Erster Weltkrieg
#22
Bis zur vollständigen Ausarbeitung eines neuen Offensivplanes im Jahre 1905 arbeitete nun vSchlieffen unermüdlich an einer völlig neuen Lösung. Schon im Ersten Entwurf 1894 war die Überzeugung klar zu erkennen, daß der Gegner nicht aus der Nachhand zu schlagen sei, eine solche Strategie also die Niederlage des Reiches zur Folge haben würde. vSchlieffen setzte also auf eine Hauptoffensive im Westen, die Notwendigkeit des extrem raschen Sieges schied aber das zeitraubende frontale Durchbrechen des französischen Festungsgürtels aus, was zwangsläufig die Idee einer Umgehung ergab.

1897 entwarf vSchlieffen die ersten Pläne einer Umgehung der Feindstellung vor allem an der Maas. Dabei sollte ein großer Teil der Westarmeen um Verdun herumschwenken und schließlich die französische Front bis Lille in ganzer Breite angreifen. Das Vorgehen erforderte aus schieren Platzgründen den Marsch durch Teile Belgiens. Schlieffen ging davon aus, daß der rechte Flügel dazu siebenmal so stark sein müßte, wie der linke Flügel und das Zentrum in Lothringen zusammen. Nach der Vernichtung des regulären Linienheeres sollte dann der Krieg gegen die Territorialtruppen (levee en masse) in einem Vorstoß direkt hinter Paris fortgeführt werden. Die Aufgabe der schwachen Kräfte in Lothringen bestand dabei in einem Ansaugen der französischen Angriffe. vSchlieffen verwendete das Bild einer Drehtür, je stärker die Franzosen die Deutschen zum Rhein zurückdrängen würden, um so stärker würde sie der Stoß von Norden in den Rücken treffen. Dabei war in dieser ursprünglichen Konzeption die sofortige große Umgehung von Paris nicht vorgesehen, das bekannte Bild einer Kaffeemühle deren Griff weitausholend an der Küste entlang über die Seine schwingt, der Drehbolzen in Verdun-Metz, war so nicht, bzw nur für den eigentlich unerwünschten Fall einer großen Flügeloperation gedacht.

Vollständig stand der Plan mit der Dezemberdenkschrift 1905 die vSchlieffen kurz vor seinem Ruhestand fertig stellte. Sie trug den Titel :"Krieg gegen Frankreich" und stand im Zusammenhang mit dem Plan für den großen Westaufmarsch 1905 der schon am 1 April in Kraft trat. vSchlieffen forderte für das Jahr 1905 wegen des Russsich-Japanischen Krieges den sofortigen Angriff auf Frankreich und wollte dafür das ganze deutsche Operationsheer zum Ansatz bringen. Dabei sollten 7 Armeen den rechten Heeresflügel bilden, und nur eine verstärkte Armee ostwärts von Metz operieren. Dennoch kam es nicht zum Angriff.

Der Schlieffenplan erweckt den Eindruck, daß hier Aufmarsch, Operation und Hauptschlacht in einer einheitlichen, gleichsam uhrwerkhaften Gesamtaktion systematisch vorausdisponiert wurden. Das täuscht jedoch, bis auf den Kräfteansatz im Aufmarsch und die operative Grundidee war nichts genauer festgelegt. Der ganze Feldzugentwurf enthielt nur die Markierungen der voraussichtlichen Vormarschabschnitte, er enthielt keine Kampfaufträge und auch keine Dispositionen über das Zusammenwirken der Armeen. vSchlieffen ging davon aus, daß sich ein derart kühner Plan nur durch überlegene Führungskunst umsetzen ließe, er war sich der Bedeutung des Planwidrigen Erfolges und Mißerfolges, der Friktionen durchaus bewußt. Deshalb setzte vSchlieffen alles auf die Schulung des Generalstabes und des Offizierkorps.

vSchlieffens Operationsentwurf der Westoffensive wurde nun von seinen Anhängern als makelloses Siegesbrevier für die schnelle Niederwerfung Frankreichs kanonisiert, von seinen Kritikern jedoch als rein technisch Unmöglich eingestuft. Hätte der Schlieffenplan also überhaupt zum Erfolg führen können bzw warum tat er dies nicht?

