(Allgemein) IT- und Kommunikationstechnik in der Bundeswehr
#18
Helios:

Zitat:diese Kausalität wohnt nicht den Führungsmitteln selbst inne, sondern ist eine Mentalitätsfrage der Führung und vor allem von dieser abhängig. Und damit ist sie nicht zwingend, kann mit einer entsprechenden Denk- und Handlungsweise vermieden werden und so zu einer tatsächlichen (und sehr deutlichen) Fähigkeitsverbesserung führen.

Exakt hier habe ich eine andere Auffassung, auch und gerade aufgrund praktischer Erfahrungen welche ich machen musste:

Die Fehlentwicklungen resultieren aus der menschlichen Seite des Verbundes von Technik und Mensch, schon richtig und ich hatte das ja auch so explizit geschrieben. Aber: diesen systeminhärenten (psychologischen) Fehlern des Menschen sollte die Technik Rechnung tragen und aufgrund dieser dem Menschen unausrottbar innewohnenden Fehler ist es sehr viel schwieriger den Menschen der Technik anzupassen, als umgekehrt. Wenn die Technik also rein theoretisch immense Möglichkeiten bietet, der Mensch aber in seiner Fehlerhaftigkeit diese gar nicht richtig nutzen kann, ist es zu einfach zu sagen: die Technik ist vollständig unschuldig, der Mensch solle sich halt anpassen, dann könne er die Vorteile auch nutzen. Das verkennt meiner Meinung nach die Natur des Menschen an sich und ist zu technikzentriert. Entsprechend ist es viel einfacher die Technik so weit wie möglich den Fehlern (!) des Menschen anzupassen.

Und noch einen Schritt weiter: wenn Technik überhaupt erst entwickelt wird, dann kommt dabei eben nicht zwingend immer eine Verbesserung heraus, im Sinne dass die Technik eine Fähigkeitsverbesserung zur Folge hat. Die Logik: bessere / modernere Technik = Fähigkeitsverbesserung - stimmt eben so nicht. Auch dies ist nicht die Schuld der Technologie, sondern dann halt entsprechend erneut menschliches Versagen, aber darin liegt eben eine große Gefahr wenn man zu Technikaffin ist, und zu sehr glaubt, dass die Technologie menschliche Schwächen und Fehler ausgleichen kann und dass die Technologie immer nur Verbesserungen bringt. Ein zuviel an Technik kann gerade im militärischen Bereich eine Fähigkeitsverschlechterung zur Folge haben.

Das soll aber nun nicht heißen - wie du es anscheinend in Bezug auf meine Äußerungen wahrgenommen hat - dass man in anachronistischer Weise einfach auf moderne Technik verzichtet. Darauf wollte ich nicht hinaus. Man sollte stattdessen explizit die modernste verfügbare, beste Technologie einsetzen. Aber: es kommt dann darauf an, diese dem fehlerhaften Wesen des Menschen anzupassen und zwar schon von der Konzeption her und so wenig wie möglich davon zu verwenden, so effektiv und effizient wie möglich zu sein, und hier ist weniger of mehr.

Wenige ausgesuchte höchstmoderne technische Systeme sind oft sehr viel besser als möglichst viel moderne Technik. Je mehr man die Komplexität heraus bringt, je mehr man durch die Technik alles einfacher und schneller macht, desto besser.

Was ich aber real beobachte ist das Gegenteil. Als praktisches Beispiel möchte ich das unsägliche IdZ System anführen, mit welchem ich ja noch persönlich Bekanntschaft gemacht habe in seinen Anfängen. Ein Musterbeispiel dafür, wie moderne Technik zu einer Fähigkeitsverminderung führt und eben nicht zu einer Fähigkeitsverbesserung.

Zitat:Es kann aber alles falsch eingesetzt und missbraucht werden, und dementsprechend würde auch alles falsch eingesetzt und missbraucht werden.

