(Luft) Boeing P-8A Poseidon in der Bundeswehr (Zwischenlösung P-3C-Nachfolger)
(08.06.2022, 11:46)FJ730 schrieb: Aber eben genau das was die Bundeswehr hier und jetzt brauchte und als Übergang gefordert hat. Ein MPA mit großer Reichweite dass fliegt und kein System der Systeme das evtl. irgendwann fliegt.

Das ist richtig, unterschlägt aber die Entwicklung, warum es dazu gekommen ist. Denn dieser Bedarf war allenfalls rückblickend klar erkennbar, und wäre hier oder da eine Entscheidung anders getroffen worden (bspw. Weiterbetrieb Atlantique, beispielsweise frühe Ersatzbeschaffung Orion), dann hätte es diesen akuten Bedarf in der Form gar nicht gegeben.
Umgekehrt gab es ja durchaus Schubladenprojekte in dieser Richtung, die bisher mangels Kunden nicht realisiert wurden und deshalb bei der Auswahl auch nicht berücksichtigt wurden, weil man kein weiteres Entwicklungsrisiko eingehen konnte bzw. wollte.

Das bedeutet, die einzige Möglichkeit für die europäische Luftfahrtindustrie wäre ein leistungsfähiges, quasi eine auf Verdacht fertig entwickelte Maschine gewesen. Und eine solche Vorgehensweise ist marktwirtschaftlicher Unsinn, der nirgendwo in der Dimension praktiziert wird.

Zitat:Doch, man kann es vorwerfen - und sollte es in diesem Fall ganz besonders! Ohne erkennbare Zielgruppe? Rückendeckung? Es wollen Wirtschaftsunternehmen sein wie Du selber festgestellt hast und keine Behörden!

Eine Behörde interessiert sich weder für Zielgruppen, im Zweifel werden die selbst gemacht, noch für eine finanzielle Rückdeckung, im Zweifel werden auch Schulden in Kauf genommen, die dann durch den Steuerzahler auszugleichen sind. Beides ist für Wirtschaftsunternehmen aber tatsächlich eklatant wichtig, insofern kann ich dein Argument hier nicht nachvollziehen.

Zitat:Es war spätestens seit der "Militarisierung" der 737 und den entsprechenden Anforderungen der US Navy (Reichweite) für die europäische Industrie seit Jahrzehnten mehr als absehbar, dass nicht nur für MPA und AEW (mit Strahltriebwerk) ein großer Bedarf besteht (nicht nur in Europa) und der Hauptkonkurrent bereits seit Jahrzehnten daran arbeitet.

Der Hauptkonkurrent hat deshalb daran gearbeitet, weil der dafür bezahlt wurde, von demjenigen, der den großen Bedarf tatsächlich stellt: die US Navy. Abseits von firmeninternen Schubladenprojekten, die es wie gesagt auch beispielsweise bei Airbus gibt, hat Boeing für das reine Entwicklungsprogramm der P-8 über vier Milliarden Dollar kassiert. Die Produktionskosten für die Maschinen kommt da noch oben drauf.
Genau das Gegenteil von dem, was du von der europäischen Industrie forderst, war also der Grund für dieses inzwischen relativ erfolgreiche Flugzeug.

Und der Gesamtmarkt ist nicht so groß, wie er dir vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Seit dem Vermarktungsbeginn vor dreizehn Jahren hat Boeing international insgesamt 49 Maschinen abgesetzt (ohne Berücksichtigung der deutschen Order), womit der Großteil potenzieller Kunden bereits abgedeckt sind (Kanada oder Frankreich könnten noch Interesse an größeren Stückzahlen einer leistungsfähigeren Maschine haben). Der realistische Gesamtmarkt für ein Flugzeug lag vor dem Ukrainekrieg (der uns hier als Referenz dienen muss) geschätzt bei unter hundert Maschinen über dreißig Jahre, das ist weniger als die US Navy allein von der P-8 geplant hat. Übrigens hat Boeing ein eigenes Projekt für weniger Zahlungskräfte Kunden in der Schublade, bei der Systeme aus der P-8 in abgespeckter Form in eine kleinere Zelle integriert werden. Entsprechende Angebote werden Kunden gemacht, eine Umsetzung erfolgt erst bei Auftragsvergabe, das Entwicklungsrisiko beschränkt sich auf eine einfache Zellenintegration - der Rest ist ja bereits bezahlt oder wird vom zukünftigen Kunden bezahlt.