Der erste entscheidende Aspekt war hier das Versäumnis eines Präventivkrieges 1905 gegen Frankreich. vSchlieffen drängte den Kaiser nicht wie er es als Generalstabchef hätte tun müssen, er erteilte keinen vorantreibenden Rat oder gar eine Forderung, obwohl die strategisch herausragende Lage überdeutlich war. Mit der Verabschiedung vSchlieffens 1906 diente dann der Plan nur noch als Vermächtnis an den Nachfolger. Hier erfolgte nur der zweite, noch entscheidendere Fehler, die mangelnde Heeresrüstung. Deutschland versäumte es ab 1906, seine Wehrkraft für das Heer voll auszuschöpfen, der Schlieffenplan machte aber eine solche volle Ausschöpfung der Wehrkraft unumgänglich wenn er funktionieren sollte.

Der Nachfolger, Helmuth vMoltke nutzte den ohnehin nicht ausreichenden Zuwachs an mobilen Truppen dazu, den bisher sehr schwachen linken Flügel zu verstärken, ja sogar in eine Starke Angriffsgruppe umzuwandeln. Er schätzte dabei die Auswirkungen eines Einbruchs französischer Kräfte in das Reichsgebiet als zu große strategische Bedrohung für das Saargebiet ein, indem ein Zentrum der Industrie lag. Zur Verstärkung des rechten Flügels sah vMoltke hier nun 6 weitere Armeekorps vor, diese richtige Entscheidung war jedoch Makulatur weil bis zum Kriegsausbruch ein Gros dieser Einheiten nur auf dem Papier bestand. vMoltke versuchte zudem das strategische Konzept so abzuwandeln, daß es möglichst früh zu einer Schlacht der Hauptkräfte kommen würde, was für vSchlieffen gegenüber der Umfassung weniger Prioritär gewesen wäre. Auch diese Überlegung vMoltkes war nicht grundlegend falsch, es fehlten jedoch dazu die Kräfte.


Eine weitere Abwandlung war der Verzicht auf das Durchschreiten des holländischen Südzipfels von Maastricht, das der Plan Schlieffens noch vorgesehen hatte. vSchlieffen hatte dies aus Raumgründen vorgesehen, da seiner Meinung nach die immer weitere Vergrößerung der Streitkräfte Frankreichs ebenso eine weitere Verstärkung des rechten Flügels notwendig machen würde. Der Verzicht darauf um Holland nicht in den Krieg gegen Deutschland zu ziehen hatte jedoch zur Folge, daß der Vormarsch der 1 Armee am äußersten rechten Flügel technisch aus Raumgründen gar nicht mehr machbar war, darüber hinaus ein Handstreich auf Lüttich notwendig wurde.

Trotz all dieser Abweichungen hätte der abgeänderte Schlieffenplan nicht an der Marne und Aisne enden müssen (9 - 15 September) wenn gravierende Führungsfehler auf deutscher Seite vermieden worden wären. Das mangelnde Zusammenwirken der Armeen, unter viel zu losem Zügelgriff der Obersten Heeresleitung, der unbegreifliche Optimismus in den Direktiven zur Feindverfolgung, und die Durchbruchsversuche an der lothringischen Festungslinie durch deutsche Truppen der Mitte führten dazu. Es hätte sich bei Vermeidung all dessen eine viel günstigere Ausgangslage an der Seine ergeben. Noch anders wäre die Lage gewesen, wenn Deutschland die 600 000 felddienstfähigen Leute, die während der Operationen noch zu Hause saßen in Gestalt weiterer Armeekorps gezielt an den rechten Flügel geworfen hätte.

