nicht frontal darauf zu, weil Kette und genug Manöverraum durch riesige Felder drumherum ( die Chance da eine Mine zu treffen dürfte alleine dadurch um den Faktor 1000 verringert werden, als durch draufpreschen auf die Stellung über den Feldweg den Infanterie dort ja verteidigt).
Nur Mal als weiteres Beispiel, die Ukraine setzt z.B. unsere Exkalibur(? , oder wie heißt die Variante nochmal von Leonardo) ein um einzelne Panzer auszuschalten.Huh
Vielleicht sinniger um Brücken, Munitionslager oder Radar auszuschalten, nur so als Idee...
Ganz generell scheinen fast alle Gefechte dort fast ausschließlich aus beschränkten "Geplänkel" zu bestehen. Meine Auffassung eines Angriffes, sollte eine Truppenmassierung auf einen beschränkten Bereich sein. Panzer an der Spitze, begleitet durch SPZ, gefolgt von Motinfanterie und Logistik. Gefolgt von weiteren Truppen die vorher umgangen Befestigungen dann freikämpfen. Das heißt der eigentliche Angriff, geht an allem vorbei, das aufhält. Im " Vorbeigehen" zerstört er die Kommandostruktur des Abschnittes, Artillerie u.ä. aber nur mit der Spitze dicht folgenden Einheiten. Dieser Vorstoß geht so tief bis er ein wichtiges Angriffsziel trifft, erobert und mit nachfolgender Truppe sichert.
Dieses Ziel ist aber keine Stadt, eher eine Brücke und ein dahinterer gut zu verteidigender Kopf, eine Hügelkette hinter einer zu erobernder Stadt, durch welchen die Hauptader dieser Stadt durchläuft, oder ähnliches. Teilweise sieht man ähnliches, aber der Hauptteil sind sinnlose Geplänkel.

(14.11.2022, 15:48)Quintus Fabius schrieb: Falli75:

Um deine Wahrnehmungen noch weiter zu visualisieren:

https://twitter.com/DefMon3/status/1591849879776931840?s=20&t=cOf7Y9PRgz1h4B2QJqmsyA

Die angreifenden Ukrainer wurden hier nur ganz knapp von einer Panzerfaust verfehlt wenn man genau hinsieht. Auch ansonsten ist das auf beiden Seiten gelinde gesagt unterirdisch was die da treiben.

Gleiche Stellung, etwas südlicher davon:

https://twitter.com/PaulJawin/status/1577499469137838080

Tatsächlich hatte ich genau das erste deiner Visualisierungshilfen im Hinterkopf.
Aber auch das Video von Redeffect ( übrigens immer deutlich besser als die von Matsimus Big Grin), bestätigt dies.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 15.11.2022

Werter Pogu:

Zitat:Und offensichtlich findet ein Absitzen derart verfrüht statt, daß sie der Gegner ungestraft mit Granaten belegen kann.

Es ist das reinste Wunder dass die zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch leben (mal abgesehen von der fehlenden Panzerfaust). Da sie ja auf dem Panzer sitzen und mit diesem Frontal auf die Stellung zufahren (und der Turm ist zu klein als Deckung) hätte ein einfaches MMG schon genügt, sie da alle herunter zu schießen. Eigentlich hätten die nicht einmal mehr dazu kommen dürfen sich mit Handgranaten bewerfen zu lassen.

Ottone:

Vollkommen richtig, aber gerade eben deshalb sollte man gar nicht erst versuchen alles zu defendieren, sonst defendiert man am Ende gar nichts. Stattdessen sollte man Schwerpunkte und hochmobile Reserven bilden und den Gegner in der Bewegung fassen, statt alles überallhin zu verkleckern. Gerade die Russen machen das so falsch. Und zwar weil sie (aber die Ukrainer ebenso) viel zu sehr vom Halten und Beherrschen von Gelände her denken. Sie machen militärischen Erfolg zu sehr an besetztem Gelände, besetzten Ortschaften und Geländelinien fest. Das ist veraltet und nicht aufrecht erhaltbar in einem so großen Kriegsraum.

Und das ist meiner Überzeugung nach eine der weiteren wesentlichen Lehren, dass zu viel von gehaltenem, eroberten und zurückeroberten Gelände her gedacht wird. Man wertet den kontrollierten Raum, die HKL und die jeweiligen Linien viel zu hoch, statt die zwingend überall vorhandenen Räume mit geringer feindlicher Truppenstärke als Chance für zusammengefasste eigene Verbände zu sehen (eigene kleine sich schnell bewegende Räume mit hoher Truppenstärke).

Mich überraschten ja die Fronten und dass das Kriegsbild nicht dem entsprach was ich erwartete (Inseln von Truppen in vergleichweise leeren Gebieten). Nachdem nun immer klarer wird, dass diese Fronten in Wahrheit ein eindeutiger militärischer Fehler sind und intentional und dadurch auch querschnittlich viel zu dünn besetzt wird klar, dass das von mir erwartete Kriegsbild aufgrund Inkompetenz nicht eingetreten ist.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Ottone - 15.11.2022

Allerdings hat die RA deutlich mehr Fahrzeuge und ist mobiler, während die Ukraine eben deutlich mehr auf Schusters Rappen oder zivile PKW angewiesen ist. Die Ausrüstung ist ungleichgewichtig.


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 15.11.2022

Exakt deshalb schrieb ich ja, dass die Russen hier noch viel mehr falsch machen und dies insbesondere in der Defensive.

Allgemein:

Eine Diskussion über Lehren aus dem Ukrainekrieg:

https://www.youtube.com/watch?v=n1TJtfQcGd8


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Pogu - 15.11.2022

Etwas, das tatsächlich Gegenstand von Lehre ist und sich selbst aus der Distanz und etwas Vorbehalt einschätzen lässt, ist das kleintaktische Vorgehen. Das Gesagte gilt für beide Parteien.

Methoden sind austauschbar, keine Frage. Unabhängig davon ob die jeweilige Methode nun richtig oder falsch, gut oder schlecht, aufgezwungen oder selbst gewählt ist ... sie muß überhaupt erst angewendet werden. Und die Anwendung ist immer eine Sache von Systematik und Konsequenz.

In diesem spezifischen Konflikt sehen wir besonders das kleintaktische Vorgehen unsystematisch und inkonsequent. Das ist der wahrnehmbare gemeinsame Nenner des in diesem Konflikt gefechtstypischen Scheiterns. Das ist der Kardinalfehler, alles andere ist als dessen Folge verstehbar.

Die dürftigen Effekte der diversen Gefechtshandlungen sind das direkte Resultat von unsystematischer und inkonsequenter Anwendung (... von welcher Methode auch immer). Offenbar ist auch ein Anteil der zu verzeichnenden Ausfälle pro Gefecht (Tote, Verwundete, Fahnenflüchtige) ebenfalls das direkte Resultat von unsystematischer und inkonsequenter Anwendung (... einer/irgendeiner Methode). Besonders Fahnenflüchtige scheinen eher desillusioniert als demoralisiert zu sein ...


RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - Quintus Fabius - 15.11.2022

Noch ein Aspekt den man in diesem Kontext anfügen sollte ist das geradezu lächerliche Ausmaß an Feuer auf Eigene in diesem Krieg. Auch wenn die teilweise kolportierten Zahlen und Zustände eigentlich gar nicht stimmen können, noch nie wurde derart viel Feuer auf eigene gelegt, bei den Russen in einem Ausmaß dass viele russische Gefangene und Überläufer unisono erklärt habe, sie fürchteten die eigene russische Artillerie mehr als alles andere, insbesondere viel mehr als jedes System der Ukrainer.