Bei allem Respekt, aber ich kann der Industrie wirklich keinen Vorwurf machen, dass sie unter diesen Umständen nicht aus eigener Tasche ein Muster vorfinanzieren, dass entweder hinsichtlich der Leistungsfähigkeit oder hinsichtlich der Kosten nicht konkurrenzfähig sein kann.

Zitat:Und ob man das vorwerfen kann, dass man hier darauf wartet, bis die Staaten mit konkreten Aufträgen kommen und mit Steuergeldern das alleinige Entwicklungsrisiko über Subventionen tragen. Das sollten sie mal im zivilen Bereich machen und solche Argumente bei Lufthansa und Air France vorbringen wenn es um die Entwicklung neuer Muster geht.

Genau solche Argumente werden gegenüber der Lufthansa und Air France, und anderen Luftfahrtgesellschaften vorgebracht, und kein neues Flugzeugprogramm in diesen Größenordnungen wird gestartet, ohne dass eine ausreichende Zahl verbindlicher Bestellungen mit entsprechenden Zahlungsverpflichtungen (in der Regel aber nicht über Vorfinanzierungen, sondern in Form von vertraglich vereinbarten Strafzahlungen) bereits im Vorfeld vereinbart wurde und den Programmstart so erst ermöglichen. In der Regel erfolgt dann die tatsächliche Unterzeichnung dieser Bestellungen kurz nach Programmstart, so etwa konnte Airbus vom neuen A350 bereits im ersten Jahr der Vermarktung und sechs Jahre vor dem Erstflug bzw. sieben Jahre vor der Erstauslieferung um die 300 Aufträge verbuchen.
Natürlich ist das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer im Zivilbereich ein anderes, entsprechend sind auch die Verträge beispielsweise hinsichtlich Entwicklungsrisiken anders gestaltet. Allerdings liegt das in Natur der Sache, eben weil es in dieser Größenordnung keine der von dir geforderten Initiativentwicklungen gibt und daher der Auftraggeber in der Regel ein größeres Mitspracherecht erfordert.

Zitat:Die Staaten sind hier wie gesagt keine Bittsteller und für die Industrie sind hier Milliarden zu verdienen.

In diesem konkreten Segment mit Sicherheit nicht, dafür ist dieses Segment weltweit betrachtet deutlich zu klein. Und ja, aufgrund der geringen Bedeutung des militärischen Sektors und der fehlenden Einigkeit und Geschlossenheit sind die europäischen Nationen eher Bittsteller. Für Airbus beispielsweise spielt es keine Rolle, ob sie einen solchen Auftrag bekommen oder nicht. Im letzten Vor-Corona-Jahr hat das Unternehmen siebzig Milliarden Euro Umsatz gemacht, nicht einmal ein Zehntel davon mit militärischen Aufträgen.

Zitat:Die Fa RAS ist hier ein gutes Beispiel wie selbst bei kleinen Fa mit solchen Risiken umgegangen werden kann, ohne staatliche Vorschüsse ein komplexes System zu entwickeln das offensichtlich funktioniert, Partner zu suchen, Kunden zu gewinnen und Exportgenehmigungen (wie auch immer) in nicht ganz unproblematische Gegenden zu bekommen! Und das alles von einer kleinen Klitsche am Niederrhein! Chuzpe!

Auch dies ist ein schlecht gewähltes Beispiel, weil sämtliche Entwicklungskosten zur Serienreife vom ersten und bisher einzigen Kunden übernommen wurden - wie bei allen anderen mit bekannten Projekten auch.
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