Der Schlieffenplan scheiterte also primär aus dem Wiederspruch der benötigten Mittel und dem tatsächlichen deutschen Rüstungsstand der im Gegensatz zu dem was man gemeinhin annimmt deutlich hinter seinen Möglichkeiten geblieben war. Das Mißverhältnis zwischen der Aufgabe und den dafür eingesetzten Kräften ist unbegreiflich. vSchlieffen wies in seiner letzten Denkschrift noch auf die nötigen, aber noch fehlenden Truppen hin, ihn trifft also kein Vorwurf. Zuletzt schrieb er dem Kriegsminister, dessen Ansicht über die abgeschlosssene Heeresentwicklung nicht teilen zu können, doch Konsequenzen wurden vom Kriegsministerium nicht daraus gezogen.

Selbst seine noch kurz vor dem Tode verfasste allgemeine Studie vom 28 Dezember 1912 forderte hinsichtlich der als mangelhaft bezeichneten Truppenstärke eine völlige Heeresumgestaltung. vSchlieffen äußerte auch die Sorge, der Vormarsch könnte in Belgien stecken bleiben und sah eine Verkleinerung der Divisionen vor, um die Beweglichkeit zu erhöhen und erneut den Durchmarsch durch Südholland mit starken Kräften. Die gesamte Landstreitmacht solle inklusive der Landwehr und den Ersatzdivisionen einen gigantischen Erstschlag ausführen, alles auf eine Karte setzend und die Russen ignorierend, bis hin zur Aufgabe Ostpreußens. Diese Planung entsprang der Erkenntnis einer mangelnden Truppenstärke des Reiches. Auch dies wurde als zu radikal beiseite geschoben. Erst vLudendorff gelang es 1913 seine Vorgesetzen von der Notwendigkeit einer Erweiterung des Heeres zu überzeugen. Die Kürze der Zeit reichte aber nicht mehr aus, von 1906 an hätte sie es.

Das alles zeigt auch klar, daß das Bild, die stereotypische Anschuldigung des rücksichtslos zum Krieg aufrüstenden deutschen Reiches so nicht stimmt. In Hinblick auf das Heer kann davon für den Zeitraum zwischen 1892 (russische-französisches Militärbündniss) und 1913 schon rein quantitativ gesehen überhaupt nicht die Rede sein. Die Ausgaben für die Armee lagen selbst 1913 noch, als man begann hektisch nachzuziehen in Deutschland bei 23,2 Mark pro Kopf, während sie in Frankreich bei 32,8 Mark pro Kopf zu liegen kamen. Deutschland stellte dabei nur 52 bis 54% der Wehrpflichtigen ins Heer ein, während die Ausschöpfungsquote in Frankreich bei 82% lag. Dazu kam die in Frankreich dann 3Jahre währende Wehrdienstzeit wodurch ab 1912 die jährliche Rekrutenquote nochmal um 50 000 Mann gesteigert wurde. Bis 1916 wollte Frankreich dann sein Heer nochmal um weitere 40% verstärken, um 11 772 Offiziere und 468 200 Mann. Präsident Poincare forderte angesichts der Zweifel der Franzöischen Militärs an den Russen die eigene Rüstung bis zum äußersten zu führen, er setzte seit 1912 auch alles auf eine Verkürzung der Mobilmachungszeit und stellte dazu bis 1914 13 neue Eisenbahnlinien mit 21 Gleisen fertig. Die deutschen Militaristen hatten dagegen die weitere Aufrüstung bis 1913 zwar erörtert, aber nie ausreichend ausgeführt, darin liegt der Hauptgrund für das schlußendliche Scheitern ihrer Strategie.

Beschließend der französische General Buat, währen des Krieges dann Generalstabchef dazu : "Die Feindliche Armee war bei Kriegsbeginn viel zu schwach für ihre tollkühnen Pläne und gelangte erst im weiteren Verlauf dann zu einer erschreckenden Stärke. Hätte Deutschland aber ein dem unseren entsprechendes Opfer gebracht und alle ausgebildeten Mannschaften bis zum Alter von 32 Jahren mobilisiert, so hätte es mit einem um eine halbe Millionen Mann stärkeren Heer den Feldzug eröffnet und seine Pläne realisiert."
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