Das stimmt zwar, aber die Wahrscheinlichkeit dafür sinkt, wenn die Mittel dem Wesen des Menschen entsprechen und sie steigt, wenn die Mittel dem Wesen des Menschen nicht entsprechen. Ich meine hier also Wahrscheinlichkeiten. Das meine ich, wenn ich davon schreibe, dass gerade die jeweils modernste Technik so schlicht, so reduziert und so wenig komplex wie möglich sein sollte. Sie muss dem Menschen wie er ist angepasst werden, dann sinkt auch die Wahrscheinlichkeit dass sie falsch eingesetzt wird.

Heute aber, in der allgemeinen Technikhörigkeit und ich möchte sagen: Technikbesessenheit glaubt man mit Technologie menschliche Schwächen kompensieren zu müssen. Man will also die Fehler des Menschen durch Technik überwinden, statt die Technik an diese anzupassen. Und dies erhöht die Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs.

Zitat:Umgekehrt müsste die These ja sonst auch lauten, dass der Verzicht auf diese Form der Entwicklung der Führungsmittel die Entstehung dysfunktionaler Prozesse verhindern könnte. Wenn ich sehe, wie die Bundeswehr nicht erst seit der Digitalisierung von Proporz und Eigensinn geprägt wurde, dann fällt es mir schwer, dafür wirkliche Argumente zu finden.

Nein, meine These ist zweigestaltig: 1. man benötigt modernste Hochtechnologie. 2. diese muss dem Menschen angepasst werden (nicht umgekehrt) und dazu muss sie so schlicht, so reduziert, so wenig komplex wie möglich sein und muss vor allem anderen Schlichtheit in den Führungsprozessen ermöglichen. Dies erhöht zugleich die Robustheit dieser Technik und mindert Friktionen.

Es geht mir also nicht um Verzicht bei der Entwicklung von Führungsmitteln, sondern es geht mir um eine andere Art und Weise der Entwicklung der Führungsmittel. Ich will nicht Karte und Bleistift, sondern ich will eine andere Art der Hochtechnologie als die, welche zur Zeit sich ausbreitet.

Es geht mir also nicht um Verzicht, sondern um Optimierung. Und diese beinhaltet zwingend eine möglichst effiziente Effektvität und diese kann nur dann erzielt werden, wenn man sich mit dem Menschen beschäftigt. Beispielsweise werden meiner Ansicht nach Erkenntnisse der Neurobiologie, Psychologie und Medizin bei der Entwicklung von Führungsmitteln zu wenig berücksichtigt.

Zitat:sollte man erstmal festlegen, wie man die Führung dauerhaft umsetzen und dies auch einhalten will. Und dann sollte man die dafür passenden Mittel beschaffen, wobei "passend" maximale Leistung bei minimaler Komplexität meint. Wenn man sich nur auf letztere beschränkt, dann wird man sich selbst durch ausufernde Opportunitätskosten kastrieren.

Wir sind da in Wahrheit gar nicht weit auseinander. Denn schlussendlich meine ich genau das. Ich bin abweichend von dir lediglich der Überzeugung, dass man die Komplexität sehr viel weiter vermindern könnte als dies gemeinhin angenommen wird. Und dass der vermeintliche Fähigkeitsverlust bei extremer Verminderung der Komplexität in Wahrheit gar keiner ist, sondern zu einem Vorteil gemacht werden könnte. Das heißt natürlich nicht, völlig anachronistisch einfach alles auf das denkbare Minimum herunter zu fahren, aber es bedeutet schon, dass die Komplexität weiter reduziert werden kann, als du es hier anscheinend annimmst.

Das du hier dann den anderweitig entgangenen Nutzen anführst habe ich schon öfter gehört. Aber ich teile diese Auffassung nicht. Man könnte diese scheinbare Kastration auch leicht zu einem Vorteil wenden, dass ist nur eine Frage der Methodik. Tatsächlich ist es schwierig festzulegen, wie weit man maximal hier gehen könnte und deshalb neigen viele dazu, aus Angst um etwaig entgangenen Nutzen nicht weit genug zu gehen. Wie nicht unüblich habe ich da radikalere Ansichten, welche ich aber im praktischen realen Einsatz durch eigene empirische Erfahrungen bestätigt sehe. Ich hörte das schon oft, dass mir da doch ein Nutzen entgeht, aber im realen Einsatz stellte sich heraus, dass ich stattdessen aus meiner Haltung heraus Vorteile generieren konnte.

