22.12.2004, 12:32
Zitat:seit wann ist die "EU" eine nation?In Europa mit einem klassischen Nationalstaatsbegriff zu hantieren, halte ich für etwas naiv. Zwar ist die EU kein Superstaat und von einer europäischen Außenpolitik zu sprechen, wäre derzeit illusorisch, aber ebenso kann man Europa nicht einfach auf einzelne Staaten herunterbrechen, dafür wurden schon viel zu viele Handlungs- und Entscheidungskompetenzen auf die europäische Ebene verlagert, siehe Währungsunion, EZB, Wirtschaftsförderung und -regulierung.
Wenn es darum geht, zu entscheiden, wer im 21. Jhd. eine substantielle Rolle spielt, dann ist sind wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Aufwuchspotential IMO der stärkste Indikator, schließlich haben die USA auf dieser Basis im 20. Jhd. ihre Hegemonie aufgebaut.
Auch finde ich es amüsant, dass hier Frankreich als wachsende Nation bezeichnet wird. Frankreich fällt weder beim Bevölkerungswachstum noch beim wirtschaftlichen Wachstum aus dem Trend, der allg. für die europ. Wirtschaftsmächte gilt. Großbritannien wiederum hat zwar zumindest ein stabiles (wenn auch nicht glänzendes) Wirtschaftswachstum vorzuweisen, aber dennoch laviert es am Rande der Unbezahlbarkeit, wenn es um internationale Engagements geht. Deutschland hat vielleicht wieder eine Perspektive, wenn die Wirtschaft mal endlich aus dem Tal der Tränen herauskommt. Aber dennoch kann nur eine europ. Macht tatsächlich eine entscheidende Rolle in globaler Hinsicht spielen, die aus mehr als nur einem dieser Staaten besteht, idealerweise auf Basis der gesamten EU, vielleicht auch in kleinerem Maßstab. Das einzige, wo Europa derzeit schon neben den USA den größten Einfluss hat, ist die globale Wirtschaftspolitik. Um sich mit den wirtschaftlichen und militär. Kapazitäten zu messen, die die übrigen Global Player im 21. Jhd. vorr. einbringen können, fehlen den einzelnen Nationalstaaten jedenfalls deutlich die Mittel.
Die USA bleiben für mich erstmal der Hegemon überhaupt. Sie verfügen über ein stabiles Wirtschaftswachstum, weltweite wirtschaftl. Vernetzung (und damit Einfluss), ein starkes Bevölkerungswachstum und alle notwendigen militärischen Kapazitäten.
China wird sicher mittelfristig der größte Rivale: Ihre Wirtschaft wächst weiterhin, ohne Zeichen einer "Überhitzung" zu zeigen, die Bevölkerungskapazitäten sind immer noch gut. Es hängt viel davon ab, inwiefern China sich wirtschaftlich in Zukunft global integrieren will und welche Auswirkungen das auf die interne politische Struktur hat. Wenn alles so weitergeht wie bisher, dann sind sie auf jeden Fall ein potentieller Global Player, der sich lediglich über seine genauen Ambitionen klar werden muss.
Indien hat zwar alle notwendigen Vorraussetzungen, aber ob sie sich mittelfristig über die Rolle einer Regionalmacht hinausentwickeln werden, hängt vom weiteren Verlauf des Konfliktes mit Pakistan ab. Derzeit jedenfalls konzentriert sich ihre gesamte Außenpolitik mehr oder weniger auf dieses Thema (anders als China etwa bei Taiwan), auch was militärische Aufwuchspotentiale angeht, stehen sie IMO hinter China zurück, insbesondere was die heimischen Entwicklungen angeht.
Für den Iran würde ich derzeit mal gar keine Prognose abgeben, vielleicht darf man dort in fünf Jahren wieder von vorn anfangen. :evil:
Jedenfalls ist die Regierung dort noch weit davon entfernt, außenpolitisch derart handlungsfähig zu sein, dass weitergehende Ambitionen verwirklicht werden können.
Das 21. Jhd wird in einiger Hinsicht interessant sein, kaum zuvor gab es soviele fähige "Interessenten" an der Macht, außerdem werden sich wohl durch das absehbare Ende der erdölbasierten Wirtschaft (zumindest in der 2. Hälfte des 21. Jhd.) noch einmal beachtliche strategische Verschiebungen ergeben werden, die IMO jetzt noch gar nicht absehbar sind.