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@ Erich
Ich denke nicht, dass es ein Problem wäre oder ist, solch eine Fatwa zu bekommen. Meines Erachtens besteht das auch schon, wahrscheinlich sogar in zigfacher Ausführung, denn wie ich schon mehrfach deutlich gemacht habe, ist der Selbstmord im Islam genauso wie im Katholizismus eine schwere Sünde. Daher ist der Selbstmord, wie das Selbstmordattentat eben auch eine Sünde und dies war eben islamischer common sense bei den Gelehrten, der meiner Meinung auch nie wirklich zerstört wurde. Denn letztlich waren es immer radikale Gelehrte, die anderes predigten.
Aber ich hab auch schon von entsprechenden konkreten Fatwas gelesen: Im Mai verurteilte die Schule von Deoband die Selbstmordattentate (allerdings weiß ich nicht mehr, ob es da um Terrorismus allgemein, um Selbstmordattentate allgemein oder nur den Angriff auf Zivilisten handelte) und selbst ehemalige Weggefährten von Bin Laden haben in den letzten beiden Jahren Fatwas abgegeben, die den Tod Unschuldiger und Zivilisten verurteilten.
Das Verdikt von der Schuile von Deoband ist besonders wichtig, schließlich (wenn ich nicht falsch liege) sind die Deobandis auch als recht strikte Religionsschule bekannt, die sozusagen das südasiatische Pendant zum Wahabismus sind - die Schule von Deoband gehört zu den salafitischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts bzw. entstand durch sie.
Du siehst also, dass es da durchaus auch von recht "radikaler" Seite schon deutliche Positionierungen gibt. Allerdings und dies ist das Problem nutzen die jeweiligen Extremisten vor Ort und aus sehr realem pragmatischen Zwang vor Ort diese Strategie weiterhin, wenn es die Konflliktlage erfordert. Für ihre Anhänger reicht dann auch oft die Legitimation und die Aufforderung durch ihre Führer.
Ich denke, dass man sicher bei der Motivlage der Selbstmordattentäter in den psychologischen Bereich gehen muss, dabei darf man aber nie vergessen, die soziale Umwelt des späteren Täters mit einzukalkulieren.
Ehrlich gesagt halte ich aber dabei weder etwas von Tigers Ausführungen, von von Laras. Laras Ruhm Begriff ist eine viel zu sehr modern-westliche Vorstellung un d wirkt untergeschoben und Tigers Ausführungen erscheinen mir zwar von der Richtung her interessant, aber eben viel zu kurz und zu reduktionistisch.
Vor allem muss man differenzieren zwischem dem armen Bauernsohn, der sich in Afghanistan, in Nordwestpakistan oder auch im Westjordanland in die Luft jagt und dem entwurzelten, "internationalistischen" Dschihadisten, der mal im Irak, mal in Afghanistan kämpft und dann zwischendurch irgendwo ne Terrorzelle aufbaut um sich dann zuletzt in einem westlichen Land in die Luft zu sprengen.
Da sind die Motivlagen, je nach Bewegung, je nach Konflliktlage sehr unterschiedlich. Der paschtunische Junge aus dem pakistan.-afghanischen Grenzgebiet wird es aus Armut, Perspektivlosigkeit, aus Unwissenheit und einer viel zu starken Indoktrinierung heraus tun.
Der internationalistische Dschihadist dagegen wird gut gebildet sein, aber irgendwann mal in seinem Herkunftsland mit den Mühlen der dortigen autokratischen Regime aneinandergeraten sein und zu einem Dissidenten geworden sein. Vor lauter Frust über die Verhältnisse, aus Erkenntnis über die miesen Verhältnisse und aus persönlicher Erfahrung wird auch er zu einer gewissen Perspektivlosigkeit, zu Hass und Verzweiflung gekommen sein, aber in dem Sinne, dass in seinem korrupten Heimatland nichts funktioniert, solange man den Herrschenden nicht voll gehorcht. Aber er wird sich in seinem Kampf radikalisiert haben, er wird letztlich zu einem Islamisten geworden sein, weil eben jene die einzigen echten Oppositionellen derzeit sind und sie auch plausibel sich an den westlichen Einmischungen stoßen und stören, die der Dissident auch ablehnt.
Und dann gibt es den homegrown Terroristen, der aus einer durchaus integrierten Familie stammen kann. Der aber wird irgendwann aus persönlichen Gründen und Umständen einen Bruch im Leben erleben, abrutschen, ihm wird zusätzlich die ganz alltägliche Fremdenfeindlichkeit, die gefühlte Ablehnung gegen Ausländer und Moslems genug sein und aus einer oberflächlich betrachtet integrierten und gut funktionierten Existenz in den westlichen Gesellschaften wird durch dumme persönliche Umstände und Geschehnisse innere Emigration, innere Abschottung, Vereinsamung, Radikalisierung. Aus einem starken Menschen wird ein starker Gläubiger. Dann wird der sich radikalisierende Moslem sich an der westlichen Politik im Nahen und Mittleren Osten stören, an den Umständen und dort und dann wird er einem Rattenfänger begegnen oder er beginnt aus eigenem Antrieb die eigene, gespaltene Identität durch radikale religiöse Glaubensinhalte zu kitten und neu zu strukturieren.
In allen Punkten spielt Verzweiflung, Ablehnung der dominierenden westlichen Politik, Hass, Neudefinition einer Identität eine Rolle, aber eben je nach Person und Konfliktregion, Konfliktumständen.