Ein wesentlicher Begriff denn ich dabei für perfekt halte um auszudrücken was ich meine ist Schlichtheit. Alles sollte so schlicht wie möglich sein. Das ist kein Fähigkeitsverlust, gerade erst daraus ließen sich Fähigkeitsgewinne generieren. Und der vorderste und wesentlichste Fähigkeitsgewinn wäre die Frage der Geschwindigkeit. Vielleicht bin ich zu besessen von diesem Faktor, gewicht ihn falsch oder zu hoch, aber meiner Meinung nach ist die Frage der Geschwindigkeit die entscheidendste im modernen Krieg.

Und die modernen hochtechnologischen Führungssysteme senken zunehmend die Geschwindigkeit statt sie zu erhöhen (was nicht an der Technik für sich allein liegt). Das heißt nicht im Umkehrschluss, dass ich einen Verzicht für moderne hochtechnologische Systeme predige, sondern dass ich andere moderne hochtechnologische Systeme präferieren würde.

Zitat:bei einer ganzheitlichen Betrachtung hängt es sehr davon ab, wie derartige Mittel eingesetzt werden, ob sie die Führung verbessern oder verschlechtern. Die Allgemeinplätze hinsichtlich der Technologie helfen nicht weiter dabei, wenn die Mentalität hinter der Nutzung funktioniert dann vereinfacht Technologie genau diesen Aspekt des Verbundes zwischen Technik und Mensch ganz gewaltig. Die Mentalität ist die große Herausforderung der Digitalisierung, und sie führt zu der großen Ambivalenz der Ergebnisse.

Ich bin da sehr zwiegespalten. Viele Versprechungen der Digitalisierung lassen sich zwar im Friedensbetrieb, im Zivilen Leben usw einlösen, aber sie lassen sich im Krieg viel weniger einlösen. Natürlich kann man postulieren, dass einfach die Mentalität dahinter verändert werden muss und dann Vorteile generiert werden können, aber meiner Überzeugung nach ist das Hybris, welche die Realität des Krieges verkennt. Der Krieg ist eine Entinität welche andere Umstände generiert. Die Digitalisierung kann damit im Krieg genau so ein erheblicher Nachteil sein wie sie Vorteile generieren könnte. Man sollte das nicht zu einseitig betrachten und vor allem die Digitalisierung sollte viel kritischer betrachtet werden. Heute hat sie zunehmend eine Art religiösen Status, und folgt aus magischem Denken heraus, dass mehr Digitalisierung irgendwie in jedem Fall vorteilhaft wäre.

Das heißt umgekehrt nicht, auf die Digitalisierung zu verzichten. Aber in der jetzigen aktuellen Form, so wie sie zur Zeit läuft, ist sie für den richtigen großen Krieg meiner Meinung nach in weiten Teilen nicht brauchbar oder stellt in gewissen Teilen sogar eine Schwäche dar. Und sie senkt bei der Stabs- und Führungsarbeit zunehmend die Geschwindigkeit der Führungsprozesse, statt ihr Versprechen einzulösen und diese zu beschleunigen.

Natürlich kann man an dieser Stelle wieder den Mentalitätswandel predigen, aber das ist meiner Meinung nach unzureichend.

These: wir sind querschnittlich zu unkritisch gegenüber der Technologie. Das liegt zweifelsohne daran, dass wir in einer digitalisierten Hochtechnologiegesellschaft leben. Der Schluss daraus ist nicht, auf Technologie zu verzichten, sondern diese anders einzusetzen und andere Technologie zu verwenden. Als primäres Argument dafür möchte ich beschließend anführen, dass der absolut notwendige Mentalitätswandel so viel leichter, schneller und effektiver erreicht werden könnte.

Wir werden den notwendigen Mentalitätswandel nur dann hinkriegen, wenn die Technologie diesen unterstützt. Zur Zeit aber behindert die Technologie oft den Mentalitätswandel, indem sie es ermöglicht die bisherige falsche Mentalität weiter fortzuführen oder indem sie deren negative Effekt verstärkt.
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